Fernsehtipp: Eine 3sat-Dokumentation beleuchtet das Phänomen der Solidarität. Feature von Tim Slagman

Was hält eine Gesellschaft im Inneren zusammen? Dokumentarfilmer Christian Bock begibt sich auf eine facettenreiche Suche nach der Solidarität.

Mainz (KNA). Die Solidarität, so lautet ein berühmter Satz von Che Guevara, sei die Zärtlichkeit der Völker. In Christian Bocks Dokumentation „Solidarität in der Krise“ steht er auf einen Bus geschrieben, auf leuchtend rotem Lack. Bock spielt gerade zu Beginn seines Films, der am Donnerstag um 20.15 Uhr auf 3sat läuft, gerne mit derlei Einblendungen, mit der Kombination von Bildern unterschiedlicher Herkunft. So zieren die Plakate einer Tierrechtsdemo am Münchner Karlsplatz plötzlich Eindrücke von anderen Kundgebungen, etwa gegen Polizeigewalt. Viel Schwarz mischt sich dadurch in die – so suggeriert es dieser Kontrast – recht handzahme Versammlung der Tierschützer.

Diese Art von im Wortsinne demonstrativer Bekundung von Solidarität sei anscheinend im Schwinden begriffen, heißt es durchaus polemisch, wenn für Tiere statt für Mitmenschen auf die Straße gegangen werde. Doch bald beruhigen sich die Bilder und die filmische Erzählung, und Bock macht sich auf die Suche nach dem eher implizit denn aggressiv sichtbar politischen Charakter der Solidarität – und nach den möglichen Definitionen dieses offensichtlich schwammig gewordenen Begriffs.

Dorothea Handreke gehört zu den Protagonisten, die diesen Begriff weniger theoretisch definieren mögen, sondern ganz praktisch mit Leben füllen: Sie betreut einmal in der Woche Obdachlose, verkauft selbstgenähte Dirndl für einen guten Zweck, kümmert sich um Flüchtlinge, die im Oberbayerischen ein stillgelegtes Hotel bezogen haben. Für sie ist es entscheidend, dass man „die Empfindung hat, dass es anderen Menschen genauso gut gehen sollte wie einem selbst“. Der Düsseldorfer Philosoph Ulf Tranow, der über Solidaritätskonzepte promoviert hat, hält die Solidarität für das „unverzichtbare Fundament einer freien Gesellschaft“. Und deren Kern bestehe darin, „eine Leistung zu erbringen, für die es keine unmittelbare Gegenleistung gibt“.

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Bock hat seine Dokumentation auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Alltag angesiedelt. Zum einen beobachtet er die Experimente von Neurobiologen, Ökonomen und Psychologen in einer geordneten, zweckmäßigen, bisweilen durchaus biederen Ästhetik. Wenn Probanden erfahren, dass die Belohnungen für die gleiche Leistung bei zwei Menschen unterschiedlich ausfallen, dann wird der Frontallappen aktiviert, stellt der Hirnforscher Bernd Weber fest – ein Bereich, der unser Hirn wesentlich von dem etwa eines Primaten unterscheide.

Die enttäuschend hohe Zahl von 20 Prozent der Menschen, die im Test aufgefordert wurden, einen Geldbetrag zu teilen, entscheiden sich für das absolute Minimum, fand die Wirtschaftswissenschaftlerin Katrin Schmelz heraus. Wer wie sie selbst in der DDR aufgewachsen ist, handelte im Experiment im Schnitt weniger solidarisch als Westdeutsche.

Lässt man Briefe auf der Straße liegen, so werden diese von Passanten nicht weniger häufig eingeworfen, wenn sie an eine islamische Stiftung adressiert sind, als wenn der Empfänger eine Kulturstiftung ist, weiß Psychologin Susanne Veit erleichtert zu berichten. Doch in einem soziologisch heterogenen Viertel werden insgesamt weniger Briefe zum Kasten getragen als in solchen, die von einer einzelnen Bevölkerungsgruppe dominiert werden.

All diese Methoden und Konzepte, all die Ergebnisse und Schlussfolgerungen präsentiert Bock in einer außerordentlich dichten filmischen Erzählung, die immer dann am stärksten ist, wenn sie selbst zum Atemholen kommt: beim Besuch einer Familie mit neun Kindern etwa, deren Mutter Mitarbeiterin und gleichzeitig Begünstigte der Münchner Tafel ist. Oder in einem Kurzporträt des Erfurter Ausländerbeauftragten Jose Paca, der 2014 das Bundesverdienstkreuz erhielt und wenige Tage später angegriffen und rassistisch beschimpft wurde. Seinen Humor hat der quirlige Erfurter dabei nicht verloren – und bei aller Schwierigkeit, des Begriffs der Solidarität habhaft zu werden, endet auch Bocks Film auf einer ambivalenten Note: Eine Welt, in der keine Solidarität nötig sei, könnten wir uns nicht vorstellen, sagt der Philosoph Tranow.

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