, ,

Wie wichtig ist das Freitagsgebet?

Ausgabe 361

freitag
Foto: IZ Medien

Reihe zum muslimischen Alltag: Anmerkungen zu Bedeutung und Funktion des Freitagsgebets.

(iz). Am 21. Mai wurden Teilergebnisse zum Freitagsgebet in deutschen Moscheegemeinschaften einer umfassenderen Forschungsreihe der Universität Erlangen (FAU) bekannt (siehe S. 13). Sie machen deutlich, dass bestehende Horrorszenarien von wöchentlichen Radikalisierungen während der verpflichtenden Ansprache (arab. khutba) keine Datengrundlage haben.

Die Khutbas beschäftigen sich nach der Darstellung der Forscher überwiegend mit ethischen Fragen des Alltags, zwischenmenschlichen Beziehungen, Bildung, Familie, Nachbarschaft, Umweltschutz und gesellschaftlichem Engagement. Ebenso wurden Aufrufe zur gesamtgesellschaftlichen Teilhabe, Hilfsbereitschaft und Demokratie regelmäßig thematisiert.

Das Projekt „Wechselwirkungen“ wertete Predigtmanuskripte der drei größten Moscheeverbände in unserem Land aus: DİTİB, IGMG und VIKZ. Diese repräsentieren etwa zwei Drittel (rund 1.500 von 2.300) der Moscheen und Gebetsräume in Deutschland.

Die Studie deckt nicht alle Moscheegemeinden ab. Es wird eingeräumt, dass es einzelne geben könnte, in denen radikale Inhalte vorkommen. Diese seien aber nicht repräsentativ für den muslimischen Mainstream in der Bundesrepublik.

Das wichtigste Gebet der Woche

Eines der bedeutendsten Elemente unserer Lebenspraxis ist das rituelle Gebet (arab. as-salat). Und wird immer direkt nach der Schahada aufgezählt. Es zählt zu den „fünf Säulen des Islam“, neben dem Glaubensbekenntnis („es gibt keinen Gott außer Allah, und Muhammad ist Sein Gesandter“), dem Fasten im Monat Ramadan, die Hajj zum Haus Allahs nach Mekka und der jährlichen Vermögenssteuer. Die Verpflichtung zu seiner Verrichtung ist im Qur’an als dem offenbarten Wort Allahs in zahlreichen Versen erwähnt. Beispiel dafür ist dieser: „Wahrlich, das Gebet zu bestimmten Zeiten ist für die Gläubigen eine Pflicht.“ (Sura An-Nisa, Sure 4, 103)

In einem Hadith, einer Überlieferung vom Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, heißt es über diese essenzielle Form der Anbetung Allahs: „Stellt euch vor, jemand von euch hätte vor seinem Haus einen Fluß und würde in ihm fünfmal am Tage baden, würde dann etwas von seinem Schmutz an ihm bleiben?“

Die Gefährten antworteten: „Nichts von seinem Schmutz würde bleiben.“ Da sagte er: „Genauso ist es mit den fünf Gebeten. Allah tilgt durch sie die Sünden.“ (Abu Huraira)

In seiner Form und Bedeutung nimmt das Freitagsgebet (das an diesem Tag anstatt des Mittagsgebets verrichtet wird) eine herausragende Stellung in unserer Woche ein. Es muss gemeinschaftlich gebetet werden. Je nach Rechtsschule gibt es in den Einzelheiten Vorbedingungen, damit es verpflichtend wird.

Um Obligation zu werden, darf die Distanz zur nächstgelegenen Moschee ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Darüber hinaus braucht eine Moscheegemeinde am Freitag ein Mindestmaß an Teilnehmern, damit es Pflicht wird. Außerdem muss sich bspw. nach einigen malikitischen Gelehrten das Gebäude im bleibenden einer islamischen Stiftung (arab. waqf) sein.

Es ist eine Obligation für jeden Muslim, der die Pubertät erreicht hat, geistig gesund, sesshaft, männlichen Geschlechts und in der Lage ist, in die Moschee zu kommen. Es ist keine Verpflichtung für Frauen und Kinder, Reisende, Kranke und Pflegekräfte, die ihre Patienten nicht allein lassen können sowie bei akuter Gefahr oder bedrohlichen Witterungsverhältnissen.

Es findet am Freitag ab dem Zeitpunkt statt, ab dem Muslime das Mittagsgebet machen können. Es beginnt mit einer Ansprache. Wer nicht am Freitagsgebet teilnehmen kann, verrichtet das reguläre Gebet mit der vollen Länge.

Foto: Khalil Mitchell, Visual Aurum

Der Freitag selbst hat eine Bedeutung

Zunächst einmal muss klargestellt werden, dass dieser Tag (arab. al-jumu’a) mitnichten ein Feiertag im Sinne des christlichen Sonntags ist, an dem nicht gearbeitet werden dürfte. Allerdings soll während der Freitagspredigt und des Gebets kein Handel stattfinden – ebenso wenig weitere Tätigkeiten. Er ist aber auch kein Wochentag wie jeder andere.

As-Salat Al-Jumu’a hat eine wichtige gemeinschaftliche Bedeutung. Zu ihm kommt die Bevölkerung eines Ortes in feierlicher Stimmung zusammen. Nach dem Gebet besteht die Möglichkeit für sozialen Austausch. Deshalb ist es bspw. in der malikitischen Schule verpönt, nach dem Ende des Pflichtgebetes weitere, freiwillige Gebet zu sprechen.

Das Freitagsgebet wurde im Islam erst zur Zeit von Medina als verpflichtend etabliert, als eine funktionierende Gemeinschaft entstanden war. Die Khutba, die dem Gebet vorausgeht, sollte idealerweise Elemente enthalten, die für die konkrete Moscheegemeinschaft aktuell oder langfristig relevant sind.

Im Gegensatz dazu hat sich bspw. in den großen türkisch-geprägten Moscheeverbänden (DİTİB, IGMG & VIKZ) die Gewohnheit einer zentral vorgegebenen Predigt durchgesetzt.

Der Tag selbst ist gesegnet

In einer überlieferten Aussage des Propheten, Allahs Friede auf ihm, heißt es: „Der beste von den Tagen, an denen die Sonne aufgeht, ist der Tag des Jumu’a. An ihm wurde Adam geschaffen, und an ihm war sein Fall aus dem Garten. An ihm wurde ihm vergeben, und an ihm starb er. An ihm wird die Stunde kommen, und jedes sich bewegende Ding lauscht von Morgen bis Abend in Erwartung der Stunde, mit Ausnahme der Dschinn und der Menschen. Während des Freitags gibt es eine Zeit, an dem Allah seinem im Gebet stehenden Sklaven das gibt, worum er ihn bittet. (…)“ (Abu Huraira)

Dieser Moment ist nicht genau bekannt. Als einer der wahrscheinlichsten Zeitpunkte wird der Augenblick genannt, an dem der Imam während der Khutba zwischen den beiden Teilen kurz sitzt. Deswegen sprechen viele Muslime und er selbst in dieser Zeit Bittgebete.

Der Prophetengefährte Abu Lubaba überlieferte vom Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben: „Der Tag des Jumu’a ist der Meister und der größte unter den Tagen. In Allahs Sicht ist er größer als der Tag des ‘Id Al-Fitr und der Tag des ‘Id Al-Adha.“

In einer anderen Aussage, die von Ibn ‘Abbas berichtet wurde, wird dieser Tag selbst als Feiertag beschrieben. Er ist ein Moment der Feier – wenn Freude und Glück auf die Herzen der Gläubigen herabgesandt werden.

Die Höflichkeiten des besonderen Tages

Es bestehen mehrere empfehlenswerte Handlungen, die den Tag an sich als auch das Verhalten während der Zeit in der Moschee verschönern.

Soweit der Einzelne betroffen ist, gibt es bspw. diese Aspekte: Es ist notwendig (im Sinne einer sehr empfohlenen Sunna) vor dem Weg zum Jumu’a eine rituelle Ganzkörperwaschung (arab. ghusl), durchzuführen. Das zählt zur spirituellen Höflichkeit dieses Tages. Am besten sollte sie besser spät, also kurz vor dem Gang zum Gebet, durchgeführt werden. Frühestens kann man sie ab vollendetem Sonnenuntergang des Donnerstags durchführen.

Zum Adab gehört es, möglichst früh in die Moschee zu gehen. Das heißt, rechtzeitig am Beginn seiner Zeit, allerdings nicht schon frühmorgens. Auch ist es Sunna, sich dafür zu parfümieren und die beste Kleidung zu tragen.

Empfehlenswert ist ebenfalls, den Schnurrbart zu kürzen, die Nägel zu schneiden sowie Achsel- und Schambehaarung zu rasieren, sollte dies nötig werden. Auch das Benutzen des Miswak/Siwak (Hölzchen zur Zahnreinigung) ist empfohlen. 

Ebenso ist man nach Möglichkeit gut beraten, zum Freitagsgebet zu Fuß zu gehen. Letzteres ist in muslimischen Ländern mehrheitlich kein Problem, in Europa hingegen sind die Entfernungen zu den Moscheen meist größer.

In der Nacht zum Freitag und an ihm selbst sollte man viel Qur’an lesen (wie die Sura Al-Kahf) und außerdem reichlich Salawat (Segenswünsche für den Propheten) sprechen. Daher findet man vor dem Beginn der Freitagspredigt unzählige Moscheebesucher, die sich der Qur’anlektüre widmen: In Ländern wie Marokko wird gemeinsam und laut rezitiert, was ein unvergleichliches Erlebnis ist.

In der Gemeinschaft vor und im Laufe des Gebets und der Khutba gibt es ebenfalls einige prophetischen Gepflogenheiten und spirituelle Perfektionen, die den Moment besonders machen. Nach dem Betreten der Moschee sollten wir uns so weit wie möglich vorne hinsetzen, ohne dabei die anderen Menschen zu stören oder über ihre Köpfe hinwegzusteigen.

Sobald man einen Platz gefunden hat, sollte man zwei Einheiten des Gebets (arab. raka’at) verrichten. Das gilt aber nur für den Fall, dass der Imam den Gebetsraum nicht betritt. Zum Adab in diesem Augenblick gehört das angemessene Sitzen, sich nicht hinzufläzen und nicht die Füße in die Gebetsrichtung auszustrecken.

Sobald der Imam zum Minbar geht, muss jedes Gerede enden.

Nicht einmal der Gruß darf erwidert werden. Wenn der Imam spricht, gibt man ihm die volle Aufmerksamkeit; inkl. der körperlichen, sodass man sich ihm zuwendet. Das ist mehr als Höflichkeit, sondern Pflicht für jeden teilnehmenden Muslim – Männer wie Frauen. Denn die Khutba ersetzt jene zwei Raka’at, die während des Freitagsgebets nicht verrichtet werden.

Foto: Santos1992, Shutterstock

Routine, Manifest oder relevanter Inhalt?

Mindestens einmal die Woche, für ca. 20-45 Minuten, sitzen wir in der Moschee und hören der Freitagspredigt zu. Was ist der eigentliche Zweck dieser Ansprache und wie sind die Erwartungen der ZuhörerInnen? Wie nutzen wir diese wöchentliche Gelegenheit des Gesprächs in der Gemeinschaft?

Auch in Deutschland diskutieren Muslime seit geraumer Zeit, was von einer guten Khutba zu erwarten ist – und was nicht. Ab der Institutionalisierung der Religionsgemeinschaften zu Beginn der 2000er Jahre wurden verschiedene Aspekte oder Formen der Freitagsansprache thematisiert: bloßer Formalismus, Vernachlässigung konkreter Fragen, fehlende Angebote auf Deutsch sowie die gelegentliche Politisierung in manchen Gemeinschaften.

Bei der Sprache haben sich viele Moscheevorstände mittlerweile bewegt und bieten die relevanten Elemente in unserer Landessprache an – ggf. auch als Zusammenfassung.

Wie oben beschrieben, verteilen die großen türkischen Moscheeverbände eine zentrale Ansprache, die in ihren jeweiligen Mitgliedsgemeinden verlesen wird. Das hat einerseits den Vorteil, dass Unsinn oder radikale Inhalte vermieden werden. Andererseits haben die Imame keine Chance, auf die spezifischen Anliegen ihrer Gemeinschaft einzugehen.

Jenseits der notwendigen Elemente einer Khutba (Aufteilung in zwei Segmente, bestimmte arabische Formeln etc.) stellt sich für Muslime über die deutschen Grenzen hinaus die Frage, wie sie ganzheitlich aussehen soll, um den den größtmöglichen Nutzen zu bringen.

Der US-amerikanische Blogger, Gemeinschaftorganisator und Kommentator Omar Usman beschrieb vor einigen Jahren, dass die Ansprache am Freitag keine analoge Variante eines Beitrags im Internet sei oder eine bloße Meinung darstelle. Vielmehr rufe der dieser Tag uns dazu auf, Allah zu gedenken und über das jeweilige Thema zu reflektieren.

In seinen Augen erfüllt eine geglückte Khutba mehrere Funktionen: „Sie soll spirituelle Erneuerung ermöglichen und zur Erziehung der Gläubigen beitragen. Zuerst steht die Erinnerung an Allah im Mittelpunkt, gefolgt von spiritueller Läuterung und schließlich der Vermittlung von Wissen und Weisheit. Sie soll Hoffnung geben und die Zuhörer inspirieren, motivieren und zu einem besseren Leben anleiten. Sie ist ein anvertrautes Gut und muss mit Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein gehalten werden.“

Er warnte davor, die Khutba zu instrumentalisieren – etwa für politische oder soziale Zwecke, die nicht im Einklang mit der spirituellen Essenz stehen. Zwar seien solche Themen nicht prinzipiell unpassend, doch sollte die Priorität stets auf der Förderung der Spiritualität und der Community liegen.

Des Weiteren bestehe für ihn das Problem, das viele Khatibs (Imame, die die Khutba halten) nicht immer die nötigen inhaltlichen Fähigkeiten für eine substanzielle Ansprache hätten. Darüber hinaus solle sie nicht als einziges Mittel der Kommunikation gesehen werden. „Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten, die Gemeinschaft zu erreichen, etwa durch Programme, E-Mails oder Videos.“

Unter Verwendung von Material auf dem IZ-Archiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert