Man kann nur schlecht im Konjunktiv leben

Ausgabe 230

„Im Deutschen gibt es zwei Arten des Konjunktivs: den Konjunktiv I und den Konjunktiv II (…). Der Konjunktiv II wird auch Irrealis genannt. Er wird verwendet, um unmögliche und unwahrscheinliche Bedingungen oder Bedingungsfolgen zu benennen oder um auszudrücken, dass unter mehreren an sich möglichen Folgen (…) eine bestimmte Folge ausscheiden werde.“ (Wikipedia)

(iz). In den letzten Wochen geisterte wieder einmal die Annahme durch das Internet, das so genannte Kiezdeutsch sei doch im Grunde dufte. Das Wegfallen von Präpositionen („Ich geh Spielothek“) oder von Pronomen („Ich bring Händy“), kurzum, der überall dokumentierte und erfahrene Verfall von Sprache in der Moderne wird als ganz nett beschrieben. Im asozialen Medium Facebook sahen einige darin ein Mittel, um die Schere zwischen Bildungsgewinnern und -verlierern zu schließen. Denn, auf richtiges Sprechen zu bestehen, ist für manchen bereits ein Zeichen von Elitenbildung…

Es gibt mit kiezdeutsch.de (von der Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Wiese) ein Informationsportal, in dem man sich – ministeriell gefördert – über diesen Trend informieren kann. Allerdings kommt Prof. Dr. Wiese nicht umhin, die potenziellen Opfer dieser Entwicklung anschließend doch zu benennen: „„Ein Problem besteht allerdings für die jugendlichen Spre­cher/innen von Kiezdeutsch, wenn sie neben dieser Jugendsprache nicht auch das Standarddeutsche beherrschen, das für ihre gesellschaftliche Teilhabe und ihr berufliches Fortkommen ja wesentlich ist.“

Von Muslimen kann das Wissen erwartet werden, dass Sprache viel mehr ist als ein bloßes, täglich unverzichtbare Medium für mondäne Informationen. Allah beschreibt in der Sura Al-Baqara, wie Er Adam alle Namen lehrte. Die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch war das Prophetische mit Sprache verknüpft. Im Qur’an fand es seinen Höhepunkt, sodass die sprachliche Gewalt der letztgültigen Offenbarung von vielen als das größte Wunder angesehen wird, dass dem Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, gegeben wurde.

Zu den Dingen, die man im Kiezdeutsch wahrscheinlich eher selten finden wird, gehört der Konjunktiv. So wird er für die indirekte Rede von Autoren benutzt, deren Stilgefühl oder berufliche Gewohnheit es verbietet, ein Zitat an das nächste zu reihen. Er erfüllt aber auch eine Funktion, um ein Restmaß an Höflichkeit zu gewährleisten. „Könnten Sie mir wohl den Weg nach XYZ beschreiben“, klingt einfach höflicher als das „normale“ Gegenstück. Und ist die Bedienung einmal keine jobbende Studentin, sondern ausgebildete Fachkraft, könnte man den Konjunktiv gelegentlich noch in der Gastronomie hören, hätte man denn Glück.

Den Konjunktiv II hingegen habe ich in den letzten Jahren zu fürchten gelernt. Diese auch als Irrealis bezeichnete Modalform deutscher Verben ist gefährlich, zumal uns das nur selten bewusst wird. Eigentlich ist es ein unschuldiges sprachliches Mittel. Aber es birgt die Gefahr, sich von der Realität in ihr Gegenteil, die Irrealität zu bewegen.

Wer kennt das nicht: Nach langen Vorbereitungen steht eine Sache kurz vor ihrer Vollendung beziehungsweise Eröffnung und dann kommt ein Schlaumeier daher und meint, dieses oder jenes „hätte“ noch getan werden sollen oder müssen. Der Irrealis ist die ideale Verbform für den passiven Besserwisser oder den religiösen Puristen. Also für den Typ Mensch, der selbst nie für die Konsequenzen seines Handelns ­einstehen will beziehungsweise nichts zu unternehmen vermag, was die reine Lehre verletzen könnte.

Auch der politische Islam hiesiger und auswärtiger Prägung ist von seiner Anlage her durchaus konjunktiv-geschädigt. Sein Entwurf ist nie auf das augenblickliche Handeln und dessen Relation zum Schöpfer ausgerichtet, sondern häufig auf die Zukunft, in der die Dinge dann so sein würden, wie sie zu sein hätten. Gerne bedient er sich der Ausnahme, der Darura. Eine gebräuchliche Antwort ist auch: „Unsere Leute sind noch nicht so weit.“

Die Frage bleibt: Können wir uns nur auf ein etwaiges später vertrösten lassen, wenn es doch immer nur der jeweilige Augenblick bei Allah ist, der zählt?