Hintergrund: Wie wird Deutschlands Exportindustrie mit den zukünftigen Machtverhältnissen am Golf umgehen? Eine neue Ära in Mittelost

TEHERAN/HANNOVER/MÜNCHEN (GFP.com). Deutsche Unternehmen bahnen die ersten Großinvestitionen in Iran nach dem Ende der Sanktionen und milliardenschwere Erdgasgeschäfte mit Teheran an. Mehrere Wirtschaftsdelegationen haben dazu in den vergangenen Wochen Iran bereist. Das Bundesland Bayern wird in Kürze eine neue Wirtschaftsrepräsentanz in der iranischen Hauptstadt eröffnen. Zum einen geht es um den mittelöstlichen Absatzmarkt.

Iran sei „die Herzkammer eines Wirtschaftsraums, der über die Grenzen hinweg 400 Millionen Menschen umfasst“, heißt es in Wirtschaftskreisen. So will der Volkswagen-Konzern mit dem Verkauf von Autos in Iran Einbrüche auf wichtigen Märkten, insbesondere in China und Brasilien, wettmachen. Zum anderen zielen die Bemühungen Berlins und Brüssels darauf ab, sich iranisches Erdgas zu sichern. Vom Jahr 2030 an sollten 25 bis 35 Milliarden Kubikmeter iranischen Erdgases jährlich in die EU verkauft werden – vermutlich als Flüssiggas, heißt es in der EU-Kommission.

Die BASF-Erdgastochter Wintershall ist interessiert. Der Wirtschaftsminister des Bundeslandes Niedersachsen hat in den vergangenen Tagen in Teheran ein deutsch-iranisches Joint Venture zum Bau einer Flüssiggasanlage in Wilhelmshaven vorgeschlagen. All dies geschieht zu einer Zeit, zu der der Konflikt um Syrien, in dem Iran neben Russland gegen den Westen steht, eskaliert.

Staatlich gefördert
Neue Geschäfte deutscher Firmen mit Iran sind in den vergangenen Wochen auf mehreren Ebenen angebahnt worden – mit intensiver Unterstützung staatlicher Stellen. Nach der Iran-Reise von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Mitte Juli hat sich Anfang September auch der Wirtschaftsminister Baden-Württembergs, Nils Schmid (SPD), gemeinsam mit einer fast 70-köpfigen Begleitdelegation aus Wirtschaft und Politik in dem Land aufgehalten. Am 22. September hat der Nah- und Mittelost-Verein (NUMOV), einer der großen deutschen Außenwirtschaftsverbände, interessierten Firmenvertretern ein Iran-Forum in Berlin angeboten, das die Möglichkeit zu Gesprächen mit hochrangigen Insidern bot – neben Repräsentanten des Auswärtigen Amts war auch die deutsche EU-Unterhändlerin in den Atomverhandlungen, Helga Schmid, eingeladen.

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Am 7. Oktober hat der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) eine mehrtägige Iran-Reise beendet, auf der er von annähernd 100 Unternehmern begleitet worden war – „die größte Wirtschaftsdelegation“, die „das Bundesland jemals auf die Beine gestellt hat“, heißt es in der Presse. Es geht nicht nur um Handel, sondern auch um Investitionen: Die Regierung in Teheran sei – das schreibt das Auswärtige Amt – „bestrebt, den privaten Anteil“ an der Wirtschaft des Landes, die bislang zu bis zu 80 Prozent „in den Händen des Staates beziehungsweise religiöser Stiftungen“ liege, „spürbar zu erhöhen“.

Attraktiver Absatzmarkt
Ein besonderer Schwerpunkt des deutschen Interesses liegt gegenwärtig neben dem Maschinenbau auf der Autoherstellung inklusive Zulieferbetriebe. Vertreter des Volkswagen-Konzerns hatten bereits im Juli Bundeswirtschaftsminister Gabriel nach Teheran begleitet und sind jetzt gemeinsam mit Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies erneut angereist. VW musste zuletzt Absatzeinbrüche in China und in Brasilien hinnehmen und sucht dringend nach Ersatz.

Iran gilt mit seiner fast 80 Millionen Menschen umfassenden Bevölkerung und mit rund 1,1 Millionen verkauften Autos im vergangenen Jahr als attraktiver Zukunftsmarkt, zumal die dort bereits präsenten französischen Marken Peugeot und Renault in nächster Zeit wohl die Konsequenzen des zuletzt sehr harten französischen Kurses im Atomstreit tragen müssen. Kurzfristig könne VW Iran aus seinen chinesischen Fabriken beliefern, heißt es in Fachkreisen. Zusätzlich werde der Konzern jedoch Produktionsstätten in Iran errichten. Irans Industrieminister Mohammed Reza Nematzadeh erklärte am Wochenende: „Wir sind nun an dem Punkt, an dem sich Volkswagen einen iranischen Partner aussucht“. Autozulieferer werden mutmaßlich folgen. So plant Continental den Einstieg in Iran.

Rohstoffquelle
Herausragende Bedeutung besitzen darüber hinaus vor allem die Pläne für neue Erdgasgeschäfte. Anders als noch vor einigen Jahren setzt Teheran heute vor allem auf die Ausfuhr von Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG), das weitaus größere Flexibilität beim Verkauf ermöglicht als der Export via Pipeline. Die EU ist bereits mit Planungen für die Einfuhr iranischen Flüssiggases befasst; ab spätestens 2030 seien Importe von 25 bis 35 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr durchaus realistisch, heißt es in der EU-Kommission.

Energiekommissar Miguel Arias Cañete hat sich am 4. September mit Funktionären großer Energiekonzerne getroffen, darunter BP und Shell, die spanische Repsol, die norwegische Statoil, die französischen Unternehmen Total und Engie sowie die deutschen Firmen RWE und E.ON. Aktuell ist im Gespräch, iranisches Flüssiggas über spanische LNG-Terminals einzuführen, weil Spanien in Europa die meisten derartigen Terminals besitzt. Ergänzend müssten Pipelines aus Spanien in Richtung Frankreich gebaut werden, um die Weiterleitung des Gases zu ermöglichen. Alternativ hat nun Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies in Teheran den gemeinsamen Bau einer Anlage zum Antransport von Flüssiggas in Wilhelmshaven vorgeschlagen. Ein LNG-Terminal dort ist seit langem im Gespräch, aber nie verwirklicht worden. Iran könne in Wilhelmshaven nicht nur Gas anliefern, sondern auch Ko-Investor werden, heißt es nun.

Gemeinsam mit Lies haben sich in den letzten Tagen Vertreter der BASF-Erdgastochterfirma Wintershall zu Gesprächen in Teheran aufgehalten. Niedersachsen hat Wintershall schon in der Amtszeit von Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) beim Einstieg in die russische Erdgasbranche unterstützt.

Drehkreuz Hannover
Ergänzend bemühen sich deutsche Firmen um Anteile am profitablen Aufbau der iranischen Verkehrsinfrastruktur. Der niedersächsische Wirtschaftsminister hat in Teheran mit dem iranischen Vizeminister für Straßen und Städtebau verhandelt; die iranische Regierung wolle das Straßen- und das Schienennetz des Landes „mit deutscher Hilfe“ modernisieren, wird berichtet. Siemens verhandelt laut eigenen Angaben derzeit über den Verkauf von Lokomotiven an die iranische Bahn.

Ergänzend ist ein Deal im Gespräch, der den raschen Aufbau von Flugverbindungen nach Iran ermöglichen soll. So bietet TUI an, Flugzeuge, Personal und Wartung an Iran zu vermieten, unter dessen Flagge die Maschinen fliegen sollen. Man könne mit wöchentlich drei Flügen nach Teheran beginnen, heißt es; der Linienverkehr solle auf deutscher Seite über Hannover abgewickelt werden. Langfristig wolle man den Flughafen der niedersächsischen Landeshauptstadt zum Drehkreuz für Flüge in den Nahen und Mittleren Osten ausbauen.

“Mal richtig einen rauslassen“
In einem nächsten Schritt wird die deutsche Wirtschaft eine neue Repräsentanz in Teheran errichten. Umgesetzt wird dies von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und dem Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw), die die Repräsentanz am 1. November im Beisein von Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) eröffnen wollen. vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt verweist zur Erklärung auf die Bedeutung des Landes auch als Regionalmacht: „Iran ist die Herzkammer eines Wirtschaftsraums, der über die Grenzen hinweg 400 Millionen Menschen umfasst.“

Zudem weist er darauf hin, dass deutsche Unternehmer Unterstützung aus der Politik für dringend nötig hielten, weil die US-Konkurrenz in Iran längst stark vertreten sei. So habe Microsoft ebenso eine neue Zentrale in Teheran errichtet wie Apple, General Electric verkaufe seine Haushaltsgeräte, Coca Cola seine Getränke. Mit Blick auf die verbreitete Furcht vor negativen US-Reaktionen auf neue deutsche Iran-Geschäfte fordert vbw-Hauptgeschäftsführer Brossardt: „Die Europäer müssen mal richtig einen rauslassen, uns stinkt es gewaltig“.

Strategische Verschiebungen
Sowohl die deutschen wie auch die US-Geschäfte in Iran sind durch die Einigung im Atomstreit möglich geworden. Ihr Ausbau erfolgt zu einer Zeit, zu der Russland stärkeren Einfluss im Nahen und Mittleren Osten gewinnt, ein stärkeres Eingreifen Irans im Syrien-Krieg diskutiert wird und umfassendere geostrategische Verschiebungen sich immer deutlicher abzeichnen.

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