
Langer Weg zum Frieden? Seit Ende letzter Woche sind diplomatische Verhältnisse in Bewegung gekommen. Wir fassen die letzten Tage zusammen.
(iz, dpa, KNA). Nach jahrelangem Sterben, Gewalt, Zerstörung und Blockade wurde am 13. Oktober 2025 in Scharm el-Scheich eine Vereinbarung über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas offiziell unterzeichnet.
Viele humanitäre Organisationen stünden, um die Menschen im Gazastreifen zu versorgen. Allein die Nothilfe in Form von Lebensmitteln, Medikamenten, Treibstoff und sauberem Trinkwasser werde Hilfsorganisationen in Gaza noch lange fordern – „vom Wiederaufbau des zerstörten Küstenstreifens ganz zu schweigen“, sagte ein Sprecher von Caritas international.
Oliver Müller, Leiter des Hilfswerkes, nannte die vereinbarte Freilassung der Geiseln wie ein Ende des Leids der palästinensischen Zivilbevölkerung „längst überfällig“. Man bereite sich nun „auf einen der größten Hilfseinsätze der jüngeren Geschichte vor“, so Müller laut einer Mitteilung. „Das Ausmaß der Not im Gazastreifen wird humanitäre Hilfsorganisationen wie die Caritas vor enorme Herausforderungen stellen.“
Am gestrigen Abend besiegelten die Vermittlerstaaten – USA, Ägypten, Katar und die Türkei – die „Gazafriedenserklärung“ in Anwesenheit von über 20 Staats- und Regierungschefs. Unter ihnen waren US-Präsident Donald Trump, der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und UN-Generalsekretär António Guterres.
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Deutungen der Erklärung weichen voneinander ab
In dem Dokument heißt es unter anderem: „Gemeinsam werden wir diese Vereinbarung so umsetzen, dass Frieden, Sicherheit, Stabilität und Chancen für alle Völker der Region, einschließlich der Palästinenser und Israelis, gewährleistet sind.“ Was genau daraus folgt und mithilfe welcher konkreten Maßnahmen das im Einzelnen gelingen soll, wird nicht detailliert erläutert.
Hinzu kommt: Die eigentlichen Konfliktparteien haben weder unterschrieben noch an der feierlichen Zeremonie teilgenommen. Was konkret „Toleranz, Würde und Chancengleichheit“ für Israelis und Palästinenser bedeuten, wann genau „ihre grundlegenden Menschenrechte geschützt sind, ihre Sicherheit gewährleistet ist und ihre Würde gewahrt bleibt“ – davon dürften beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen haben.
Den Gastgebern zufolge soll es Gespräche zur Festigung der Feuerpause zwischen den Kriegsparteien und einen Wiederaufbau des Gazastreifens geben. Das Präsidialamt nannte den Gipfel eine „Einigung über das Ende des Kriegs in Gaza“.
Trotz der Inszenierung herrscht keinerlei Euphorie. Beobachter in der Region und europäische Diplomaten werten die Vereinbarung als „fragilen Waffenstillstand“. Die Hamas hat die Freilassung zugesagt, aber keine politische Anerkennung Israels in Aussicht gestellt. Vertreter der Bewegung sprachen von einem „Sieg des Widerstands“ und einem Ende der „Aggression gegen das palästinensische Volk“.
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Friedensperspektiven? Was bisher geschah
Die Gespräche begannen Anfang Oktober in dem Badeort und wurden durch intensive Vermittlungsarbeit Katars und Ägyptens getragen. Das Weiße Haus hatte die Verhandlungen eng begleitet und mehrfach direkt mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Vertretern der Hamas korrespondiert.
Ein Schlüsselmoment sein Telefonat zwischen beiden am 11. Oktober, in dem der US-Präsident nach Medienberichten massiven Druck auf Israel ausübte, einem Stufenplan zuzustimmen, der den schrittweisen Rückzug aus Gaza, den Austausch von Inhaftierten und den Beginn humanitärer Lieferungen vorsieht.
Das Abkommen sieht vor, dass Tel Aviv rund 2.000 palästinensische Gefangene freilässt – darunter hochrangige Personen – und im Gegenzug alle in Gaza verbliebenen Geiseln übergibt. Von den ursprünglich 48 Entführten leben nach offiziellen Angaben nur 20 Gekidnappte.
Gleichzeitig ist ein teilweiser Truppenrückzug geplant: Israel muss sich auf etwa die Hälfte des Gazastreifens zurückziehen, während UN-geführte Hilfslieferungen von bis zu 600 Lastwagen täglich die notleidende Bevölkerung versorgen sollen.
Geiseln und Entführte. Barghouti bleibt in Haft
Die Übergabe der israelischen Gekidnappten erfolgte am 13. Oktober 2025 im Rahmen eines umfassenden Abkommens zwischen Tel Aviv und der Hamas, das als diplomatischer Durchbruch bewertet wird.
Nach über zwei Jahren Gefangenschaft konnten den Moment erleben, als sie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz übergeben wurden. Von zentraler Bedeutung war die Rolle des IKRK, das die Übergabe als neutraler Vermittler überwachte und damit die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards sicherstellte.
Im Gegenzug begann Israel mit der Freilassung von mehr als 1.900 palästinensischen Häftlingen aus verschiedenen Lagern und Haftanstalten, darunter das Ofer-Gefängnis bei Ramallah. Ein großer Teil dieser Gefangenen saß über Jahre ohne Prozess oder nach administrativen Anordnungen ein, ein Vorgehen, das international wiederholt kritisiert wurde.
Die Freigelassenen, viele davon gesundheitlich angeschlagen und von langjähriger Haft gezeichnet, wurden in Gaza und dem Westjordanland teils euphorisch begrüßt. Allerdings blieb die Ankunft nicht frei von Spannungen: Sicherheitskräfte setzten bei Menschenansammlungen und Protesten Tränengas gegen Journalisten und Angehörige ein, um die Lage unter Kontrolle zu halten.
Die Freilassungen gelten als symbolischer Anfang eines möglichen Friedensprozesses, riefen aber zugleich breite Diskussionen hervor. Unter den Palästinensern bleibt das Thema der haftbedingten Traumatisierung und der Forderung nach unabhängiger Justiz ein Kernpunkt für eine langfristige Versöhnung.
Familien der israelischen Geiseln betonen, wie lang der Weg zurück in ein normales Leben sein wird und verweisen auf fortbestehende Ängste und das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Unterstützung.
Marwan Barghouti bleibt in israelischer Haft, weil seine Freilassung als politisch und sicherheitspolitisch höchst brisant gilt. Der 66-jährige Fatah-Politiker wurde 2002 während der Zweiten Intifada verhaftet und 2004 zu fünfmal lebenslänglicher Haft sowie weiteren 40 Jahren verurteilt, da ihm die Beteiligung an bewaffneten Angriffen und Anschlägen mit insgesamt fünf Todesopfern zur Last gelegt wurde.
Er bestreitet die Vorwürfe und erkennt die Zuständigkeit israelischer Gerichte nicht an, da er sich als Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde und politischen Widerstandsbewegung sieht.
Für Israel stellt Barghouti eine symbolische Figur dar: ein charismatischer Nationalist mit überparteilicher Popularität, der für viele Palästinenser als glaubwürdiger Nachfolger von Präsident Mahmud Abbas gilt. Seine Freilassung würde das fragile politische Gleichgewicht in den palästinensischen Gebieten verschieben und der Fatah neue Legitimität verleihen.
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Wie bewerten Beobachter die letzten Tage?
Aus europäischer Sicht gilt das Abkommen als diplomatischer Schritt, nicht als Friedensschluss. Außenpolitiker und Friedensforscher betonen, dass viele Kernfragen ungelöst bleiben – etwa die Zukunft der Hamas, die politische Kontrolle im Gazastreifen und die Öffnung der Grenzen.
Tel Aviv spricht von einem „temporären Arrangement mit Bedingungen“ und lässt offen, welche Gebiete dauerhaft unter ihrer Kontrolle bleiben sollen.
In der arabischen Welt stieß die Einigung auf zurückhaltende Zustimmung. Katar und Ägypten betonen den humanitären Nutzen, während die Türkei auf die Notwendigkeit drängt, den Wiederaufbau Gazas international zu finanzieren. Jordanien und Saudi-Arabien mahnen eine „echte politische Lösung“ an, die über eine bloße Waffenruhe hinausgeht.
Auch wenn die Unterzeichnung im ägyptischen Badeort den bislang weitreichendsten Versuch markiert, den Gaza-Krieg zu beenden, ist die politische Dauerhaftigkeit ungewiss. Einige israelische Minister betonten, das Land werde „auf jede Verletzung der Vereinbarung militärisch reagieren“. Die Hamas wiederum erklärte, sie betrachte die Waffenruhe als Schritt zu einer „nationalen Selbstbestimmung unter eigener Führung“.