
(iz). Mein Kindergarten damals war sehr streng und diszipliniert. Wenn die Jungs sich geprügelt haben, oder wie auch immer man diese niedlichen Rangeleien nennen möchte, gab es harte Strafen wie kein Eis zum Nachtisch oder Schaukelverbot. Einmal hatten sich zwei Jungen in die Haare gekriegt, im wahrsten Sinne. Sie zogen sich an den Haaren und beleidigten einander. Jemand rief die Erzieherin und sie kam herbei. Die beiden Jungen fingen laut zu weinen an, um den jeweils anderen schuldiger erscheinen zu lassen. Sie versuchten ernsthaft, den anderen zu übertönen. Der am stärksten jammernde sollte das Opfer sein. Beide bekamen kein Eis.
Von klein auf lernte man die Weisheit, dass der Klügere nachgibt. Mit dem Erlernen des islamischen Verhaltens wird einem erklärt, dass das Debattieren viel Disziplin und Wissen voraussetzt. Mit der Erfahrung begreift man, dass man selbst für fast jedes Thema zu unwissend ist. So sollte es zumindest sein.
Die letzten Wochen waren eine Qual. Westliche Medien haben sich, in Kooperation mit oppositionellen Türken, auf den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan „eingeschossen“. Es wird zur Pflicht erklärt, pro oder contra sein zu müssen. Auf der einen Seite sogar oft im „Namen des Islam“. Nur lehrt uns der islamische Ritus eigentlich Differenziertheit und Rationalität.
Rein menschlich verstehe ich die Positionierung der Erdogan-Anhänger. Sie fühlen sich im medialen Krieg zur Loyalität aufgerufen und haben schlichtweg auch Angst vor der Rückkehr einer kemalistischen Diktatur. Jetzt nutze ich schon selbst das Wort Diktatur. Aber mal sehen, wie viele von denen, die anders herum damit rumschmeißen, jetzt aufspringen werden. Blöder Tarek!
In diesem Hin und Her werden Menschen in eine totalitäre Atmosphäre gedrängt: alles anprangernd oder alles verteidigend. Dieses Problem hatten auch die Syrer in den ersten Monaten des Aufstands. Zwei Jahre später weiß man, wohin das führen kann.
Dabei möchte ich gar nicht wirklich auf die politischen Probleme der Türkei eingehen, sondern das Verhalten der deutschen Muslime hinterfragen. Und damit meine ich auch, oder insbesondere, einige türkischstämmigen Muslime in Deutschland. Öffnet man Facebook, schlägt einem ein penetrantes Gejammer entgegen. Überall regt man sich über die „parteiischen Medien“ auf, diese lügnerische „Medienhetze“… Ach, echt? Habt ihr anderes erwartet?
Mir wurde immer beigebracht, mich von Dingen fernzuhalten, die mich aufregen. Aber BILD und SPIEGEL freuen sich über Aufrufe, ebenso über Aufregung. Die Realität ist nun einmal, dass sich mit Emotionen Geld machen lässt und sich nun nachträglich darüber zu beschweren, ist falsch, beinahe schon lächerlich. Natürlich werden sie nicht differenziert berichten. So war es doch schon immer. Wenn Dir die Nachrichten im TV nicht passen, dann musst Du sie nicht zu Ende hören und dann sagen, dass Du sie immer schon doof fandest. Du kannst sie auch einfach ausschalten.
Schon mal darüber nachgedacht, Alternativen zu bieten oder zu unterstützen? Die „Islamische Zeitung“ ist unabhängig und sollte von Anfang an eine Plattform sein. Es geht nicht darum ,auf den befreienden Beitrag zu warten, sondern ihn selbst zu leisten. Die muslimischen Gelehrten brachten ihren Schülern stets bei, Schuld und Lösung bei sich selbst zu suchen. Wer die Verantwortung von sich wegschiebt, verliert jede Fähigkeit, etwas zu bewirken.
„Likes“ sind eine kleine Hilfe, ja. Aber wir brauchen in unserer deutsch-muslimischen Gemeinschaft echte Handlungen, reale Umsetzungen. Unabhängige Medien sind auf die Hilfe der einfachen Menschen angewiesen und so lebt auch die IZ nur von ihren UnterstützerInnen. Umso stärker man auftritt, desto ernster wird man genommen. Das ist mein Aufruf, als Fan der IZ, sie zu unterstützen.