Das Wohl des Tieres ist Teil unserer Pflichten

Ausgabe 273

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(iz). Der Qur’an hält die Muslime dazu an: „… über die Schöpfung der Himmel und der Erde nachzudenken.“ (Al-i-Imran,191) Dies möchten wir nun gemeinsam im Hinblick auf das Tierwohl im Islam tun. Denn im Qur’an heißt es: „Und bei Mensch und Tier und Vieh gibt es auch verschiedene Farben. Wahrlich, nur die Wissenden unter Seinen Dienern fürchten Allah. Wahrlich, Allah ist Erhaben, Allverzeihend.“ (Fatir, 28)
Unter den Wissenden können hier jene verstanden werden, die über die Schöpfung nachdenken und aus der Vielfalt und der Komplexität der Schöpfung heraus Allah gegenüber ehrfürchtig sind.
Zu Tieren im Allgemeinen heißt es in Allahs Buch: „Lebewesen auf der Erde, die gehen oder sich mit Flügeln durch die Luft bewegen, sind Gemeinschaften wie ihr. Wir haben alles genau festgehalten im Buch. Sie werden dann alle zu ihrem Herrn geführt werden.“ (Al-An’am, 38)
Zur Reflexion eignet sich hier die Frage, was mit „Gemeinschaften wie ihr“ gemeint sein könnte. Heute wissen wir, dass manche Tiere eine solitäre Lebensweise bevorzugen und es sogar Tiere gibt, die sich durch ungeschlechtliche Vermehrung fortpflanzen. Eine Gemeinschaft im Sinne einer Gruppe mit entsprechendem Sozialverhalten kann hier also ausgeschlossen werden.
Versteht man die Gemeinschaft als Gruppierungen mit eigenen Bedürfnissen, Rechten und Pflichten, so ergeben sich für einen Muslim ebenfalls Verpflichtungen gegenüber dieser von Allah definierten Gemeinschaft.
Anhand qur’anischer Beispiele möchten wir die Bedürfnisse und Rechte von Tieren nun genauer betrachten. Im Qur’an kommen Tiere zur Erwähnung, die dem Menschen zur Zeit der Offenbarung vertraut waren. Da Gott jedoch den Menschen dazu anhält, über die gesamte Schöpfung nachzudenken, sind die Verse bezüglich der Tiere als übertragbare Beispiele für den Umgang mit diesen Geschöpfen zu sehen.
Tiere im Qur’an
Schon in der islamischen Schöpfungsgeschichte ist von Tieren die Sprache. Abel, einer der Söhne Adams, war Viehzüchter und er opferte auch von seinem Vieh an Gott. Allah erlaubt dem Menschen Nutzen von (manchen) Tieren zu ziehen und regt ihn dazu, an darin eine Weisheit zu suchen.
„Das Vieh hat Er erschaffen, damit ihr Wärme und allerlei Nutzen gewinnt, und ihr euch davon ernähren könnt.“ (An-Nahl, 5)
„Und betrachtet das Vieh als Lehre für euch. Wir geben euch von dem zu trinken, was in ihren Leibern ist, und ihr habt von ihnen vielerlei Nutzen, und von ihnen esset ihr.“ (Al-Mu’minun, 21)
„Betrachtet das Herdenvieh und zieht daraus die Lehre! Wir lassen euch aus ihren Leibern zwischen Kot und Blut reine, angenehme und bekömmliche Milch trinken.“ (An-Nahl, 66)
„Haben sie denn nicht gesehen, dass wir ihnen aus unserer Hände Werk Herdentiere geschaffen haben, die sie nun besitzen? Wir haben sie ihnen gefügig gemacht. Teils dienen sie ihnen zum Reiten, teils zur Nahrung. Von ihnen haben sie allerlei Nutzen und von ihnen bekommen sie zu trinken. Warum danken sie also Gott nicht?“ (Ja-Sin, 71-73)
Gott erinnert in diesen Versen daran, dass die Nutzung von Tieren für den Menschen nicht selbstverständlich ist und auch nicht so verstanden werden sollte. Der Mensch möge diese Barmherzigkeit Gottes als Anlass nehmen, um über Seine Gaben zu reflektieren. Denn nur so bauen wir Empathie zu den Geschöpfen auf und lernen sie zu schätzen.
Es finden sich dementsprechend weitere Verse, die über die Eignung von und den Umgang mit Tieren als Nutz- und Opfertiere handeln. Weiter wird der ­Verzehr von Schweinefleisch, Blut und Aas untersagt. (Al-Ma’ida, 3) Bei der Schlachtung und beim Verzehr des Fleisches ist der Name Allahs auszusprechen. „So esst das, worüber Allahs Name ausgesprochen wurde, wenn ihr an Seine Zeichen glaubt“ (Al-An’am, 118)
Der Name Allahs wird mit der Anrufung „Bismillahirrahmanirrahim“ ausgesprochen. Diese bedeutet: „Im Namen des Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen“. Die Schlachtung eines Tieres ist somit fest verbunden mit der Erinnerung an einen barmherzigen Schöpfer und sollte dementsprechend als Mahnung zu einem barmherzigen Auftreten, auch gegenüber dem zu schlachtendem Tier verstanden werden.
Die Verse zu Opfertieren sind weitere Zeichen dieser Barmherzigkeit. Denn ein Anteil des Opfers gebührt den Armen und Bedürftigen und Allah erreicht nur die Frömmigkeit der Menschen.
„Weder ihr Fleisch noch ihr Blut erreicht Allah. Ihn erreicht aber eure Frömmigkeit. So hat Er sie euch dienstbar gemacht, damit ihr Allah dafür preist, dass Er euch rechtgeleitet hat, und bringe den Gläubigen, die gute Werke verrichten, frohe Botschaft!“ (Al-Hadsch, 37)
„Sie werden erleben, wie sie allerlei Nutzen erzielen und sie werden Gottes Namen an bestimmten Tagen über den ihnen von Ihm bescherten zu schlachtenden Tieren aussprechen. Esst davon und gebt den Elenden und den Armen!“ (Al-Hadsch, 28)
„Die Opferkamele (und -kühe) haben Wir euch zu Kultzeichen Gottes gemacht. Ihr habt Gutes davon, Nutzen im Leben und Vergeltung bei Gott. Sprecht den Namen Gottes über ihnen aus, wenn sie schön in Reihen stehen! Wenn sie geschlachtet worden sind, esst etwas davon und gebt den Armen davon und denjenigen, die sich schämen zu betteln! So haben Wir das Vieh in euren Dienst gestellt, auf dass ihr danken möget.“ (Al-Hadsch, 36)
Die in Sure Al-Hadsch, Vers 37 erwähnte Frömmigkeit ergibt sich in diesem Fall aus der Dankbarkeit, der Ehrfurcht und dem barmherzigen Verhalten. Nun würden wir dem Tierwohl nicht ganz gerecht werden, wenn wir uns nur mit Nutz- und Opfertieren beschäftigen, auch wenn daraus schon wichtige Lehren gezogen werden können. Deshalb werden wir weitere Beispiele aus dem Qur’an ­betrachten.
Entlang der Schöpfungsgeschichte ist das nächste bedeutungsvolle Ereignis, welches mit Tieren zusammenhängt, die uns allen bekannte Geschichte Nuhs (Noahs), Allahs Friede auf ihm.
„Alsdann erging Unser Befehl und die Fluten (der Erde) brachen hervor. Da sprachen Wir: ‘Bringe in das Schiff je zwei von allen (Arten) hinein, Pärchen, und deine Familie mit Ausnahme derer, gegen die das Wort bereits ergangen ist, und die Gläubigen.’ Und keiner glaubte ihm, außer einer kleinen Schar.“ (Hud, 40)
Es wäre sicher Allah ein Leichtes gewesen die Tiere einfach zu retten. Er beauftragt damit jedoch die rechtschaffenen Menschen. Er trägt diese Aufgabe Nuh auf, der von sich sagt: „Ich bin ein Warnender, der kein Engel ist und zu den Ungerechten gehörte.“ (Hud, 25) Die Verantwortung gegenüber den Tieren liegt somit beim Menschen, wenn er sich zu den „Rechtschaffenen“ zählen möchte. So ist jede „Arche“ für Tiere es wert, von Rechtschaffenen unterstützt zu werden.
Schaut man sich weitere Prophetengeschichten des Islam an, so sticht auch die Geschichte Sulaimans (Salomons), Allahs Friede auf ihm, hinsichtlich der Tiere besonders hervor. Der Prophet Sulaiman, welcher zugleich auch ein König war, marschierte eines Tages mit seinen Truppen.
„Als sie schließlich ins Tal der Ameisen kamen, sagte eine von ihnen: ‘Ihr Ameisen! Geht in eure Wohnungen hinein, damit Sulaiman und seine Truppen euch nicht zermalmen, ohne es zu merken!’ Da lächelte er über ihre Worte und sagte: ‘Herr! Halte mich dazu an, dass ich Dir für Deine Gnade, die Du mir und meinen Eltern erwiesen hast, dankbar bin, und dass ich tue, was recht ist und womit Du zufrieden bist! Und lass mich durch Deine Barmherzigkeit in die Schar Deiner rechtschaffenen Diener eingehen!’“ (An-Naml,18-19)
Sulaiman scheint sich darüber zu freuen, dass Allah es nicht zuließ, dass die Ameisen von ihm und seinem Heer zertrampelt wurden. Er nimmt dies zum Anlass, um Allah für diese Gnade zu danken, und bittet Ihn, zu den Rechtschaffenen gezählt zu werden. Sulaiman wurde die besondere Gabe zuteil, mit den Vögeln zu kommunizieren. Diese wiederum waren ihm zu Dienste, um mit ihm für die Sache Allahs zu kämpfen.
„Sulaiman war der Erbe Davids. Er sagte: ‘O ihr Menschen! Uns wurde die Sprache der Vögel gelehrt, und wir haben von allen Gaben bekommen. Das ist die offenkundige Huld.’ Sulaiman wurden seine Truppen – Dschinn (Geschöpfe aus Feuer), Menschen und Vögel – zu einem Feldzug versammelt und in Reih und Glied gebracht.“ (An-Naml, 16-17)
Die gleichrangige Nennung der Menschen, der Dschinn und der Vögel bestätigt nochmals den Vers 38 der Sure Al-An’am, in dem Tiere als eigenständige Gemeinschaften beschrieben werden.
Wir Menschen sprechen oftmals darüber, ob und wie wir Tieren helfen und sie retten könnten. Dabei scheinen wir zu vergessen, dass die Tiere unsere Helfer sind, beziehungsweise unter bestimmten Bedingungen, wie bei Sulaiman, zu unseren Helfern werden können. Was dies im negativen Sinne bedeuten kann, zeigt das Beispiel des Bienensterbens mit seinen Folgen für die Landwirtschaft. Die Biene ist ein weiteres Geschöpf, welches im Qur’an Erwähnung findet.
„Und dein Herr gab den Bienen ein: ‘Baut euch Behausungen in den Bergen, in den Bäumen und in den von den Menschen errichteten Bienenstöcken!’“ (An-Nahl, 68)
Daraus wird deutlich, dass gewisse, von uns als instinktiv bezeichnete Verhaltensweisen der Tiere, solche sind, die ihnen von Allah eingegeben worden sind. Allahs Eingebungen an die Tiere lassen sich somit als gottgegebene Rechte verstehen und sollten dementsprechend gebührend geachtet werden.
Die für die damaligen Menschen unverzichtbaren Kamele dienen auch zur Mahnung der Menschen bezüglich der Beachtung der Bedürfnisse und der Einhaltung der Rechte von Tieren.
„Oh mein Volk, dies ist die Kamelstute Allahs als ein Zeichen für euch; so lasset sie auf Allahs Erde weiden und fügt ihr kein Leid zu, damit euch nicht baldige Strafe erfasse.“ (Hud, 64)
„Zu den Thamud entsandten Wir ihren Bruder Salih. Er sprach: ‘O mein Volk! Dienet Allah, ihr habt außer Ihm keinen Gott! Euch ist ein klares Zeichen von eurem Herrn gegeben worden. Diese Kamelstute Gottes soll ein Zeichen für euch sein. Ihr sollt sie auf Allahs Erde weiden lassen und ihr nichts antun, sonst würdet ihr euch eine schwere Strafe zuziehen.“ (Al-Ar’af, 73)
„Er sagte: ‘Hier ist eine Kamelstute; sie hat (ihre) Trinkzeit, und ihr habt (eure) Trinkzeit an einem bestimmten Tag.’“ (Asch-Schu’ara, 155)
„Als der Schlechteste unter ihnen aufstand, da sagte der Gesandte Allahs: ‘Lasst die Kamelstute Allahs und hütet euch davor, (sie an ihrem Trinktag am Trinken zu hindern!’“ (Asch-Schams, 12-13)
Den Tieren Leid zuzufügen zieht somit unmissverständlich die Strafe Allahs mit sich. Das Kamel bekommt das Recht zugesprochen, entsprechend seiner Wesensart zu weiden. Ihm wird, dem Menschen gleichrangig, eine eigene Trinkzeit eingeräumt. Sprich, die natürlichen ­beziehungsweise gottgegebenen Bedürfnisse der Tiere sind vom Menschen zu beachten.
Die vom Menschen schon immer als faszinierend wahrgenommenen Vögel werden als weitere Zeichen Allahs genannt. „Sehen sie denn nicht, wie die Vögel am Himmel zum Flug bestimmt sind? Allah ist es, Der sie dort hält. Darin sind Zeichen für Menschen, die zu glauben bereit sind.“ (An-Nahl, 79)
„Hast du denn nicht gesehen, dass Allah alle Wesen preisen, die im Himmel und auf Erden sind, ebenso die Vögel, wenn sie im Schwebeflug die Flügel ausgebreitet ­halten? Jedes Wesen weiß, wie es seiner Art entsprechend zu beten und Allah zu preisen hat. Allah weiß Bescheid über das, was sie tun.“ (An-Nur, 41)
Unter den Verhaltensweisen der Tiere scheint es welche zu geben, die bei Allah als Gebet gelten. Die Tiere von ihrem natürlichen, instinktiven Verhalten abzuhalten, bedeutet, sie an der Anbetung Allahs zu hindern. Nach qur’anischem Verständnis sind Tiere Gemeinschaften mit Bedürfnissen und Rechten, aus denen sich die natürliche Verhaltensweise der Tiere ableitet. Die Wesensart der Tiere wird ihnen von Allah gegeben und sie ist sogar eine Art der Anbetung.
Der Mensch kann in einem gewissen Maße Tiere für seinen Vorteil nutzen. Der Mensch mit Taqwa muss dies jedoch als Anlass sehen, um Dankbarkeit, Empathie, Ehrfurcht und Barmherzigkeit daraus zu schöpfen und die Schöpfung in Ehren zu halten. Wann immer sich die Möglichkeit ergibt, Tieren zu helfen und sie zu retten, sollte ein (nach-)denkender Mensch sich für das Wohl der Tiere einsetzen.
Denn nur so können wir sicherstellen, dass auch diese Geschöpfe Allahs in schwierigen Zeiten zu unseren Rettern werden können.
„Oh ihr Menschen, ein Gleichnis ist geprägt, so hört darauf: Gewiss, jene, die ihr anstatt Allahs anruft, werden in keiner Weise vermögen, eine Fliege zu erschaffen, auch dann nicht, wenn sie sich dazu zusammentäten. Und wenn die Fliege ihnen etwas raubte, könnten sie es ihr nicht entreißen. Schwach ist der Suchende wie der Gesuchte.“ (Al-Hadsch, 73)