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Die Zukunft der Kriegführung

BERLIN/LONDON (GFP.com). Deutschland soll seine Rüstungs- und Militärkooperation mit Großbritannien intensivieren und dabei insbesondere die Kriegführung der Zukunft mit Hilfe von Robotern und Künstlicher Intelligenz in den Blick nehmen. Dies fordern Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Rahmen eines Programms, das von der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU) finanziert und am renommierten Londoner King’s College realisiert wird.

Hintergrund ist das Bemühen, das Vereinigte Königreich trotz seines Austritts aus der EU militärisch möglichst eng an die EU anzubinden, um die Schlagkraft der britischen Streitkräfte für künftige EU-Operationen nutzen zu können. Während die Militärkooperation zwar längst offiziell vereinbart ist, aber in der Praxis nicht recht in Gang kommt, plädieren die DGAP-Experten für einen Ausbau der Rüstungskooperation – etwa eine gemeinsame Entwicklung von Raketen – sowie für eine deutsche Beteiligung an britischen Programmen, die die umfassende Nutzung modernster Technologien von Kampfmaschinen bis zu Künstlicher Intelligenz ausloten.

„Beziehungen ausbauen“
Bemühungen um eine Intensivierung der deutsch-britischen Militärkooperation gibt es bereits seit Jahren. Hintergrund ist, dass einerseits Deutschland und Frankreich, andererseits Frankreich und Großbritannien militärisch eng zusammenarbeiten, letztere im Rahmen der am 2. November 2010 geschlossenen Lancaster House Treaties, dass jedoch unter den drei großen westeuropäischen Mächten ein deutsch-britisches Element bis heute fehlt. Ein Ausbau der Zusammenarbeit wurde schon vor dem Brexit-Referendum in den Blick genommen, so zum Beispiel beim Antrittsbesuch des damaligen britischen Verteidigungsministers Michael Fallon am 12. August 2014 in Berlin sowie bei einem Gegenbesuch der damaligen deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 11 Dezember 2014 in London.

Großbritanniens im November 2015 verabschiedete Militärstrategie („Strategic Defence and Security Review“) hielt explizit fest: „Wir streben eine Intensivierung unserer sicherheits- und verteidigungspolitischen Beziehungen zu Deutschland an.“ Umgekehrt heißt es im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ von 2016, man wolle „die sicherheitspolitische Partnerschaft mit Großbritannien … in allen Bereichen unserer gemeinsamen Interessen weiter ausbauen“.

E3-Kooperation
Auch nach dem Brexit-Referendum haben beide Seiten ihre Absicht, militärpolitisch enger zu kooperieren, mehrfach bekräftigt. So unterzeichneten von der Leyen und ihr damaliger britischer Amtskollege Gavin Williamson am 5. Oktober 2018 eine Absichtserklärung („Joint Vision Statement“), die konkrete Schritte vorsieht, darunter eine Verbesserung der Interoperabilität beider Streitkräfte, eine engere Ausbildungs- und Trainingskooperation sowie regelmäßige bilaterale Treffen auf unterschiedlichen Ebenen. Am 28. Februar 2019 trafen Williamson und von der Leyen zum ersten offiziellen britisch-deutschen Verteidigungsministerrat zusammen; am 16. Januar 2020 tauschten sich ihre beiden Amtsnachfolger Ben Wallace und Annegret Kramp-Karrenbauer aus.

Eine enge Anbindung des Vereinigten Königreichs nach dessen Austritt aus der EU gilt laut deutscher Auffassung als überaus wünschenswert, weil gemeinsame Operationen mit den als stark eingeschätzten britischen Streitkräften den Handlungsspielraum für EU-Einsätze klar ausweiten. Globale Schlagkraft soll auch das mittlerweile mehrfach erprobte Auftreten im „E3“-Rahmen (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) bieten, das den Interessen des Vereinigten Königreichs in mancherlei Hinsicht klar entspricht: So steht London im Konflikt mit Iran auf Seiten von Paris und Berlin, nicht von Washington.

Am King’s College
Weil die Militärkooperation in der Praxis noch nicht die gewünschten Fortschritte macht, hakt Berlin nach – mit Hilfe der vom Auswärtigen Amt finanzierten Hanns-Seidel-Stiftung (CSU), die seit 2019 ein Büro in London unterhält. Die Einrichtung des Büros ist mit dem expliziten Ziel geschehen, die bilateralen Beziehungen nach dem britischen Austritt aus der EU zu pflegen und in diesem Zusammenhang „Kontakt-Netzwerke“ in Regierungskreise, Parlament, Wirtschaft und Wissenschaft aufzubauen und zu pflegen.

Dazu arbeitet das Londoner Büro der Seidel-Stiftung mit mehreren Think-Tanks und dem „Policy Institute“ am renommierten Londoner King’s College zusammen. Aktuell finanziert die Stiftung ein Projekt, in dem sie gemeinsam mit dem „Policy Institute“ die Erstellung sowie die Publikation von Analysen zum Ausbau der Militärkooperation finanziert. Bislang erschienen sind unter anderem mehrere Papiere, in denen drei Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Vorschläge zur Intensivierung der Zusammenarbeit präsentieren.

Europäische Cruise Missiles
Dabei zielen die Vorschläge zum einen auf die Aufrüstung. Deutschland und Großbritannien, heißt es, sollten sich bemühen, gemeinsame Fähigkeitslücken zu schließen – nicht zuletzt mit Blick auf die Stärkung der europäischen NATO-Streitkräfte. So seien gemeinsame Anstrengungen in Sachen Luft- und Raketenabwehr erwägenswert; dabei könne es darum gehen, einerseits die Abwehr von Drohnen voranzutreiben, andererseits die Abwehr ballistischer Raketen.[5] Gleichzeitig komme es in Betracht, dass sich die Bundesrepublik an ausgewählten Teilprojekten eines britischen Rüstungsprogramms („Complex Weapons Programme“) beteilige, bei denen die Entwicklung von neuen Raketensystemen im Mittelpunkt stehe. Beide Länder könnten sogar über eine Entwicklung „europäischer“ Cruise Missiles nachdenken.

Neben diversen weiteren Vorschlägen legen es die DGAP-Experten der Bundesrepublik nahe, Seefernaufklärungsflugzeuge vom Typ P8-Poseidon zu leasen; dadurch erreiche man optimale Interoperabilität mit Großbritannien und Norwegen, die beide ebenfalls das vom US-Konzern Boeing produzierte Modell beschafften. Allerdings solle das Leasing enden, sobald – vielleicht in zehn bis 15 Jahren – der neu geplante deutsch-französische Seefernaufklärer einsatzreif sei.[6] Nicht zuletzt schlagen die Autoren vor, die jeweiligen Projekte zum Bau eines Kampfjets der nächsten Generation zu verbinden; dabei handelt es sich um das deutsch-französische Future Combat Air System (FCAS) und das britisch-schwedisch-italienische Modell Tempest.

Kampfmaschinen mit Künstlicher Intelligenz
Zum anderen zielen die Vorschläge auf gemeinsame Schritte bei der „militärischen Innovation“ sowie bei Planungen für die „Zukunft der Kriegführung“. Inhaltlich geht es dabei um die Frage, wie künftige Waffengänge unter Einsatz modernster Technologien geführt werden. Es sei davon auszugehen, heißt es etwa, dass perfektionierte Aufklärungstechnologien Schlachtfelder mehr oder weniger durchsichtig machten, während zugleich perfektionierte Waffen immer tödlicher würden. Dies werfe die Frage auf, welche Rolle Menschen auf solchen Schlachtfeldern einnehmen sollten, wenn nicht nur ihre Überlebenschancen zusehends sänken, sondern auch menschliche Aktivitäten von Maschinenoperationen – möglicherweise durch Künstliche Intelligenz getriebenen – an Wirksamkeit übertroffen würden.

Tatsächlich reichen die Szenarien, wenngleich immer wieder behauptet wird, letztlich bleibe die Entscheidung über Kriegsoperationen beim Menschen, immer näher an autonome Kriegführung von Kampfmaschinen heran. In derlei Sphären, urteilen die DGAP-Experten, sei die britische Rüstungsforschung und -industrie deutlich besser aufgestellt als die deutsche, die sich zu stark allein auf Cyberoperationen konzentriere. An britischen Projekten teilzunehmen, das könne der deutschen Seite die notwendige Vorbereitung auf die Zukunft der Kriegführung erleichtern.

Mit Milliardensummen
Die britische Regierung hat erst kürzlich angekündigt, in den kommenden Jahren 16,5 Milliarden Pfund zusätzlich für das Militär auszugeben. Profitieren sollen unter anderem Programme zur Cyber- und zur Weltraumkriegführung sowie zur militärischen Nutzung Künstlicher Intelligenz.