
Israels Regierung begann eine weitere Angriffswelle auf Gaza inmitten unzähliger Opfer, weitverbreitetem Hunger und Kritik westlicher Verbündeter.
(dpa, KNA, iz). Am Sonntag ließ die Israels Führung eine neue Angriffswelle auf den, bereits zu 80 % zerstörten Gazastreifen los. Nach palästinensischen Angaben kam es dabei schon zu Beginn zu unzähligen Toten, Verwundeten und Zerstörungen.
Seit Tagen fliegt die israelische Luftwaffe massive Angriffe im Gazastreifen. Am Wochenende begann die Armee zudem mit einem großangelegten Einsatz von Bodentruppen. Im Norden sind laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mittlerweile alle Kliniken außer Betrieb. Die IDF forderte sämtliche Anwohner von Chan Junis im Süden wegen eines bevorstehenden, „beispiellosen Angriffs“ auf, von dort zu fliehen.
Seit Anfang März hatte Israel keine Hilfslieferungen mehr in den Gazastreifen gelassen. Das Land wirft der Hamas vor, die Hilfsgüter gewinnbringend weiterzuverkaufen, um ihre Kämpfer und Waffen zu finanzieren.
Besatzung von Gaza: eine „wahnsinnig Idee“
Aktuelle Pläne für eine endgültige Okkupation des Gebiets und eine Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung bezeichnete der deutsche Militär- und Sicherheitsberater Carlos Masala als „komplett außerhalb des Völkerrechts“. Gleiches gelte für die anhaltende Blockade humanitärer Hilfslieferungen. Die Idee, das umkämpfte Gebiet dauerhaft zu besetzen, sei überdies „wahnsinnig“.
Offenbar sei nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt worden: Israel habe sich 2005 aus dem Landstrich zurückgezogen, weil die eigenen Streitkräfte dort ständig angegriffen worden seien und der Blutzoll viel zu hoch gewesen sei. „Das reproduziert Israel jetzt wieder“, so der Politikwissenschaftler der Münchner Bundeswehr-Universität.
Tel Avivs Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat öffentlich Pläne bestätigt, dass seine Administration die Einnahme des gesamten Gebiets verfolgt. „Wir werden die Kontrolle über alle Gebiete des Gazastreifens übernehmen“, sagte er in einer Videoansprache.
Die Absicht der israelischen Regierung sowie die vor wenigen Tagen gestartete Großoffensive mit massiven Luftangriffen und dem Einsatz von Bodentruppen stürzt die notleidende Bevölkerung des abgeriegelten Küstengebiets in weitere Unsicherheit und schürt Sorgen vor weiterer Vertreibung und Tod.
Warnungen vor weiterer Eskalation von Hunger und Versorgungskrise
Seit Anfang März hatte Israel keine Hilfslieferungen in das abgeriegelte und nach über anderthalb Jahren Krieg großflächig zerstörte Küstengebiet gelassen.
Die UN und Hilfsorganisationen warnen vor einer Hungersnot; die Appelle an Israel wurden zuletzt immer vehementer. Laut mehreren Medien erfolgt eine am Wochenende angekündigte Aufhebung der Blockade vor allem auf Druck der USA hin. „Wir wollen keine humanitäre Krise sehen und wir werden nicht zulassen, dass sie unter Präsident (Donald) Trumps Führung eintritt“, sagte der US-Sondergesandte Steve Witkoff dem US-Sender ABC News.
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Die Hilfslieferungen sollen vorerst wieder internationale Organisationen wie das Welternährungsprogramm (WFP) sowie die World Central Kitchen bereitstellen, wie das Nachrichtenportal „walla.co.il“ meldete. Ende des Monats soll ein neuer Mechanismus greifen, der nicht unumstritten ist.
Berichten zufolge sollen Güter dann nur noch von wenigen Standorten im Gazastreifen aus verteilt werden. Die UN hatte den neuen Mechanismus kritisiert. Das lag unter anderem daran, weil Zivilisten auf dem Weg zu den Verteilungszentren ins Kreuzfeuer geraten und etwa Alte und Kranke diese erst gar nicht erreichen könnten.
Inmitten von Verhandlungen
Sowohl Israel als auch die Hamas waren am Sonntag mit Delegationen in Katars Hauptstadt Doha, um mit arabischen Vermittlern über einen neuen Waffenruhe-Deal zu verhandeln. Die US-Nachrichtenseite „Axios“ berichtete unter Berufung auf einen israelischen Beamten und eine weitere Quelle.
Trump-Berater Witkoff habe beiden Kriegsparteien einen aktualisierten Vorschlag unterbreitet, der die Freilassung von zehn Geiseln im Gegenzug für eine 45-60-tägige Waffenruhe und die Entlassung palästinensischer Häftlinge aus Israels Gefängnissen vorsehe.
Der Vorstoß enthalte eine neue Ausdrucksweise, wonach die Feuerpause zu einem Ende des anhaltenden Blutvergießens führen könnte, hieß es. Die Formulierung ziele darauf ab, der Hamas zu garantieren, dass Netanjahu die Waffenruhe nicht wieder einseitig für beendet erklären und den Krieg wieder aufnehmen kann.
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Internationale Kritik: „Das ist keine Selbstverteidigung mehr.“
Die neue Offensive sorgt seit Wochenende für weltweite Ablehnung. Das Auswärtige Amt in Berlin meldete sich ebenfalls zu Wort. Der militärische Vorstoß sei „Grund zu tiefer Sorge“a, hieß es in einer Erklärung. Das Leben der noch lebenden Hamas-Geiseln, darunter Deutsche, könnte gefährdet werden.
Zudem bestehe das Risiko, dass sich die katastrophale humanitäre Lage der Bevölkerung im Gazastreifen weiter verschlechtere. Das könne den notwendigen langfristigen Waffenstillstand in die Ferne rücken.
Die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien und Kanada haben Israels Vorgehen im Gaza-Krieg als „völlig unverhältnismäßige“ Eskalation kritisiert und eine Warnung ausgesprochen. „Sollte Israel die erneute Militäroffensive nicht einstellen und die Beschränkungen der humanitären Hilfe nicht aufheben, werden wir mit weiteren konkreten Maßnahmen reagieren“, teilten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der britische Premier Keir Starmer sowie sein kanadischer Amtskollege Mark Carney mit.
„Das menschliche Leid in Gaza ist unerträglich“, hieß es in der Stellungnahme weiter. Die Ausweitung der Angriffe auf den teils bis zur Unkenntlichkeit zerstörten Küstenstreifen lehne man entschieden ab. Man werde „nicht tatenlos zusehen, während die Netanjahu-Regierung diese ungeheuerlichen Maßnahmen fortsetzt“. Welche Konsequenzen die drei Länder konkret in Erwägung ziehen, blieb offen.
Zudem wandten sich die europäischen Politiker gegen den weiteren Siedlungsbau im Westjordanland. Man erwäge „gezielte Sanktionen“.