
Zukunft der muslimischen Community: Auf Einladung des Islamrats diskutierten aktive und ehemalige Verbandsvertreter über Chancen und Herausforderungen.
(iz). Gesamtgesellschaftlich wie innermuslimisch stehen die Strukturen und Akteure der islamischen Selbstorganisation und Repräsentation unter erheblichem Druck. Gegenüber den Medien müssen sich die dortigen Aktiven und Sprecher zu allen möglichen Fragen im Eiltempo erklären. Vertreter aus Staat und Politik erwarten, dass sie im Namen sämtlicher Mitglieder der Community agieren.
Gleichzeitig begleiten kritische Nachfragen der Zivilgesellschaft und Medienlandschaft ihr Handeln. Zu den häufig vorgetragenen Kritikpunkten aus der Community gehören u.a. eine reaktive Mentalität, strukturelle Hindernisse sowie der Wunsch nach einem aktiveren und geschlosseneren Auftreten. Für den KRM-Sprecher Dr. Zekeriya Altuğ muss die zukünftige Repräsentation muslimischer Interessen über die Politik „des kleinsten gemeinsamen Nenners“ hinausgehen. Wie das gelingt, müssten die Religionsgemeinschaften diskutieren.
Community: Über unsere Vergangenheit und Zukunft sprechen
Am Samstag, dem 17. Mai, endete die zweijährige Fortbildungsreihe des Islamrats mit dem Titel „Muslime und Religionsfreiheit in Deutschland“ mit einer umfangreichen Debatte über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer Selbstorganisation und Repräsentanz in der Bundesrepublik. Das Tagesprogramm stand unter dem Motto „Gemeinsam reden, gemeinsam gestalten: Muslimische Repräsentanz im Wandel“.
Murat Gümüş, Generalsekretär des Gastgebers und verantwortlich für die Eventreihe, erläuterte das Anliegen seines Dachverbands: „Unser Ziel war es, Räume des Lernens, der Selbstreflexion und der Begegnung zu schaffen. Ich bin stolz auf die Vielfalt und Tiefe der Diskussionen, die wir gemeinsam erleben durften.“
Auf zwei Podien diskutierten sieben aktive oder frühere muslimische Vertreter das komplexe Thema. In der ersten Gesprächsrunde erläuterten Dr. Ayyub Axel Köhler (Ex-Vors. des Zentralrats) und Ali Kizilkaya (Ex-Vors. des Islamrats) mit zusätzlichen Beiträgen von Schaikh Bashir Dultz (Deutsche Muslimliga) die Entwicklung und den Aufbau von Gemeinschaftsstrukturen in der Vergangenheit der Bundesrepublik.
Auf dem zweiten Podium diskutierten Mustafa Yeneroğlu (Ex-Generalsekretär der IGMG), Aiman Mazyek und Nurhan Soykan (beide ehemalige Vorstandsmitglieder des Zentralrats), Burhan Kesici (Vorsitzender des Islamrats) sowie der aktuelle KRM-Sprecher Dr. Zekeriya Altuğ über die heutigen Herausforderungen und Zukunftsaufgaben der muslimischen Repräsentanz in Deutschland.
Zu Beginn der Diskussion betonte der kürzlich aus dem Amt geschiedene ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek, dass die Gründung des Koordinationsrates (KRM) zwei wesentlichen Impulsen folgte. Einerseits habe es innerislamisch das erkennbare Verlangen nach größerer Koordination und besserer Repräsentation der eigenen Interessen gegeben. Andererseits habe die Politik – insbesondere im Kontext der ersten Islamkonferenz unter Wolfgang Schäuble – ebenfalls als „Schrittmacher“ agiert.
Religionsgemeinschaften müssen gestärkt werden
In Anbetracht der unklaren Ausrichtung der Regierungspolitik gegenüber den islamischen Religionsgemeinschaften setzt Mazyek auf ihre Stärkung. Diese müssten angesichts der bundespolitischen Unwägbarkeiten der Zukunft „stärker ausgefüllt“ werden. Muslime sollten sich verstärkt auf die Kernthemen der religiösen Gemeinschaften konzentrieren und diese verstärken. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die potenziellen Folgen eines fortgesetzten AfD-Aufstiegs auf den Umgang der Politik mit den islamischen Communitys.
Der ehemalige IGMG-Generalsekretär Mustafa Yeneroğlu zeigte sich selbstkritisch. „Als Muslime hätten wir doch viel mehr tun können“, sagte er im Rückblick auf die letzten 20 bis 30 Jahre. Er bestätigte, dass die Moschee- und Dachverbände mit der Gründung des KRM Wünsche aus der Bundespolitik aufgegriffen hatten. Gleichzeitig habe man auch zum Zeitpunkt der Begründung im März 2007 – schon 2006 kam es zu Gesprächen und Annäherungen der Beteiligten – erkannt, dass das Gremium auf der Koordinationsebene „nicht ausreichen wird“.
Foto: Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland
Dabei sei der vorangegangene „Seevetal“-Prozess, eine Gesprächsreihe zur Institutionalisierung und Vereinheitlichung muslimischer Strukturen, die vor der Schaffung des Beratungsgremiums stattfand, „weiter gewesen“. Jedem war bewusst, dass etwaige Organisationsformen „demokratisch legitimiert“ sein sollten. Auch auf Landesebene müssten „gelebte Gemeinschaften auf Grundlage dieser Moscheegemeinschaften“ bestehen.
Der erwähnte Prozess hätte sich gut dafür geeignet, genau diese Themen und Herausforderungen anzugehen. Während er betonte, dass der Koordinationsrat „eine bundesweite Repräsentanz, Koordination mancher Tätigkeiten“ sowie die Entwicklung verbindlicher Standpunkte ermöglicht habe, „brauchen wie in Deutschland eigentlich mehr, als dass wir nur koordinieren“.
Innere Blockaden lösen
Yeneroğlu sieht zwei Hauptursachen für das Nichtzustandekommen von Abschlüssen bzw. für ergebnislose Verhandlungen oder Projekte. Einerseits läge das an Entschlüssen und „Schwankungen“ auf Seiten staatlicher Partner. Andererseits gebe es bei muslimischen Entscheidungsprozessen Blockaden. So würden gelegentlich unterschriftsreife Ergebnisse „über den Haufen geworfen“, wenn die Vorstände einzelner Gemeinschaften sich dagegen entscheiden.
Pressefoto: © Henning Schacht / Bundesinnenministerium
Der ehemalige IGMG-Generalsekretär kritisiert eine passive Haltung in der weiteren Community, sich nur „als Konsument“ von Grundrechten zu begreifen. In Bezugnahme auf die hiesige Geschichte der Bürgerrechte machte er deutlich, dass die gegenwärtige Rechtsordnung seit 1848 erkämpft wurde. Heute stelle sich für Muslime die Frage, ob sie nur die damit einhergehenden Rechte wollten, sondern auch mit der Aufgabe befassen, inwieweit sie dieses Modell mittragen und weiterentwickeln wollen. „Das sind Fragen, die wir uns heute stellen müssen.“
Für den DİTİB-Vorstand und amtierenden KRM-Sprecher Dr. Zekeriya Altuğ ist die derzeitige Selbstorganisation der Communitys „nicht im luftleeren Raum“ entstanden. Es gebe in Deutschland seit den 1950er und 1960er Jahren ein aktives islamisches Leben. Allerdings sei das über einen längeren Zeitraum hinaus „türkisch dominiert“ gewesen. Das habe sich in seinen Augen „größtenteils geändert“. Mittlerweile herrscht für ihn eine ungefähre Parität.
Alle betonen Verbesserungsbedarf
Altuğ zufolge hat das gegenwärtige System der Repräsentanz Verbesserungsbedarf. Allerdings müsse man sich fragen, was es bedeute, „alle Muslime“ zu vertreten. Dies sei eine Diskussion, die geführt werden sollte. Schließlich bestehe das Recht, nicht repräsentiert zu werden.
Es sei ebenso wichtig, nicht nur Moscheegemeinden im Auge zu behalten. Heute gebe es in der Community „sehr viele andere Strukturen“. Darüber hinaus seien diese Gemeinschaften längst nicht mehr „Ersatzheimat“. Vielmehr hätten diese sich immens entwickelt.
Der DİTİB-Vertreter unterstrich, dass es in den letzten zehn Jahren einen Lernprozess gegeben habe. Man sei heute deutlich weiter. Perspektivisch sollte der KRM über sich hinauswachsen. Er müsse verbindlicher werden und durch mehr Wahlen tatsächliche Repräsentanz zulassen. Für die Zukunft sieht er die Notwendigkeit neuer Strukturen. Diese sollten über Repräsentation hinausgehen und bundesweit in der Lage sein, die innermuslimische Arbeit zu koordinieren.
Foto: Autor / IZ Medien
Laut dem Islamratsvorsitzenden Burhan Kesici hat die Gründung des KRM zu einer stärkeren Position im Austausch mit staatlichen Stellen geführt. „Wir haben gemerkt, dass Politiker immer eine Stimme haben wollen, und der Koordinationsrat hat diese Stimme geliefert.“ Über das Gremium konnte man den Großteil der Moscheeverbände erreichen.
In der Vergangenheit habe hingegen jeder Verband separate Gespräche geführt. „Mit der Gründung des Koordinationsrats haben wir eine Stimme bekommen.“ Kesici beschreibt die Schwierigkeiten des sechsmonatigen Sprecherwechsels. Bis sich ein amtierender Sprecher eingearbeitet habe, gebe es einen neuen. Generell hat das Beratungsgremium bewirkt, dass die Positionen organisierter Muslime intensiver wahrgenommen werden.
Er wies den geäußerten Vorwurf zurück, der sogenannte organisierte Islam in Deutschland würde reaktiv agieren. Es seien auch aktiv Impulse von muslimischer Seite gekommen. Allerdings könnten strukturelle Beschränkungen dazu führen, „dass man bestimmte Sachen nicht bis zum Ende bringen konnte“.