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Das höfliche Argument ist viel wirksamer

Ausgabe 273

Foto: Kurt Bauschardt, flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

(iz). Allah, der Erhabene, hat die Menschen mit ihren eigenen, persönlichen und dementsprechend verschiedenen Eigenschaften und Bedürfnissen erschaffen, um sich im gemeinsamen Miteinander zu ergänzen.
Die Menschheit, die sich bewusst vor Augen halten muss, dass Allah in seiner Existenz vollkommen und einzigartig ist, sind verantwortungstragend in der Umsetzung des Verses „und helft einander in Rechtschaffenheit und Frömmigkeit“ (Al-Ma’ida, 2), weil im Sinne des Nutzens für die Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt.
Da die Menschen auf geistiger sowie der Ebene des Wissens nicht auf derselben Stufe sind, ist es nicht möglich, von einem Miteinander frei von Meinungsverschiedenheiten zu sprechen. Der Streitfall bei einer Angelegenheit ist ein natürliches Ereignis und eine Tatsache in unserem Leben. Allah, Der die Meinungsverschiedenheit im Menschen erschaffen, Der dem Menschen näher als seine Halsschlagader ist, den Menschen besser kennt als jeder andere, ermahnt uns in dieser Angelegenheit in Seinem erhabenen Buch: „Und haltet allesamt an Allahs Seil fest, und zerfallet nicht.“ (Al-i-‘Imran, 103)
Jene, die behaupten, dass die Meinungsverschiedenheit nur zur Spaltung führen könne, haben den Begriff, dessen Bedeutung und den oben genannte Qur’anvers nicht umfassend verstanden. Denn „Ikhtilaf“ – die Meinungsverschiedenheit trägt keinen Streit und keine ­Abspaltung in seiner eigentlichen Bedeutung mit sich.
Diesbezüglich sagt Raghip Al-Asfahani, möge Allah mit ihm zufrieden sein, zum Ikhtilaf: „Es ist das Einschlagen eines anderen Weges in Wort und Tat.“ Des Weiteren erwähnt er: „Wenn die Meinungsverschiedenheit zwischen Menschen durch verbale Auseinandersetzung stattfindet, kann dies manchmal einen Weg zum Streit und Disput ebnen.“ Durch den Mangel an Verständnis des Begriffes „Ikhtilaf“ resultieren Dinge wie Streit und Spaltung.
Laut der Überlieferung vom Hafidh Dhahabi, möge Allah mit ihm zufrieden sein, wird über Imam Asch-Schafi‘i, der diese Feinheiten des Begriffes verinnerlicht und in seinem Leben umgesetzt hat, von Yunus As-Sadefi, möge Allah mit ihm zufrieden sein, gesagt: „Ich kenne niemanden, der besonnener und bewusster ist als Imam asch-Schafi’i! Eines Tages habe ich mit ihm ein gewisses Thema debattiert, daraufhin haben wir uns getrennt. Später als wir uns erneut begegneten, hielt er meine Hand und sagte: ‘Oh Abu Musa! Ist es nicht von wichtigerer Bedeutung, dass wir Brüder sind, auch wenn es keine Angelegenheit gibt, bei der wir uns einigen konnten?’“
Der Sohn Adams, der stets in Vergesslichkeit geraten kann, dass er unter immer währender Beobachtung steht, verursacht durch Meinungs- und Gedankenverschiedenheiten die Spaltung auf emotionaler Ebene und spaltet sich so mit seinem Herzen von seinem Bruder ab.
Dieses Unheil mag in erster Linie harmlos erscheinen, jedoch kann es zur Schwächung der islamischen Gesellschaft führen. Aus diesem Grunde hat der Gesandte Allahs, Segen und Frieden seien auf ihm, im Bewusstsein auf die verheerenden Folgen der Spaltung das Lügen durch den Hadith „Derjenige der lügt um die Menschen miteinander zu versöhnen zählt nicht als Lügner“ in diesem Falle als zulässig bezeichnet.
Über diese Thematik möchte ich eine Feststellung, die aus dem Vers „die Gläubigen sind ja wahrlich Brüder“ (Al-Hudschurat, 10) resultiert, ansprechen: Das arabische Wort „Akh“, welches Bruder bedeutet, wird, um die Brüderlichkeit und Treue auszudrücken, in Pluralform „Ikhwan“ genannt. Wenn dies jedoch in der Form von „Ikhwah“ vorkommt, wird somit die Leiblichkeit in der Brüderschaft definiert, die auf den identischen Stammbaum aufbaut. Daraus schlussfolgend wird die Brüderschaft unter den Muslimen durch diese Botschaft gefördert und wie eine leibliche Brüderschaft dargestellt. Die Brüderlichkeit, die aus dem Iman entspringt, ist auf der Ebene der leiblichen Brüderlichkeit zu verstehen und sogar weitaus stärker als diese. Diese Feinheit im Verständnis der Offenbarung Allahs, des Erhabenen, dürfen wir niemals außer Acht lassen und wir müssen die Kameradschaft unter den Muslimen als einen essenziellen Bestandteil dieser Offenbarung sehen.
In unserer heutigen Zeit sehen wir insbesondere unsere Brüder in der Da’wa, welche versuchen ihre Geschwister im Islam, die auf wackeligen Beinen stehen, auf eine höfliche Art und Weise dem Din näher zu bringen und den Islam im Leben dieser Menschen als festen Bestandteil zu etablieren, wobei wir aber auch sehen, wie sich ihre Einstellung nach gewissen Meinungsverschiedenheiten ändert, sobald sie einer Uneinigkeit begegnen und sich dadurch voneinander ­abwenden, obwohl Muslime unter sich „Ruhama“ (barmherzig zueinander) seien müssen. Dies war auch eine Eigenschaft der Sahaba.
Ich wende mich an die Leser, um die Jugend, die sich in ihrer Lernphase und ihrer Jugendzeit voller Energie befindet und sich nicht bewusst ist, wohin es mit dieser Energie und den Emotionen hingehen soll, an ihrer Hand zu packen, um eine Stütze für sie zu sein. Ich bin der Auffassung, dass die Moral und Herangehensweise der Meinungsverschiedenheit zu einer familiären und freundschaftlichen Unterhaltung gewandelt werden muss.
In einer Zeit, in der die „Fitna“ und Intrigen freien Lauf haben, sollten wir als Muslime für unsere Einheit sorgen und uns miteinander im Austausch befinden, um so gemeinsam zu agieren und zu handeln. Dies alles an der Stelle, an der man sich immer über die selben heiklen Themen den Kopf zerberstet und sich als Gemeinschaft selbst schadet.
Es ist keine plausible Lösung, von der Meinungsverschiedenheit davonzulaufen. Es gibt nichts natürlicheres als die sanfte Unterhaltung und den Austausch der Ideen, wenn wir mit einer Angelegenheit konfrontiert werden, die uns stört. Es ist nicht einmal übertrieben zu erwähnen, dass diese Methode notwendig ist, um einen Nutzen für die muslimische Gemeinschaft herbeizuführen.
Des Weiteren beobachten wir die verheerenden Folgen der Probleme und Beschwerden, welche durch Schweigen unterdrückt werden, statt angesprochen und systematisch an einem optimalen Ort und zur rechten Zeit angegangen zu werden. Einsichtige und verständnisvolle Menschen wissen sich an Ort und Zeit angepasst und plausibel zu verhalten.
Und wir möchten anmerken, dass wir uns im Bittgebet für diejenigen befinden, welche ihrer Umgebung durch ihren schönen Akhlaq und dem Austausch von Ideen die notwendige Hoffnung und Motivation geben. Diese erreichen dadurch die Stufe derjenigen, welche den Tag über fasten und in der Nacht das Tahadschud-Gebet verrichten.
Seien wir uns bewusst und vergessen wir nicht, dass die Eigenschaft „Ismah“ (sündenfrei sein) eine spezielle Eigenschaft der Propheten ist.