Jemen braucht jetzt Hilfe

Foto: Jennifer Bose, CARE

Für die Menschen hier ist das Coronavirus nur eine von vielen Sorgen: Sie wollen ihre Kinder ernähren. Mehr als eine halbe Millionen sind unterernährt.

(iz). Die humanitäre Krise im Jemen ist die schlimmste, die ich jemals gesehen habe. Hungernde Kinder brauchen jetzt Hilfe. Die düsteren Szenen in dieser vom Krieg zerrütteten Nation sind apokalyptisch. Regierungen müssen jetzt Waffenlieferungen an Saudi-Arabien einstellen und Lebensmittel in den Jemen liefern.

Das jemenitische Gesundheitssystem ist dank einer Epidemie zusammengebrochen. Covid-19 ist aber nicht die Ursache dafür, sondern der Hunger von Kindern. Überall, wo ich hingehe, jede Familie, mit der ich spreche – sie sorgen sich nicht um Masken, sozialen Abstand oder Händewaschen. Ihre Sorge lautet: „Ich brauche Lebensmittel oder meine Kinder werden an Hunger sterben.“

Seit 2000 reise ich jährlich in das Land, nachdem ich meine jemenitischen Wurzeln entdeckte. Zuerst kam ich, weil es ein Teil von mir ist. Das ist lange vorbei. Jetzt reise ich als Hilfsarbeiter, denn bei jedem Besuch verschlechtert sich die humanitäre Lage. Sie ist die schlimmst, die ich jemals gesehen habe. Es bricht mir das Herz.

Gegenwärtig arbeite mit der NGO Syria Relief zusammen; eine humanitäre Hilfsorganisation im von Krieg zerrissenen Syriens. Sie hat Erfahrung in der Bereitstellung lebensrettender Hilfe in einem Kriegsgebiet, die hier so dringend benötigt wird. Es gibt viele, viele Unterschiede zwischen der hiesigen Situation hier und der in Syrien. Während die Armut dort seit Beginn des Konflikts in die Höhe geschossen ist, war es zuvor ein Land mit mittlerem Einkommen. Der Jemen wurde lange vor dem Bürgerkrieg von Armut heimgesucht.

Bei diesem Besuch war ich nur Stunden im Land, bis ich die ersten Fälle von Mangelernährung von Kindern sah. Ich war in der Stadt al-Dhalea, gegenwärtig eine Frontzone, in der Huthi-Kräfte regelmäßig mit Kämpfern südlicher Separatisten zusammenstoßen. Mein Kollege Adulqadir Muhammad vom Roten Kreuz Jemen berichtete mir von einer Mutter mit Kind, die am 24. November in ein Krankenhaus eingeliefert wurden: Er erklärte: „Der Grund, warum so viele unter Mangelernährung leiden, ist, dass die Mütter keine Milch mehr produzieren können, um ihre Säuglinge zu stillen.“

Sofort sprangen meine humanitären Instinkte an. Ich wollte diese Mutter und ihr Kinder sehen und ich wollte helfen. Als wir losfuhren, erhielt Abdulqadir den Anrufen eines anderen, lokalen Krankenhauses: „Sie haben eine Notanfrage nach hundert Leichensäcken und Leichentüchern.“ Ich fragte, warum es so viele seien. Mir wurde gesagt, die Ursachen seien Hunger, Gefechte und „einige wenige Coronavirus-Fälle hier und da“. Mir wurde das Herz schwer.

Für die Menschen hier ist das Coronavirus nur eine von vielen Sorgen: Sie wollen ihre Kinder ernähren. Die Vereinten Nationen berichteten letzten Monat, dass allein im Südjemen mehr als eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren an akuter Unterernährung leiden.

Diese Einschätzung bestätigte sich, als wir eine ehemalige Schule besuchten, die in einem Luftangriff bombardiert wurde. Heute sind dort 55 vertriebene Familien untergebracht. Als ich Jaber fragte, der für diese Menschen spricht, trug niemand eine Maske oder kümmerte sich um den Virus: „Warum sollen wir uns um den Coronavirus sorgen, wenn wir keine Lebensmittel zu essen oder kein Wasser zu trinken haben?“

In der schwer betroffenen Hafenstadt Al-Hodeida sah ich beunruhigendere Szenen. Hier waren die Menschen lange vor der Eskalation des Konflikts vor fünf Jahren arm. Aber jetzt ist die Situation schlimmer als je zuvor. Für diejenigen, die ihre Häuser nicht verlassen haben und in einen anderen Teil des Jemen geflohen sind, besteht wenig Hoffnung auf angemessene Gesundheitsversorgung. Die meisten wissen nicht, woher ihre nächste Mahlzeit kommt.

Die Szenen im Al-Sabeen-Krankenhaus für Frauen und Kinder in Sanaa sind apokalyptisch. Beinahe jedes Bett und jede Abteilung sind voller unterernährter Kinder. Ihre winzigen Skelette scheinen durch ihre Haut. Es wird mich für immer verfolgen. Neben den Pieptönen der Intensivstation erklärt mir Dr. Najla al-Sonboli, einer Absolventin der Liverpooler Schule für Tropenmedizin, dass die Finanzierung zur Behandlung dieser Kinder sehr schwierig sei. Ein Großteil der Unterstützung seitens internationaler Organisationen sei eingestellt worden. In diesem Moment werde ein Großteil der Behandlung und des Transports der Mitarbeit zum und vom Krankenhaus von einer Gruppe Damen aus Liverpool finanziert, die sie kennt. Sie verkaufen regelmäßig Kuchen, Kunsthandwerk und sammeln lokal Spenden. Trotz der erdrückenden Bedingungen in der Klinik sind diese Familien die glücklichen, denn sie erhalten etwas Gesundheitsversorgung. Rund die Hälfte der jemenitischen Gesundheitszentren im Jemen sind gegenwärtig geschlossen. Der Rest ist ernsthaft unterversorgt.

Einer der Fälle, der mich am stärksten getroffen hat, war der von Ghasoon, einer 19-jährigen mit Gebärmutterkrebs. Wir trafen sie und ihren Vater bei einer Lebensmittelverteilung in Al-Hodeida. Er lud uns zu sich nach Hause ein, kaum mehr als eine Hütte aus Zweigen. Sie berichtete uns, dass ihre Familie in einem schönen Haus lebte, so sie als Fischer ein angenehmes Auskommen hatten. Nachdem der Konflikt in ihre Gegend kam, mussten sie fliehen. „Wir haben kein Geld mehr zur Behandlung meines Krebses“, sagte sie unter Tränen. „Wir hatten nur genug für die Untersuchung und die Diagnose. Ich will, dass der Krieg aufführt, damit ich zurück nach Hause kann!“

Dies ist die Einstellung von fast allen, die ich hier getroffen habe. Sie kümmern sich nicht um Politik, und wollen nur, dass der Konflikt endet. Jetzt, da der Jemen hungert, wollen die Bürger nur in der Lage sein, Essen auf den Tisch zu bringen.

Jeder der hunderttausenden Fälle von Kindern am Rand des Hungertodes ist eine Tragödie. Aber wissen Sie, was ebenfalls eine Tragödie ist? Wie leicht all das zu verhindern gewesen wäre. Seit das Bombardement des Jemen durch die saudisch geführte Koalition im März 2015 begann, hat allein Großbritannien Waffen im Wert von mindestens 5,87 Milliarden Euro an Riad geliefert. Unsere Regierung muss von NGOs wie Syria Relief lernen und Lebensmittel statt Waffen in den Jemen schicken.

Link für Spenden: https://www.justgiving.com/fundraising/insideyemen

Dieser Beitrag wurde am 28. November 2020 in der britischen Tageszeitung „The Independent“ veröffentlicht. Übersetzung und Abdruck mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.