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Der „Islamismus“-Begriff als sprachliches Problem mit realen Folgen

Ausgabe 360

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Foto: Crazy Cloud, Adobe Stock

Der „Islamismus“-Begriff: Sprache formt nicht nur unsere Wahrnehmung der Welt, sondern auch unser Denken über andere Menschen.

(iz). Gerade in gesellschaftlich sensiblen Debatten wie der über Radikalisierung und Extremismus spielt die Wortwahl eine zentrale Rolle. Der Begriff „Islamismus“ ist dabei leider zu einem festen Bestandteil politischer, medialer und wissenschaftlicher Diskurse geworden – und genau das ist ein Problem.

Viele Muslime erleben diese Terminologie als stigmatisierend und ungerecht. Er lässt den Eindruck entstehen, als sei der Islam selbst ein Problem oder zumindest Teil des Problems. In Talkshows, Nachrichten und Zeitungen wird „Islamismus“ häufig in einem Atemzug mit Terror, Gewalt und Fanatismus genannt.

Dadurch entsteht in der öffentlichen Wahrnehmung eine fatale Verbindung: Islam gleich Gefahr. Die Folge ist eine kollektive Zuschreibung, die Millionen friedlicher, demokratischer und gesetzestreuer Muslime in Misskredit bringt. Sie fühlen sich dadurch nicht nur ausgegrenzt, sondern auch diskriminiert – sprachlich, politisch und gesellschaftlich.

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Besonders brisant ist die Endung „-ismus“. Sie ist in der deutschen Sprache typisch für ideologische Systeme: Kommunismus, Faschismus, Nationalismus, Rassismus, Sozialismus.

Islam, eine Weltreligion mit spirituellem und ethischem Fundament, wird durch diese Wortbildung ungewollt in dieselbe Kategorie gedrängt. Was ursprünglich als Begriff zur Abgrenzung extremistischer Strömungen gemeint war, entfaltet heute eine Wirkung, die den Kern des Islam verzerrt. Aus einer Religion wird eine Ideologie gemacht. Aus Gläubigen werden potenzielle Ideologen.

Ein weiteres sprachliches Ungleichgewicht fällt auf: Es gibt keinen „Christentumismus“, keinen „Judentumismus“, keinen „Hindutismus“. Auch dort existieren radikale Gruppierungen, die Gewalt im Namen ihrer Religion ausüben. 

Doch nur beim Islam wird der Name der Religion selbst zum Bestandteil eines Begriffs, der Terror, Fanatismus und politische Gewalt beschreibt.

Das ist kein Zufall. Es verweist auf tief verwurzelte kulturelle Vorurteile, die über Jahrzehnte hinweg gewachsen sind. Die Sprache zeigt, was gedacht wird – und was gedacht wird, wirkt sich auf das gesellschaftliche Klima aus.

Wenn es darum geht, radikale und gewaltbereite Strömungen zu benennen, braucht es Begriffe, die präzise und zugleich fair sind. Der Ausdruck „religiöser Extremismus“ erfüllt diese Anforderungen deutlich besser. Er benennt das eigentliche Problem – den Extremismus – und vermeidet zugleich die pauschale Verknüpfung mit einer spezifischen Religion.

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Foto: Fishman64, Shutterstock

Er macht klar, dass es hier nicht um Glauben geht, sondern um eine pervertierte Auslegung, die Gewalt legitimiert und Andersdenkende bekämpft. Diese Formulierung ist sachlich, analytisch und nicht stigmatisierend. Sie erlaubt es, Radikale beim Namen zu nennen, ohne Gläubige unter Generalverdacht zu stellen.

Ohnehin sind die meisten Fälle von Extremismus nicht religiös, sondern politisch motiviert. Dabei geht es um Macht und Beherrschung von Land und Boden.

Kaum zu glauben, dass diese Begrifflichkeit trotzdem seit Jahrzehnten verwendet wird. Wer aber solche Begriffe verwendet, sollte sich auch der impliziten Botschaften bewusst sein, die mitschwingen. In einer pluralen und offenen Gesellschaft braucht es Begriffe, die differenzieren statt zu pauschalisieren.

Sprache kann Brücken bauen oder Mauern errichten – sie kann verbinden oder spalten. „Islamismus“ spaltet. Daher muss er hinterfragt und durch präzisere, gerechtere Begriffe ersetzt werden. Nicht, um Probleme zu verharmlosen, sondern um sie endlich richtig zu benennen.

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