(iz). Der misslungene Putschversuch in der Türkei und seine Folgen beschäftigen nach wie vor die Debatte in Deutschland. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden der Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD), Zafer Sırakaya, über die Situation in dem geostrategisch wichtigen Land. Sırakaya wurde 1974 in Herne geboren und studierte Verwaltungs- und Politikwissenschaften. Er leitete von 2014 bis Februar 2016 die Repräsentanz der AKP in Brüssel. Die UETD ist in 16 europäischen Staaten vertreten und unterhält dort mehr als 250 lokale und regionale Ortsverbände.
Islamische Zeitung: Sehr geehrter Herr Sırakaya, in den letzten Wochen gab es Berichte wie die von amnesty international (ai) über angebliche Folter in türkischen Gefängnissen. Wie können diese Berichte eingeordnet werden? Sind sie als manipulative Desinformationskampagnen anzusehen oder entsprechen sie der Wahrheit?
Zafer Sırakaya: Woran macht amnesty international die Existenz von Folter fest? Waren sie in den Gefängnissen oder haben sie die Bilder von festgenommenen Putschisten, die hunderte Menschen ermordet und Tausende zum Teil schwer verletzt haben, im Fernsehen gesehen?
Die UETD lehnt als eine Organisation, die die Menschenrechte und Demokratie als wichtigste Grundprinzipien der Zivilisation ansieht, Folter und Misshandlungen kategorisch ab.
Es war im Übrigen die AK-Partei, die nach der Regierungsübernahme im Jahr 2002, auch im Zuge der Annäherung an die Europäische Union, Folter in der Türkei abgeschafft und grundlegende Reformen bei der Polizei und Justiz durchgesetzt hat.
Es ist augenscheinlich, dass nur wenige Tage nach einem Putschversuch, was in der Tat schwerwiegender zu gewichten ist als ein Terroranschlag, ein Bericht von ai veröffentlicht wird. Die Berichte von ai wären glaubwürdiger, wenn sie mit einem zeitlichen Abstand erscheinen. Ich bin gespannt, ob ai in ein paar Monaten wieder zu den gleichen Ergebnissen gelangen wird, wie während und kurz nach dem gescheiterten Staatsstreich.
ai beschreibt sich zwar selbst als Hüter der Menschenrechte, des Rechtsstaatsprinzips und der Demokratie, doch paradoxerweise kommt in dem veröffentlichten Bericht keine einzige Stellungnahme zum gewaltsamen Versuch der Auflösung des türkischen Parlaments, zum Vorhaben der Ermordung des demokratisch gewählten Staatsoberhauptes oder zur Bemühung der Aufhebung der rechtsstaatlichen Verfassung. Weder die Bombardierung des Parlamentsgebäudes noch die Ermordung und Verletzung der zivilen Bevölkerung wird kommentiert.
Die mangelnde Verurteilung und Kritik an den Putschisten seitens ai gilt für uns als Beweis für die fehlende Unabhängigkeit und Objektivität der Organisation. Die Foltervorwürfe entsprechen auf keinen Fall der Wahrheit. Die Türkische Republik ist zweifellos ein Rechtsstaat und achtet auch im Falle von Festnahmen in Ausnahmezuständen vorrangig auf die Aufrechterhaltung der nationalen und internationalen Menschenrechte. Inhaftierte Personen stehen entsprechend der gesetzlichen Regelung sowohl im Moment ihrer Verhaftung als auch während der Haft unter ärztlicher Kontrolle. Auch die angeblichen Vergewaltigungsvorwürfe sind absolut inakzeptable Verleumdungen.
Islamische Zeitung: Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei wurden Hunderte Richter und Staatsanwälte verhaftet oder entlassen. Sehen Sie und ihr Verband die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr?
Zafer Sırakaya: Die UETD steht für Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und Gewaltenteilung. Die Gerichte müssen unabhängig sein und ihre Entscheidungen im Namen des Volkes und nicht im Namen einer terroristischen Organisation oder deren Führer fällen.
Es ist kein Geheimnis, dass die Terrororganisation Gülen seit Jahrzehnten ihre Mitglieder in die juristischen Fakultäten kanalisiert, um Gerichtsbeschlüsse im Interesse dieser Organisation zu beeinflussen. Die dadurch demonstrierte Macht versetzt die türkische Gesellschaft in Angst. Eine abhängige Justiz kann nicht neutral entscheiden. Daher stellt der Staat im Moment die Unabhängigkeit der Gerichte wieder her.
Es ist erwiesen, dass für viele Bürokraten und Beamte die Loyalität gegenüber Fethullah Gülen vor der Loyalität zur türkischen Verfassung steht. So eine Situation kann in keinem Land der Welt gutgeheißen werden. Wer Staatsbediensteter ist und seinen Lohn vom Staat erhält, darf nicht als Befehlsempfänger von anderen Institutionen oder Personen fungieren.
Islamische Zeitung: Seit Jahren berichten große Teile der deutschen Medien über Einschnitte in der Pressefreiheit. Gibt es noch eine freie Presse in der Türkei?
Zafer Sırakaya: Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie und Menschenrechte. Auch kritische oder unpassende Meinungen müssen in einer Demokratie toleriert werden. In der Türkei gab es auch vor dem Putschversuch zahlreiche Angriffe, Beleidigungen oder Drohungen gegenüber dem Präsidenten oder die Institutionen des Staates. Sie können diese auch heute noch im Internet nachverfolgen. Gegen diese Angriffe hat man das Recht, sich juristisch zur Wehr zu setzen.
Es ist aber etwas ganz anderes, wenn die Meinungs- und Pressefreiheit für terroristische Ziele oder zum Zwecke von sicherheitsgefährdenden Maßnahmen missbraucht wird. In keiner Demokratie ist es legal, im Namen der Pressefreiheit Propaganda für Terrororganisationen zu machen, die öffentliche Sicherheit oder den gesellschaftlichen Frieden zu gefährden. Außerdem gibt ein Presseausweis nicht immer eine Garantie dafür, dass sich deren Besitzer nicht auch als Terroristen oder Kriminelle betätigen können.
Islamische Zeitung: Wie steht die UETD zur Einschränkung des Demonstrationsrechts in der Türkei?
Zafer Sırakaya: In der Türkei gibt es genauso wie in Deutschland ein Recht auf Demonstration und Versammlung. Erst letzte Woche haben zahlreiche Oppositionsparteien zu einer Kundgebung aufgerufen, wo auch Abgeordnete der Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei anwesend waren. Die Genehmigung solcher Demonstrationen liegt bei den Provinzgouverneuren, die für die Sicherheit dieser Veranstaltungen haften.
Wenn sie eine Gefahr für die innere Sicherheit oder den gesellschaftlichen Frieden sehen, können sie eine Demonstration auch verlegen oder verbieten.
Soweit ich informiert bin, gibt es keine Versammlungsverbote für legale und demokratische Gruppierungen. Jeder, der sich an die Auflagen hält, hat das Recht zu demonstrieren.
Islamische Zeitung: Im Westen wird der Umgang der türkischen Regierung mit den HDP-Abgeordneten immer wieder kritisiert. Zuletzt wurde der Co-Vorsitzende Demirtaş als einziger Oppositionspolitiker nicht zur Versammlung für die „Demokratie und Märtyrer“ in Istanbul eingeladen. Finden Sie den Umgang mit der HDP fair?
Zafer Sırakaya: In der Türkei ist eine Partei im Parlament vertreten, die als politischer Arm einer Terrororganisation eingestuft wird. Es gibt Aktivisten in dieser Partei, die mit Waffen im Kofferraum erwischt wurden. Sie wollten diese an die separatistische Terrororganisation PKK aushändigen, die damit Zivilisten und türkische Sicherheitsbeamte töten.
Auf der anderen Seite sind zahlreiche Abgeordnete der HDP zu Kondolenzbesuchen bei der Familie des Selbstmordattentäters vom Kızılay-Platz in Ankara, wo fast 40 Bürger ermordet wurden, gewesen. Stellen Sie sich mal vor, Abgeordnete deutscher Parteien würden Angehörige von DEASH- oder Al-Kaida-Terroristen besuchen, die zuvor hunderte deutsche Zivilisten ermordet hätten. Da gäbe es aber nicht nur einen Aufschrei. Diese Abgeordneten würden wohl nicht mehr im Bundestag sitzen können.
Der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, stellte nach dem Putschversuch vom 15. Juli eine Achtlosigkeit zur Schau, die kaum zu überbieten war: Er verglich die Menschen, die auf die Straßen gingen, um die Demokratie zu verteidigen mit ISIS-Anhängern. Ich möchte Sie fragen, wie man mit jemandem, der solch eine Respektlosigkeit offenbart, irgendwo gemeinsam auftreten kann?
Der Putschversuch muss meines Erachtens „ohne Wenn und Aber“ geächtet werden. Das ist eine Voraussetzung für jeden, der sich als Demokrat bezeichnet. Andernfalls wird die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit hinterfragt. Die Position der HDP in der türkischen Gesellschaft ist zur Zeit leider genau jene, die ich beschrieben habe.
Als militärischer Flügel der HDP hat die PKK, die übrigens auch in Deutschland als Terrororganisation gelistet ist, 40.000 Menschenleben auf dem Gewissen. Wenn es eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gibt, dann bitteschön gegen jede Art von Terror. Es kann nicht sein, dass man zwischen nützlichen, also guten und unnützlichen, also bösen Terrororganisationen unterscheidet. Da erwarte ich mehr Aufrichtigkeit.
Das Gespräch führte Yasin Baş. Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”
Ein Kommentar zu “„Foltervorwürfe entsprechen nicht der Wahrheit“”
Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.
Wieso vermitteln die Aussagen türkischer Politiker und die Bilder westlicher Medien (einige durchaus wohlwollend) den Eindruck, dass Verdächtige (ohne Rechtsgrundlage) zusammengetrieben, wie Vieh zusammengepfercht und brutal misshandelt wurden.Ohne rechtliche Würdigung und Verurteilung jemanden zu misshandeln entspricht nicht dem international anerkannten Kanon von Grund- und Menschenrechten. Ich war entsetzt, das zu sehen. Unsere unabhängige Berichterstattung in den Medien einfacg als Türkei -Bashingo.ä. zu bezeichnen, ist zu einfach.