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Kaschmir: drei Kriege und keine Lösung

Ausgabe 359

kaschmir
Foto: Adobe Stock

Indien, Pakistan und die internationale Gemeinschaft haben in Kaschmir seit Jahrzehnten versagt.

(The Conversation/IZ). Der schreckliche, gezielt ausgeführte Terrorakt von Militanten in Kaschmir am 22. April, bei dem mindestens 25 indische Touristen und ein nepalesischer Staatsange­höriger getötet und viele weitere verletzt wurden, trägt alle Merkmale des Terrorismus. Er ereignete sich zu Beginn der Hochsaison. Von Bulbul Ahmed & Nitasha Kaul

Die Region ist Schauplatz vielfältiger widerstrebender Ansprüche, tief verwurzelter Konflikte und intensiver Milita­risierung. Der politische Streit wurde ­darüber hinaus dazu genutzt, die Kaschmiris entlang religiöser Linien zu spalten – in eine absolute muslimische Mehrheit und eine hinduistische Minderheit. Diese wird seit Jahr gezielt durch Ansiedlungsprogramme der Regierung in Delhi ­vergrößert.

Eskalation um Kaschmir und Repression gegen Muslime im Inland

Vor dem Hintergrund der Islamfeindlichkeit in Indien erhöht ein solcher ­Angriff die Gefahr von Repressionen und Gewalt gegen Angehörige dieser Religion. Die Reaktion in den indischen Mainstreammedien folgte einem vorhersehbaren Drehbuch. Inmitten der Hindutva (hindu-nationalistischen) Eskalation der antimuslimischen Stimmung im Land forderten einige Menschen in den sozialen Kanälen die Annexion des von Pakistan verwalteten Teils des seit 1947 geteilten Gebiets.

Das 222.236 Quadratkilometer große Tal in den schneebedeckten Gebirgszügen des Himalaya und Karakorum, ist eine umstrittene Region zwischen Indien, Pakistan und China. Delhi und Islamabad erheben Anspruch die gesamte Zone, verwalten jedoch jeweils nur einen Teil davon.

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Während der britischen Herrschaft über Indien war Kaschmir ein Feudalstaat mit einem eigenen regionalen Fürsten. 1947 erklärte sich der dortige Herrscher Maharaja Hari Singh bereit, sein Königreich unter Bedingungen an Delhi anzuschließen. Es sollte seine politische und wirtschaftliche Souveränität behalten, während Indien für die Verteidigung und die Außenpolitik zuständig sein sollte.

Doch Pakistan, das gerade von den ­Briten gegründet worden war, erhob ­Anspruch auf den mehrheitlich muslimischen Teil Kaschmirs entlang seiner Grenze. Die beiden Nachfolgestaaten des britischen Raj führten 1947 den ersten von drei großen Kriegen um das Gebiet. Das Ergebnis war die Einrichtung einer von den Vereinten Nationen vermittelten „Waffenstillstandslinie“, die das indische und pakistanische Territorium trennte. Die Linie verlief mitten durch Kaschmir.

Kriege brachten keine Lösung

Trotz der Festlegung dieser Grenze, die heute als „Kontrolllinie“ bekannt ist, folgten 1965 und 1999 zwei weitere Waffengänge. Schätzungsweise 20.000 Menschen starben in diesen drei Kriegen.

Das Völkerrecht, ein nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenes Regelwerk für alle Nationalstaaten der Welt, soll ter­ritoriale Meinungsverschiedenheiten wie die um Kaschmir lösen. Sie werden hauptsächlich vom Internationalen Gerichtshof behandelt, einem UN-Tribunal, der über umstrittene Grenzen und Kriegsverbrechen entscheidet.

Doch das internationale Recht hat wiederholt versagt, den Konflikt zu lösen, wie meine Forschung zu Kaschmir und zum Völkerrecht zeigt. Die UNO hat zahlreiche erfolglose Versuche unternommen, den Dialog zwischen Indien und Pakistan über das Gebiet wiederher­zustellen, wo heute eine vielfältige Bevölkerung von 13,7 Millionen Muslimen, Hindus und Angehörigen anderer Glaubensrichtungen lebt.

Foto: Photo Division, Government of India, via Wikimedia Commons | Lizenz: Public Domain

1949 entsandte die UNO eine Blauhelmmission in beide Länder. Die Friedensmissionen der UNO waren nicht so robust wie ihre heutigen Friedensoperationen, und die internationalen Truppen erwiesen sich als unfähig, die Unverletzlichkeit der Grenzen zwischen den verfeindeten Ländern zu schützen.

Im Jahr 1958 empfahl die Graham-Kommission dem UN-Sicherheitsrat, dass Indien und Pakistan sich auf eine Entwaffnung Kaschmirs und die Abhaltung eines Referendums zur Entscheidung über den Status des Gebiets einigen sollten.

Delhi lehnte diesen Plan ab, und ­sowohl Indien als auch Islamabad waren sich uneinig darüber, wie viele Truppen im Falle einer Entmilitarisierung an ihrer gemeinsamen Grenze verbleiben konnten. 1965 brach ein weiterer Krieg aus. 1999 lieferten sich beide Kämpfe entlang der Kontrolllinie im Bezirk Kargil in Kaschmir, was die Vereinigten Staaten zu einer diplomatischen Intervention auf Seiten Indiens veranlasste.

USA versuchten, Eskalationen zu verhindern

Seitdem besteht die offizielle Politik der USA darin, eine weitere Eskalation zu verhindern. Die US-Regierung hat mehrfach offeriert, einen Vermittlungsprozess über das umstrittene Gebiet zu erleichtern. Der letzte US-Präsident, der dieses Angebot unterbreitete, war Donald Trump, nachdem 2019 in Kaschmir Konflikte ausgebrochen waren. Die ­Bemühungen blieben erfolglos.

Warum ist der Streit politisch zu schwierig für einen weltweit vermittelten Kompromiss? Zum einen sind sich beide Staaten nicht einmal darüber einig, ob in dem Gebiet das Völkerrecht gilt. Während Pakistan den Kaschmir-Konflikt als internationalen Streitfall betrachtet, spricht der indische Staat von einer „bilateralen Angelegenheit“ und einer „inneren Angelegenheit“.

Die Haltung Delhis schränkt den Anwendungsbereich des Rechts ein. So können Organisationen in der Region nicht in die das Thema eingreifen – bspw. durch die Einberufung eines regionalen Dialogs. Indiens Behauptung, Kaschmir sei sein Territorium, ist umstritten.

Im Jahr 2019 schaffte die indische ­Regierung ein Gesetz von 1954 ab, das Kaschmir einen autonomen Status gewährte, und besetzte es militärisch. Mindestens 500.000 Soldaten sind derzeit dort stationiert. Heute ist es das am stärksten militarisierte Gebiet der Welt.

Die pakistanische Regierung verurteilte diesen Schritt als „illegal“, und viele Kaschmiris auf beiden Seiten der Kontrolllinie sagen, Indien habe gegen das damalige Beitrittsabkommen von 1947 mit ­Maharaja Singh verstoßen. Die UNO betrachtet das Tal weiterhin offiziell als umstrittenes Gebiet. Delhi hält daran fest, dass Kaschmir Teil seines Staatsgebietes ist und unter der Kontrolle der Zentralregierung steht, was die ohnehin schon schlechten Beziehungen ­zwischen Indien und Pakistan weiter ­verschlechtert.

Foto: Pxhere | Lizenz: gemeinfrei

Interne Probleme in Pakistan

Ein zusätzliches Hindernis für den Frieden der beiden Staaten: das pakistanische Militär. 1953 einigten sich Indiens Regierungschef Nehru und Pakistans Premierminister Bogra grundsätzlich darauf, das Problem durch eine UN-Vermittlung oder durch ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof zu lösen. Dazu kam es jedoch nie, da die Armee in ­Pakistan Bogra im Jahr 1955 stürzte.

Seitdem haben mehrere Militärregimes die Demokratie in Islamabad unterbrochen. Indien ist der Ansicht, dass diese undemokratischen Regimes nicht glaubwürdig genug sind, um mit ihm zu verhandeln. Generell haben die Militärregierungen den Krieg dem politischen Dialog vorgezogen.

Welches Recht gilt?

In vielen Fällen können Verträge und zwischenstaatliche Gerichtsentscheidungen nicht durchgesetzt werden. Es gibt keine globale Polizeitruppe, die bei der Umsetzung des Völkerrechts helfen könnte.

Wenn ein Staat ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs ignoriert, kann die andere Partei in diesem Gerichtsverfahren den Sicherheitsrat anrufen, der Druck auf ein Land ausüben oder sogar Sanktionen verhängen kann, um es zur Einhaltung des internationalen Rechts zu zwingen. Dies kommt jedoch selten vor, da solche Beschlussfassungsverfahren hochpolitisch sind und jedes ständige Mitglied des Sicherheitsrats sein Veto einlegen kann.

Und wenn die Konfliktparteien eher geneigt sind, einen Konflikt aus der Perspektive des innerstaatlichen Rechts zu betrachten – wie Indien in Hinblick auf Kaschmir und Israel in Bezug auf die ­palästinensischen Gebiete –, können sie argumentieren, dass das Völkerrecht einfach nicht gilt.

* Übersetzung und veröffentlicht im Rahmen einer CC-Lizenz.

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