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Empörung im digitalen Zeitalter

Empörung
Foto: Drazen Zigic, Shutterstock

Ästhetik der Empörung: Soziale Medien zwischen Affekt, Oberfläche und entleerter Politik. Ein Kommentar.

(iz). Empörung galt in der politischen Philosophie traditionell als Anfang jeder Veränderung. Bereits Aristoteles verstand Affekte nicht als bloße Regungen des Inneren, sondern als Kräfte, die sich notwendigerweise auf die Welt richten. 

Wer Ungerechtigkeit empfindet, neigt dazu, zu handeln; wer moralisch berührt ist, sucht nach einem Ausgleich. Empörung war damit ein Anstoß – ein Impuls zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit und zur Beteiligung am Gemeinwesen.

Im digitalen Zeitalter jedoch entsteht eine bemerkenswerte Verschiebung. Die technische Infrastruktur sozialer Medien hat die Beziehung zwischen Gefühl und Handlung gelöst. Empörung wird zwar stärker, sichtbarer – lauter – aber führt immer seltener zu Konsequenzen. Die Intensität ersetzt die Tat.

Im digitalen Raum genügt es, ein Statement zu posten, ein Hashtag zu benutzen, ein Symbol zu teilen, um sich als handelndes politisches Subjekt zu empfinden, ohne dass tatsächlich ein Eingriff in die Welt erfolgt.

Die moralische Haltung wird ästhetisch inszeniert, während ihre Wirksamkeit verfällt. Die Folgen auf der Ebene der „Follower“ sind offensichtlich, es herrscht ein Gefühl der Frustration und das Gefühl, dass die eigene Stimme nicht zählt.

Foto: Frankfurter Buchmesse / Marc Jacquemin

An dieser Stelle lässt sich eine Beobachtung Slavoj Žižeks einfügen, die die Problematik der digitalen Empörung scharf beleuchtet: Soziale Medien können – so Žižek – durchaus eine sinnvolle Funktion haben, wenn das Virtuelle das Reale vorbereitet, wenn online artikulierte Haltungen den Übergang zu konkretem Handeln erleichtern.

Doch gerade dieser Übergang bricht heute ab. Statt Brücke zu sein, wird das Virtuelle Barriere: Die Plattformen schüren Affekte, radikalisieren die Sprache und erzeugen ein Klima moralischer Erregung, das reale Kommunikation eher blockiert, als sie zu eröffnen.

Was als Mobilisierung gedacht sein könnte, verwandelt sich in ein geschlossenes Zirkulieren von Emotionen, das den Schritt in die Wirklichkeit verhindert. Nicht gerade zufällig enden die meisten Debatten in der Bildung zweier, sich unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern.

Diese Verschiebung ist kein individuelles Versagen, sondern eine strukturelle Konsequenz. Die Ökonomie der sozialen Medien belohnt Aufmerksamkeit, nicht Weltbezug. Moral wird zum Content und Empörung zur Währung. Politische Aussagen werden von der Logik der Plattformen absorbiert, kommerzialisiert und in ein Format überführt, das sich vor allem dafür eignet, konsumiert zu werden.

Byung-Chul Han spricht zu Recht von einer „Ausbeutung der Emotionalität“ in einer Zeit, in der Empörung inflationär geworden ist. Was früher ein moralischer Ausnahmezustand war, ist heute ein alltägliches Hintergrundrauschen – und gerade dadurch verliert die Empörung ihre Kraft.

In dieser ästhetisierten Politiklandschaft spielen Influencer eine ambivalente Rolle. Zwar äußern viele von ihnen politische Positionen, teilen Standpunkte zum Klima, zu Identität, zu Gerechtigkeit. Doch oft sind diese Äußerungen weniger Ausdruck echten politischen Handelns als Elemente einer sorgfältig kuratierten Marke.

Foto: Shutterstock

Politik erscheint hier als Stilmittel. Sie wird nicht betrieben, sondern gezeigt. Influencer machen Politik sichtbar, aber verändern sie selten. Ihre Botschaften sind in die Logik der Sichtbarkeit eingewoben: Sie müssen kompatibel bleiben mit Follower-Erwartungen, Markenpartnerschaften und der Ästhetik der eigenen Selbstdarstellung. So entsteht eine Form des Politischen, die zwar intensiv erscheint, aber kaum Handlungsräume öffnet.

Der Bruch ist deutlich: Die digitale Empörung ersetzt die Konsequenz der Tat; die moralische Pose ersetzt das politische Handeln; das Bild ersetzt die Welt. Politik, so scheint es, wird im Modus des Spektakels betrieben, nicht im Modus der Verwirklichung.

Doch diese Diagnose ist nicht bloß kulturkritisch, sondern verweist auf eine grundlegende philosophische Frage: Was heißt es heute überhaupt noch, politisch zu handeln? Wenn Empörung im Netz zumm Selbstzweck wird, verliert sie ihre transformatorische Kraft.

Und wenn das Politische auf die Bühne der persönlichen Marken und der algorithmischen Beschleunigung verlagert wird, dann verschiebt sich das Zentrum politischer Handlungsmacht aus dem öffentlichen Raum in die digitale Ästhetik. Im realen Leben beklagen ideelle Projekte oder Organisationen mangelnde Unterstützung.

So bleibt die Frage offen, ob die digitale Empörung eine neue Form politischer Artikulation ist oder eher ein Echo politischer Ohnmacht. Sicher ist nur: Sie ist laut, sichtbar, schnell – und dennoch oft folgenlos.

Die Herausforderung der Gegenwart besteht darin, den verlorenen Zusammenhang zwischen Affekt und Handlung wiederherzustellen. Denn erst, wenn Empörung wieder in Konsequenz übergeht, kann sie ihren ursprünglichen Charakter zurückgewinnen: den eines Motors der Gerechtigkeit und eines Anfangs echten politischen Handelns.

Vielleicht müssen wir die virtuelle Plattformen verlassen und wieder lernen, gemeinsam zu handeln. Das ist mühsam, aber folgenreich.

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