Erdogan-Berater Aydin kritisiert den überproportionalen Einfluss bestimmter Gruppen in der türkischen Bürokratie

(iz). In einem umfangreichen Beitrag für die Publikationsplattform Project Syndicate hat Ertan Aydin, Berater des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, den überproportionalen Einfluss bestimmter Gruppierungen – namentlich der Gülen-Bewegung – auf die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit von Justiz und Strafverfolgungsbehörden beklagt.

Es gehe nicht um „einen Kampf zwischen der Exekutive und der Judikative“, sondern um „Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Strafverfolgungsbehörden“, die beide auf dem Spiel stünden.

Ende eines Bündnisses
Die einstmals bestehende de facto Allianz zwischen der gewählten Regierung und der Bewegung unter dem Prediger Fethullah Gülen wurde aufgelöst. Jetzt scheint es so zu sein, so Aydin, dass sie „einen eigenen Staatsstreich plant“. Aus einer legitimen Ermittlung zu Korruptionsvorwürfen gegen „Regierungsvertreter, Geschäftsleute und Angehörigen von Politikern“ sei eine oppositionelle Schmutzkampagne geworden.

„Die aktuellen Probleme der Türkei werfen wichtige Fragen über die angemessene Beziehung zwischen Bürokraten und gewählten Vertretern in einer pluralistischen Demokratie auf. Um sie zu beantworten, braucht es eine Debatte, die Themen wie Gewaltenteilung und Unabhängig der Justiz übersteigt und das angemessene Verhältnis zwischen Politik und Religion klärt.“

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Der Autor verwies auf den Langen Marsch muslimischer Eliten in die bürokratischen Führungsebenen der Türkei. Nach jahrzehntelangen Gängeleien und Repressalien durch das laizistische Establishment, Militär und Bürokratie sei es in Folge des AKP-Sieges 2002 zu einer „Normalisierung der türkischen Demokratie“ gekommen. „Dieser Prozess nutzte insbesondere Mitgliedern der Gülen-Bewegung, die über umfangreiche Netzwerke in Bildung, Medien und Wirtschaft verfügte. Die Gülen-Anhänger (…) schienen die natürlichen Verbündeten von Erdogans Regierung zu sein.“

Ging es wirklich um Schulen?
Obwohl Gülen-Anhänger mit vielen der Regierungsstrategien nicht einverstanden gewesen seien, hätten sie die AKP bei den letzten drei Wahlen überwiegend unterstützt. Was sie dazu getrieben habe, die Partei komplett abzulehnen, sei eine politische Debatte über die Umgestaltung von „Nachhilfeinstituten“ gewesen – umfangreiche private Einrichtungen, die Oberschüler auf die Zulassungsprüfungen zu den Universitäten vorbereiteten. Sie sind eine Schlüsselkomponente des Milliarden schweren Erziehungsnetzwerkes der Bewegung.

„Aber ihre Reaktion war unverhältnismäßig. Auch, weil die Pläne der Regierung noch nicht fertig waren. Außerdem hatte der Entwurf nichts mit der Gülen-Bewegung zu tun. Die Regierung handelte nach Beschwerden von Bürgern, die extravagante Gebühren bezahlen mussten (…). Außerdem traf es die Gülen-Bewegung auch nicht wirklich unvorbereitet. Vertreter der Nachhilfeinstitute standen seit geraumer Zeit in einem Austausch mit Vertretern des Bildungsministeriums.“

Wie geht es weiter?
Jetzt sei es an den Gerichten, die Wahrheit über Bestechung unter den so genannten „Staatsdienern“ der Türkei herauszufinden. Aber alle Zeichen deuteten auf einen koordinierten politischen Kreuzzug von Gülen-Anhängern. „Damit wir uns nicht missverstehen: Das soll nicht bedeuten, dass es keinen versuchten Putsch auf Seiten von Militärs in der Vergangenheit oder Korruption bei Politikern beziehungsweise Bürokraten gegeben hat. Der Punkt ist dass die Türkei eine Justizreform braucht. Sie muss die Möglichkeit von organisierten Cliquen ausschließen, die ihre verfassungsgemäßen Einfluss missbrauchen, um ihre Ziele zu realisieren.“ (sw)