Wichtig sind kompetente BetreuerInnen

Ausgabe 249

Foto:MuTeS

-(ProMosaik). Diversität ist ein zentraler Aspekt, um eine Gesellschaft im Sinne der Förderung der interkulturellen und interreligiösen Empathie ohne die Nivellierung der Unterschiede aufzubauen. In diesem Sinne finde ich persönlich ein spezifisches Seelsorgetelefon für die Muslime in Deutschland sehr wichtig.
Wie wir im Gespräch mit Imran Sagir sehen werden, richtet sich das Telefon vor allem an Muslime, die in Deutschland aufgewachsen sind. Was vor allem wichtig ist, ist die Wahrung der Anonymität. Menschen trauen sich, ein Thema anzusprechen, weil sie anonym anrufen können. Zusammen mit dem Berater bzw. mit der Beraterin erarbeiten sie dann eine Lösung, die sie sich dann wiederum trauen, im eigenen Leben konkret umzusetzen.
Ich finde die Bereitschaft, konsequent und dialogisch, mit allen Problemen, mit denen Muslime in Deutschland im Privat- und öffentlichen Leben zu kämpfen haben, umzugehen, auch für das Gelingen der gesamten Gesellschaft extrem wichtig, vor allem in einer Zeit, in der Muslime unter Generalverdacht stehen. Wichtig ist dabei auch die Ausbildung muslimischer Beraterinnen und Berater. MUTES freut sich auf neue Bewerberinnen und Bewerber.
Milena Rampoldi: Welche Hauptziele verfolgt das muslimische Seelsorgetelefon?
Imran Sagir: Es geht in erster Linie darum, einen Seelsorgedienst für Menschen anzubieten, die Gesprächsbedarf haben. Speziell ist unser Seelsorgetelefon an die Muslime in Deutschland gerichtet, um sie in ihrer Lebensgestaltung zu unterstützen und ihnen diese so gut wie möglich zu erleichtern. Es rufen größtenteils Muslime bei uns an. Manchmal kommt es aber auch vor, dass sich Nicht-Muslime melden.
Unser Angebot ist ein niederschwelliges Angebot. Ganz wichtig ist es auch, dass das Angebot anonym ist. Die Anrufer, die sich bei uns melden, sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Meistens handelt es sich um Menschen, die hier in Deutschland aufgewachsen sind. Über 90 Prozent der Anrufer wenden sich auch in deutscher Sprache an uns. Sie sind in Deutschland aufgewachsen oder leben seit ihrer Kindheit hier. Wir haben zwar unsere Nummer und unsere Daten auch an die Flüchtlingsinitiativen weitergeleitet. Aber Flüchtlinge rufen kaum bei uns an. Es handelt sich in fast allen Fällen um Musliminnen und Muslime, die der deutschen Sprache mächtig sind.
MR: Welche Hauptprobleme sprechen Muslime Ihrem Telefon gegenüber an?
Imran Sagir: Die meisten Anrufer melden sich, weil sie zwischenmenschliche Probleme haben. Sie haben Probleme in den Familien. Es gibt Konflikte zwischen den Generationen oder mit dem Partner. Es gibt auch andere, die bei uns anrufen, weil sie sich einsam fühlen und nicht wissen, mit wem sie über ein bestimmtes Thema sprechen sollen. Es fehlen ihnen die richtigen Ansprechpartner in ihrem Umfeld. Ein Thema, das bei uns nicht zur Sprache kommt, ist hingegen der Umgang zwischen Sunniten und Schiiten.
Menschen haben in manchen Fällen auch psychische Probleme. Was selten vorkommt, sind Diskriminierungsfälle. Denn wir Muslime haben ein dickes Fell. Außerdem wissen viele Muslime nicht, dass sie sich auch mit einem solchen Thema an uns wenden können. Aber zum Thema Diskriminierung gibt es in Berlin auch das Antidiskriminierungsnetzwerk, das sich um die Opfer kümmert.
Einmal gab es aber bei uns auch den Anruf einer Frau, die wegen des Kopftuchs die Arbeit verloren hatte. Sie erhielt dann auch durch die Antidiskriminierungsstelle Unterstützung und gewann ihre Arbeit zurück.
Interkulturelle Probleme zwischen Muslimen kommen auch eher selten vor. Wenn es um diese Probleme geht, dann geht es normalerweise um Heirat mit einer Person aus einer anderen muslimischen Kultur. Dann ist die Familie dagegen, und die Person, die heiraten möchte, braucht unsere Unterstützung. Auch Menschen, die in Mischehen leben, wenden sich an uns.
MR: Welche Vorteile bietet eine solche anonyme Beratung durch Muslime für Muslime?
Imran Sagir: Sich anonym an jemanden wenden zu dürfen, ist einfacher. Man spricht lieber und leichter über die eigenen, privaten Probleme. Zuerst spricht die Person mit uns darüber. Und dann erst geht sie auf den nächsten Schritt über. Es ist sehr wichtig, dass die Person durch uns aktiv wird, um die angestauten Thematiken abzuarbeiten. Die Anonymität wirkt ermutigend auf die Anrufer. Wir wiederum machen den Menschen durch das Gespräch Mut. Man entwickelt gemeinsam, im Beratungsgespräch, die nächsten Schritte, um sie dann umzusetzen.
Was die Anonymität für uns als MUTES bedeutet, ist aber das: Wir wissen nicht, wie es weitergeht, wie der Anrufer sein Problem dann löst oder auch nicht. Denn es kommt kaum ein Feedback, gerade weil die Anrufe anonym sind. Aber, wenn auch selten, kommt es auch mal vor, dass sich Leute wieder bei uns melden und sich bedanken.
MR: Wie arbeiten die Beraterinnen und Berater? Was ist das Wichtigste in ihrer Arbeit?
Imran Sagir: Unsere Kollegen sind alle ehrenamtlich tätig. Grundsätzlich erhalten sie eine Ausbildung von 160 Stunden mit praktischem Teil. Sie arbeiten dann bei uns 3 Mal im Monat 4 Stunden lang. 2 Stunden im Monat gibt es auch eine Supervision. Einmal im Jahr findet dann auch eine erneute Weiterbildungseinheit von einem Abend bis zu einem Wochenende statt. Männer und Frauen sind bei uns aktiv.
Die berufliche Situation ist sehr verschieden, vom Unternehmer bis zur Hausfrau, wobei ein Großteil von ihnen Akademiker sind. Im Schnitt sind die MitarbeiterInnen von MUTES 30 Jahre alt.
MR: Erzählen Sie uns ein wenig über die Entstehung und die Geschichte Ihres Telefons.
Imran Sagir: Mai 2009 sind wir an die Leitung gegangen. Die Idee entstand aber viel früher. Es kam einfach der Wunsch auf, ein Seelsorgetelefon auch für Russisch, Türkisch und Englisch einzurichten. Es gab dann Diskussionen in einer Gruppe zwischen kirchlichen Institutionen und Islamic Relief, unserem Trägerverein. Es kamen verschiedene Fragen auf: Es sollte ein muslimisches Seelsorgetelefon mit sprachlichen Angeboten werden, aber für alle Muslime offen sein. Somit wäre Türkisch zu wenig.
Ein anderes Fragezeichen war: Wollen wir uns auf ein neues Feld einlassen? Soll Islamic Relief diesen neuen Schritt zu. Sollen Muslime mit den Kirchen und ihren Seelsorgetelefonen so eng zusammenarbeiten? Am Ende wurde das Projekt aber umgesetzt. Im Moment läuft der achte Ausbildungskurs für die BeraterInnen.
MR: Was haben Sie bisher erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Imran Sagir: Bisher haben wir 28.000 Telefonate entgegengenommen. Was wir uns wünschen, sind mehr ehrenamtliche Kollegen. Einige sind in Pause wegen Mutterschaft. Wir brauchen im Moment mehr Personal.
Was wir vielleicht in Zukunft auch machen möchten, ist eine Face-to-Face-Beratung.
Ein anderes Anliegen von uns betrifft die Weiterbildung. Was aber positiv für uns ist: Wir haben bewiesen, dass auch Muslime in der Lage sind, einen stabilen Dienst aufzubauen. Wir sind auch als Partner angenommen von vielen Institutionen. Die Ausbildung wurde am Anfang nur von kirchlichen Ausbildern gemacht, weil wir selbst keine Ausbilder hatten. Jetzt arbeiten wir mit gemischten Ausbilderteams zusammen. Und es gibt weniger Berührungsängste als früher. Das Positive an der Sache ist, dass Muslime immer unabhängiger werden.
MUTES freut sich auf neue muslimische Bewerber, die sich ausbilden lassen möchten.
Zu den Sprachen möchte ich noch etwas sagen: Wir sprechen fast immer Deutsch. Dienstag gibt es eine deutsch-türkische Beratung. Auf Anfrage sind auch andere Sprachen möglich. Wir gucken auf den Dienstplan und teilen das den Anrufern mit. Folgende Sprachen sind bei uns möglich: Arabisch, Türkisch, Urdu, Englisch, Französisch, Farsi.