Berlin (GFP.com). Dem Ausbau der Beziehungen zu Teheran und der Arbeit an einer Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens dient die heute beginnende Reise von Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Iran und Saudi-Arabien. Nachdem deutsche Politiker zuletzt vor allem die Iran-Geschäfte deutscher Unternehmen gefördert hatten, sollen nun auch die politischen Netzwerke gestärkt werden; dem dient eine Tagung der Münchner Sicherheitskonferenz am morgigen Samstag (17.10.) in der iranischen Hauptstadt.
In Riad hingegen wird der deutsche Außenminister sich vor allem bemühen müssen, den saudischen Herrscherclan, dessen Aggressionen im gemeinsamen Kampf gegen Teheran vom Westen jahrelang toleriert oder gar gefördert worden waren, zur Einfügung in die westlichen Neuordnungspläne für den Mittleren Osten zu bewegen. Absprachen über einen Interessenabgleich, wie sie im Kielwasser des Atomabkommens mit Iran stattfinden, wären mutmaßlich schon vor über einem Jahrzehnt möglich gewesen.
Im Mai 2003 legte Iran erstmals ein umfassendes Angebot für Verhandlungen über den Konflikt mit dem Westen vor, das weitreichende iranische Zugeständnisse vorsah – und in mancher Hinsicht an die aktuellen Auseinandersetzungen erinnert. Die Bush-Administration – in der Meinung, einen prowestlichen Umsturz in Teheran herbeiführen zu können – wies das Angebot kalt zurück. Die Folgen prägen die Region bis heute.
„Core Group“ in Teheran
Mit dem Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Iran setzt Berlin den Ausbau der Beziehungen zu Teheran fort. Nach dem Abschluss des Atomabkommens am 14. Juli hatten sich deutsche Politiker zunächst vor allem um neue Geschäfte für deutsche Firmen bemüht. Dem Iran-Aufenthalt von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wenige Tage nach der Unterzeichnung des Abkommens sind mittlerweile Reisen der Wirtschaftsminister zweier Bundesländer gefolgt. Die EU plant den Bezug großer Mengen iranischen Erdgases, voraussichtlich in Form von Flüssiggas. Auch hier bringen sich deutsche Firmen in Stellung: Wintershall ist kürzlich in Teheran vorstellig geworden und erstrebt den Einstieg in die iranische Branche; der Münchner Technologiekonzern Linde hofft auf Milliarden-Aufträge bei der Erdgas-Verflüssigung.
Steinmeier, der ohne Wirtschaftsdelegation anreist, will nun die politischen Kontakte intensivieren und nimmt am morgigen Samstag an einem Treffen der Münchner Sicherheitskonferenz teil, die eine prominent besetzte Tagung („MSC Core Group Meeting“) in der iranischen Hauptstadt angekündigt hat. Ergänzend will der deutsche Außenminister die Kontakte zwischen den Kultureliten beider Länder intensivieren; dies könne die Öffnung Irans auf kultureller Ebene abfedern, heißt es in Berlin.
Brücken zur Neuordnung
Im Auswärtigen Amt wird Steinmeiers Reise als „außergewöhnlich“ bezeichnet – nicht nur, weil sie dem Wiederausbau der Beziehungen zu Teheran dient, sondern auch, weil der Außenminister am Sonntag direkt nach Riad weiterreist. Saudi-Arabien, traditioneller Rivale Irans am Persischen Golf, hat von dessen Konflikt mit dem Westen massiv profitiert – weil es zuverlässig auf politische Unterstützung hoffen konnte, mit modernstem Kriegsgerät gegen Teheran hochgerüstet wurde und auch bei seiner Einmischung im Ausland und seinen militärischen Interventionen, etwa in Syrien und im Jemen, entweder auf Hilfe oder doch zumindest auf verständnisvolle Duldung rechnen durfte.
Die neue Kooperation des Westens mit Teheran stellt dies zumindest ansatzweise in Frage. Entsprechend verärgert reagiert die saudische Regierung. Der deutsche Außenminister will Riad nun dazu bewegen, den westlichen Kurswechsel inklusive all seiner Konsequenzen zu akzeptieren. Es gehe um nichts Geringeres als eine Neuordnung der Region unter Einbindung Irans, erläutern Außenpolitik-Experten. Berlin müsse „helfen, Brücken zu bauen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien“, beschrieb Steinmeier sein Vorhaben am Mittwoch im Deutschen Bundestag.
Grand Bargain
Verhandlungen über einen umfassenden Interessenabgleich im Mittleren Osten, wie sie zur Zeit im Kielwasser des Atomabkommens mit Iran geführt werden, wären mutmaßlich schon vor einem Jahrzehnt möglich gewesen, scheiterten damals jedoch – weil sich im Westen die Ansicht durchsetzte, man könne in Iran einen machtpolitisch vorteilhaften Umsturz erreichen. Dies geht aus Berichten und Originaldokumenten hervor, die bereits vor Jahren in US-Medien veröffentlicht worden sind.
Demnach wandte sich Teheran im Mai 2003 mit Vorschlägen an die US-Regierung, wie der eskalierende Streit zwischen ihnen beigelegt werden könne. Hintergrund waren einerseits konstruktive Absprachen zwischen beiden Staaten über das Vorgehen in Afghanistan, die auf der gemeinsamen Gegnerschaft zu den Taliban beruhten und ab Ende 2001 eine Grundlage für weitergehende Kooperationen zu bieten schienen. Andererseits sah sich Irans Regierung, nachdem die Vereinigten Staaten den irakischen Staatschef Saddam Hussein auf dem Höhepunkt ihrer globalen Macht gestürzt und Irak besetzt hatten, dazu genötigt, Washington Zugeständnisse zu machen. Irans damaliger UN-Botschafter Javad Zarif – heute amtiert er als Außenminister des Landes – ließ im Mai 2003 im Weißen Haus ein Konzeptpapier vorlegen, das als Grundlage für Verhandlungen und nach Möglichkeit auch für eine umfassende Vereinbarung über einen Abgleich mit den Vereinigten Staaten dienen sollte. Von einem „Grand Bargain“ war die Rede.
Transparenz gegen Sicherheit
Tatsächlich umfasste das Konzeptpapier eine ganze Reihe von Vorschlägen, die eine Lösung des Konflikts zwischen Iran und dem Westen denkbar erscheinen ließen. So war von „voller Transparenz“ auf Seiten Irans in sämtlichen Fragen die Rede, die den Streit um eine mögliche Entwicklung iranischer Atomwaffen betrafen. Darüber hinaus hieß es, Iran könne den USA künftig im Irak – ähnlich wie in Afghanistan – bei der Stabilisierung des Landes zur Seite stehen.
Zudem wurde ein Ende der iranischen Unterstützung für „palästinensische Oppositionsgruppierungen“ in Aussicht gestellt; auch hielt Teheran es für denkbar, den Umbau der libanesischen Hizbollah zu einer „rein politischen Vereinigung“ zu fördern. Im Gegenzug verlangte die iranische Seite die Beendigung der Sanktionen und die Berücksichtigung ihrer „legitimen Sicherheitsinteressen“; auch wollte sie die Einmischung in die inneren Angelegenheiten Irans eingestellt sehen. Themen dieser Art sind tatsächlich zehn Jahre später in den Atomverhandlungen bearbeitet worden oder sind Gegenstand aktueller Gespräche, wie sie der deutsche Außenminister an diesem Wochenende in Teheran führt.
Neigung zum Regime Change
Mehrere teils hochrangige Mitarbeiter der Bush-Administration haben später eingeräumt, dass der iranische Vorschlag vom Mai 2003 in Washington nicht weiter ernst genommen wurde. „Ich denke, es hat eine Menge verpasste Gelegenheiten gegeben“, äußerte bereits 2006 recht diplomatisch ein damals für Mittelost zuständiger Geheimdienstmitarbeiter. Der iranische Vorschlag sei „eine ehrenwerte Anstrengung“ gewesen, um die Grundlage für eine Wiederannäherung zwischen den USA und Iran zu legen, urteilte ein führender Mitarbeiter des US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrats. Richard N. Haass, heute Präsident des renommierten Council on Foreign Relations, damals Leiter der Planungsabteilung im US-Außenministerium, berichtete, er habe die Auffassung der Regierung ausdrücklich „nicht geteilt“, dass „das iranische Regime am Abgrund“ gestanden habe. Es habe in der US-Regierung eine „Neigung zu einer Politik des Regime Change“ gegeben, schilderte Haass die damalige Stimmung in Washington. Dies sei der Grund gewesen, weshalb man den iranischen Verhandlungsvorschlag kalt ignoriert habe.
Die Konsequenzen
Das Vorgehen ähnelt in dieser Hinsicht der westlichen Syrien-Politik. Auch mit Blick auf Damaskus wäre bereits im Frühjahr 2012 ein internationaler Interessenabgleich möglich gewesen, wurde aber von den westlichen Mächten abgelehnt, die damals auf einen baldigen Sturz der Regierung von Bashar al-Assad hofften. Hätte der Westen sich damals auf einen möglichen Kompromiss eingelassen, wäre Syrien der Absturz in den umfassenden Krieg womöglich erspart geblieben.
Ähnliches lässt sich über die Ablehnung des iranischen Verhandlungsangebots aus dem Jahr 2003 sagen: Wäre es akzeptiert worden und hätte es zum Erfolg geführt, dann hätten dem Nahen und Mittleren Osten womöglich zahlreiche Konflikte erspart werden können, in die Iran involviert war und ist – im Libanon, im Irak und in Syrien. An den Folgen der von Umsturzhoffnungen genährten westlichen Kompromisslosigkeit leidet der Nahe und Mittlere Osten bis heute.
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