
BERLIN/KARLSRUHE (GFP.com). Iran kann sich zur Legitimation seiner Atompolitik auf die deutsche Haltung zum Atomwaffensperrvertrag berufen. Das internationale Abkommen, das die Nichtverbreitung von Kernwaffen aller Art vorschreibt (Non-Proliferation), wurde von der Bundesrepublik während seines Entstehungsprozesses massiv aufgeweicht. Deutsche Regierungspolitiker wollten sich zunächst nicht mit einem von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs geforderten vollständigen Verzicht auf nukleare Bewaffnung abfinden und sahen dies als Verstoß gegen die „nationale Würde“ an.
Dass die Bundesrepublik die völkerrechtliche Übereinkunft 1975 schließlich doch noch ratifizierte, war allein dem Zugeständnis geschuldet, Westdeutschland bei der so genannten friedlichen Nutzung der Atomenergie freie Hand zu lassen. Federführend auf diesem Gebiet war das Kernforschungszentrum Karlsruhe, das heute unter der Bezeichnung Karlsruher Institut für Technologie (KIT) firmiert. Die Politik der Institution wurde maßgeblich von ehemals führenden Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern bestimmt; Mitarbeiter erklärten, in der Einrichtung herrsche ein ausgesprochen „neonazistisches Klima“. Die in Karlsruhe ab 1956 entwickelte Kerntechnik gelangte in der Folgezeit in die Hände diktatorischer und rassistischer Regime.
Atomare Teilhabe
Das Beharren des Iran, im Rahmen der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie auch waffenfähiges Spaltmaterial zu produzieren, weist starke Parallelen zur Politik der Bundesrepublik auf. Die bereits unter dem NS-Regime begonnene Forschung an Zentrifugen zur Urananreicherung wurde bereits zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder aufgenommen. Verbunden damit war die Forderung nach „atomarer Teilhabe“ im Rahmen der NATO, ein Vorhaben, das deutsche Regierungspolitiker zur „Frage der nationalen Würde und des nationalen Ranges“ stilisierten. Die von deutschen Wissenschaftlern entwickelten Anlagen zur Urananreicherung bilden heute die Grundlage des iranischen Atomprogramms.
Morgenthau-Plan im Quadrat
Das Mitte der 1950er Jahre von deutscher Seite aufgenommene Atomprogramm verknüpfte von Anfang an die zivile mit dem Offenhalten einer militärischen Nutzung der Kernenergie. Folgerichtig bekämpften deutsche Politiker den 1968 von der Sowjetunion, den USA und Großbritannien unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag („Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons“). So bezeichneten Altbundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und der vormalige Atom- und Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU) das Abkommen, das die Nichtverbreitung von Kernwaffen aller Art vorschreibt, wahlweise als „Morgenthau-Plan im Quadrat“ oder als „Versailles (…) von kosmischen Ausmaßen“. Die Wortwahl verweist auf bis heute im rechten politischen Spektrum geläufige Stereotype: Sowohl dem 1945 amtierenden US-amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau als auch den Urhebern des Versailler Friedensvertrags von 1919 wird vorgeworfen, durch die von ihnen beabsichtigte Entmilitarisierung Deutschlands dessen „Versklavung“ angestrebt zu haben.
Freie Hand
Dass die Bundesrepublik den Atomwaffensperrvertrag 1975 schließlich doch noch ratifizierte, war allein dem Zugeständnis der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs geschuldet, Westdeutschland bei der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie freie Hand zu lassen. Genau dies hatte Außenminister Willy Brandt (SPD) bereits Ende 1969 in einer diplomatischen Note ultimativ gefordert. Wie Brandt ausführte, untersage das Abkommen nach deutscher Lesart weder die „nukleare Tätigkeit auf dem Gebiet der Forschung, Entwicklung, Herstellung oder Verwendung“ noch die „Lieferung von Kenntnissen, Material und Ausrüstungen“. Dies gelte selbst dann, erklärte der Außenminister weiter, wenn „eine derartige Tätigkeit oder eine derartige Lieferung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern verwendet werden kann“.
Spaltstoffflusskontrolle
Zur Absicherung der deutschen Atompläne entwickelten Wissenschaftler des 1956 gegründeten Kernforschungszentrums Karlsruhe (KfK) das Konzept der „Spaltstoffflusskontrolle“. Dieses sieht vor, durch „geeignete Messinstrumente“ an „wenigen strategischen Punkten“ die Bewegung spaltbaren Materials innerhalb einer Brennelementefabrik oder eines Kernkraftwerks zu überwachen. Die „Spaltstoffflusskontrolle“ fand Eingang in das Verifikationsabkommen zum Atomwaffensperrvertrag und ist seither für alle Mitglieder der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) verbindlich. Die Zugangsrechte der Inspektoren der IAEA wurden dadurch erheblich eingeschränkt; nur mit Zustimmung der jeweils zu Inspizierenden können sie den Ort, den Zeitraum und den Umfang ihrer Kontrollen festlegen. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe, das mittlerweile unter der Bezeichnung „Karlsruher Institut für Technologie“ (KIT) firmiert, ist eigenen Angaben zufolge bis heute stolz auf seine Erfindung. Der Atomwaffensperrvertrag sei dadurch „überhaupt erst hoffähig, sprich unterschriftsreif“ geworden, heißt es in einer Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Institution.
Zutritt für Juden verboten
Geleitet wurde das Kernforschungszentrum Karlruhe bis in die 1970er Jahre hinein von vormals führenden Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern. Als Geschäftsführer der „Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft“, wie die ursprüngliche Bezeichnung des KfK lautete, fungierte Rudolf Greifeld. Während des Zweiten Weltkriegs hatte der Jurist im Range eines „Kriegsverwaltungsrates“ für die deutsche Militäradministration im besetzten Paris gearbeitet. Von ihm stammt unter anderem die Anregung, die „Verlängerung der Polizeistunde“ bei Gaststätten von der „Verpflichtung“ abhängig zu machen, „dass der Eigentümer ein Schild an der Tür anbringt, wonach Juden der Zutritt verboten ist“. Neben Greifeld fand sich auch Gerhard Ritter in der Geschäftsführung des KfK wieder. Ritter hatte während der NS-Zeit für den IG Farben-Konzern gearbeitet. Das seinerzeit weltweit größte Chemieunternehmen unterhielt in Auschwitz ein eigenes Konzentrationslager (Buna-Monowitz) und produzierte das Giftgas Zyklon B für den industriellen Massenmord an den europäischen Juden. Ritter selbst war an der Entwicklung des Kampfstoffes „Sarin“ beteiligt. Zu seinen Wirkungsstätten gehörte das „Reichsamt für Wirtschaftsausbau“ unter dem IG Farben-Manager Carl Krauch, das maßgeblich für die Ausplünderung der von Deutschland besetzten Gebiete und die Versklavung der dort lebenden Menschen verantwortlich war.
Der Sprengstoff-Papst
Den „Sondergeschäftsbereich Mehrzweckforschungsreaktor“ innerhalb des KfK leitete bis 1968 Josef Brandl. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Brandl in der Zivilverwaltung des von Deutschland besetzten Ostgalizien und war dem Historiker Götz Aly zufolge „kraft Amtes mit der Vernichtung von insgesamt 500.000 ostgalizischen Juden befasst“. Er gehörte zu den Anwesenden, die laut Protokoll in „stürmischen Beifall“ und „große Heiterkeit“ ausbrachen, als der Generalgouverneur im besetzten Polen, Hans Frank, nach einer Deportationswelle im Lemberger Opernhaus auf das Thema „Juden“ zu sprechen kam: „Es war heute keiner mehr zu sehen. Ihr werdet doch am Ende nicht böse mit denen umgegangen sein?“ Von 1960 bis 1970 führte Walther Schnurr die Geschäfte des KfK. Schnurr war 1936 zur Dynamit AG (DAG) gekommen, einer Tochtergesellschaft der IG Farben. Nach Recherchen des Journalisten Christhard Läpple fungierte Schnurr in den Jahren 1942 bis 1944 als stellvertretender Betriebsleiter der DAG in Christianstadt, dem heutigen Nowgorod Bobrzanski (Polen), wo Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge unter mörderischen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. Der von der deutschen Presse als „Sprengstoff-Papst des Dritten Reiches“ Titulierte setzte sich 1945 zunächst nach Argentinien ab, weil er dort nach eigener Aussage „politisch keine Schwierigkeiten hatte“ – und außerdem wegen seines technischen Know-hows offensichtlich begehrt war: Schnurr wurde wissenschaftlicher Berater der Regierung Péron.
Neonazistisches Klima
Aufgrund der Besetzung der Führungspositionen innerhalb des Kernforschungszentrums Karlsruhe erscheint die Äußerung des Physikers und einstigen KfK-Mitarbeiters Leon Grünbaum plausibel, der zufolge sich die Institution durch ein ausgesprochen „neonazistisches Klima“ auszeichnete. Als durchaus folgerichtig erscheint zudem die Tatsache, dass die in Karlsruhe ab 1956 entwickelte Kerntechnik in der Folgezeit ihren Weg zu diktatorischen und rassistischen Regimes fand – so nach Argentinien, Brasilien, Südafrika und Pakistan, wo sie die Grundlage für den Griff nach der Atombombe legte.