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5 Mal am Tag: Das islamische Gebet im öffentlichen Raum

Ausgabe 363

Gebet
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5 Mal am Tag: Das Gebet ist kein politisches Statement. Es ist auch keine kulturelle Show. Betrachtungen über das Verhältnis von Alltag, Identität und Akzeptanz.

(iz).  Fünfmal täglich richtet sich der gläubige Muslim innerlich und äußerlich nach Mekka aus. Das Gebet, im Arabischen „Salat“, gehört zum Herzstück des islamischen Lebens (Şahinöz, 2018, 2023).

Es beginnt nicht irgendwann, sondern orientiert sich am Lauf der Sonne. Morgens vor dem Sonnenaufgang. Mittags, wenn die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht. Am Nachmittag, bevor sie untergeht. Dann zum Sonnenuntergang. Und schließlich in der Nacht, wenn alles still wird.

Diese fünf Abschnitte strukturieren den Tag. Und das ist kein Zufall, sondern Teil des spirituellen Aufbaus. Es geht um Achtsamkeit, Unterbrechung, Erdung.

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Das Gebet als Anker im Tag

Im Gegensatz zum westlichen Verständnis von Religion ist das islamische Gebet kein privater Rückzugsmoment. Es ist ein öffentlicher, sichtbarer Akt, auch wenn er still ausgeführt wird.

Das beginnt mit der rituellen Waschung, der Wudu, und endet mit dem Gruß nach rechts und links. Jeder einzelne Schritt hat Bedeutung. Jeder Schritt macht deutlich, dass hier jemand betet, bewusst und in Richtung eines absoluten Ziels.

Was viele nicht wissen ist, dass man für das Gebet keine Moschee aufsuchen muss. Das Gebet ist an keine Architektur gebunden. Der Prophet Muhammed, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, sagte, die ganze Erde sei ein Ort der Niederwerfung, solange sie sauber ist:

„Die Erde ist für mich zu einem Ort der Anbetung und zu einem reinen Ort gemacht worden. Wer aus meiner Gemeinde zur Gebetszeit irgendwo ankommt, kann dort beten“ (Nasai, Mesacid, 42; vgl. bu Huraira, 2977).

In der Praxis bedeutet das, dass Muslime überall beten können. Auf einem Parkplatz, im Wald, im Büroflur. Wichtig ist, dass man nicht gestört wird und sich konzentrieren kann. In Deutschland stellt das viele Gläubige vor eine Herausforderung. Denn das öffentliche Gebet ist nicht immer selbstverständlich.

Schule: Zwischen Pausenklingel und Gebetszeit

Für muslimische Schüler, die ihre Religion ernst nehmen, ist das Gebet in der Schule ein heikles Thema. Gerade im Winter fällt das Mittagsgebet oft genau in die Unterrichtszeit. In vielen Schulen gibt es keine festen Räume dafür.

Manchmal dürfen sie in der Pause einen leeren Raum nutzen. Manchmal auch nicht. Dann wird in einem Gang gebetet oder auf der Toilette, aus Mangel an Alternativen. Das letztere entspricht in vielen Fällen weder dem islamischen Reinheitsgebot noch dem menschlichen Würdegefühl.

Schulen sind kein Ort der Religion, heißt es oft. Aber Schule ist ein Ort der Bildung. Und Bildung bedeutet auch, mit Unterschiedlichkeit umgehen zu lernen. Wo Toleranz nicht praktiziert wird, bleibt sie ein leerer Begriff.

Wer es Schülern ermöglicht, ihre Gebete zu verrichten, stärkt nicht die Religion, sondern die demokratische Kultur. Wichtig ist, dass die Schule den Rahmen vorgibt. Niemand soll missionieren, niemand soll stören. Ein neutraler Raum, eine saubere Ecke in einem Gang oder Flur, klar geregelt, reicht vollkommen aus.

Arbeitsplatz: Zwischen Termindruck und Gottesbewusstsein

Auch im Berufsleben gibt es Konflikte. Einige Gebetszeiten liegen meist mitten in der Arbeitszeit. Wer in einer großen Firma arbeitet, hat es oft einfacher.

Dort gibt es inzwischen Ruheräume, Stille Räume oder sogar Gebetsräume. Vor allem in Unternehmen mit internationalem Personal. In kleineren Betrieben sieht das anders aus. Da fehlt oft das Verständnis oder schlicht der Platz.

Viele Muslime lösen das pragmatisch. Sie beten in der Mittagspause. Oder kurz am Ende der Schicht. Aber nicht jeder Beruf lässt das zu. Wer im OP steht, im Einzelhandel arbeitet oder am Fließband, kann nicht einfach den Arbeitsplatz verlassen.

Hier hilft nur eins: Kommunikation. Wer frühzeitig erklärt, worum es geht, stößt meist auf Verständnis. Arbeitgeber, die mitdenken, ermöglichen Pausen, wo sie möglich sind. Denn sie wissen, ein zufriedener, respektierter Mitarbeiter arbeitet besser.

Und Gebet braucht nicht viel. Fünf Minuten Ruhe und einen kleinen, sauberen Ort. Mehr nicht.

Krankenhaus: Ein Ort voller Grenzen – und Möglichkeiten

In Krankenhäusern gibt es oft Gebets- oder Andachtsräume. Sie sind neutral gehalten, ohne Symbole. Für viele Muslime ist das hilfreich. Denn nicht nur Personal betet, sondern auch Patienten und Angehörige.

Der Wunsch nach Gebet ist in Krisensituationen besonders stark. Das Gebet gibt Halt, wenn medizinische Worte versagen.

Problematisch wird es, wenn der Raum nicht zugänglich ist oder nur bestimmten Gruppen offensteht. Es braucht klare Regeln. Wer den Raum betritt, muss ihn so verlassen, wie er ihn vorgefunden hat.

Kein Ort für Debatten oder religiöse Auseinandersetzungen. Einfach ein Ort der Stille, offen für alle. Dann klappt das auch im Krankenhausalltag.

Flughäfen: Orte des Transits und der Spiritualität

Reisende Muslime erleben oft, wie wohltuend es ist, an Flughäfen Gebetsräume vorzufinden. Überall gibt es inzwischen Rückzugsorte. Nicht aus Gefälligkeit, sondern aus Anerkennung der Realität. Millionen Muslime reisen jährlich.

Und viele von ihnen beten. Wenn sie einen stillen Ort finden, erhöht das nicht nur ihre Zufriedenheit. Es zeigt auch, dass ihr Glaube Raum findet, ohne die anderen zu verdrängen.

Universitäten: Lernen und Beten – kein Widerspruch

Auch an Universitäten ist das Gebet ein Thema. Viele Studierende organisieren sich in Gruppen, sprechen mit der Hochschulleitung, suchen Räume. Manchmal klappt das sofort. Manchmal gar nicht. Doch wo gegenseitiges Verständnis herrscht, entstehen kreative Lösungen.

Ein Seminarraum in der Pause. Ein leerer Kellerraum mit sauberem Teppich. Es geht nicht darum, Moscheen an Universitäten zu bauen. Es geht darum, Studierende nicht zwischen Bildung und Glaube wählen zu lassen.

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Wenn Religion auf Unverständnis trifft

Trotz all dieser positiven Beispiele gibt es Konflikte. Manche Menschen fühlen sich durch das Gebet gestört. Andere glauben, Religion gehöre ausschließlich ins Private. In manchen Fällen kommt es zu offenen Auseinandersetzungen.

Dann wird das Gebet als Provokation wahrgenommen. Oder als Zeichen mangelnder Integration. Doch solche Sichtweisen übersehen, dass Integration nicht Selbstverleugnung bedeutet.

Konflikte entstehen meist aus Unwissenheit. Wer noch nie gesehen hat, wie ein Muslim betet, kann es für fremd halten. Wer es aber versteht, erkennt darin etwas sehr Menschliches. Ein Moment der Ruhe. Eine Form der Disziplin. Eine Haltung der Demut.

Deshalb braucht es Aufklärung, nicht Verbote. Das Gespräch ist entscheidend. Wer fragt, bekommt meist auch eine ruhige Antwort. Wer dagegen urteilt, ohne zu verstehen, bleibt außen vor.

Wie man Konflikte löst

Lösungen beginnen mit Zuhören. Ein Arbeitgeber, der die Beweggründe kennt, kann individuelle Wege finden. Eine Lehrerin, die einem Schüler Raum gibt, zeigt pädagogische Größe. Eine Verwaltung, die Rückzugsräume schafft, beweist Weitblick. 

Niemand verliert etwas, wenn ein Mensch kurz innehält, um zu beten. Die Gesellschaft gewinnt an Tiefe, wenn sie Raum für Vielfalt lässt.

Was nicht hilft, sind Extreme. Weder das Verbot noch die unkontrollierte Öffnung. Es braucht Regeln. Es braucht Respekt. Wer betet, soll niemanden stören. Und wer gestört ist, sollte überlegen, ob es wirklich das Gebet ist oder das eigene Unverständnis.

Ein stiller Akt mit öffentlicher Wirkung

Das Gebet ist kein politisches Statement. Es ist auch keine kulturelle Show. Es ist ein stiller, regelmäßiger Akt. Er macht Menschen ruhiger, aufmerksamer, fokussierter. 

Fünfmal am Tag wird man aus dem Trott geholt. Nicht durch Push-Nachrichten, sondern durch einen inneren Ruf. Wer das verstanden hat, sieht das Gebet nicht als Störung. Sondern als Zeichen einer gelebten Überzeugung, die niemandem schadet.

Der öffentliche Raum ist groß genug für viele Wege. Auch für den Weg, der nach Mekka führt.

Literatur
Nasai: Sunan An-Nasai. Dar-us-Salam Publications: Riyadh, 2007
Şahinöz C.: Das Gebetsbuch. Handbuch zum Islamischen Gebet. Theorie und Praxis. 11. Auflage. Yediveren: Istanbul, 2018
Şahinöz C.: Das große Buch der islamischen Bittgebete. Astec: Bochum, 2023

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