Anfangs verharmlosten türkische Behörden die angereisten bärtigen Araber noch als „Urlauber“. Doch mit der Rücksicht der Erdogan-Regierung ist es vorbei. Im Grenzgebiet zu Syrien gab es bereits einen ersten Schlagabtausch mit den „Gotteskriegern“.
Istanbul (dpa). Die Türkei hat den Radikalen in Syrien den Kampf angesagt. Nachdem die mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbündeten Kämpfer auch dem Nachbarn im Norden mit Bombenanschlägen gedroht haben, geht die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in die Offensive. Der Vorwurf, sein Land habe den Extremisten Unterschlupf gewährt, sei eine Lüge, sagt Erdogan. Die Türkei werde gegen diese Gruppen vorgehen.
Zu Beginn des Aufstands gegen das Regime von Baschar al-Assad vor zweieinhalb Jahren hatten die türkischen Behörden noch einen Aufmarsch ausländischer Kämpfer im eigenen Grenzgebiet zu Syrien geduldet. Erdogan musste sich dafür heftige Kritik der Opposition anhören, die ihm Unterstützung „islamistischer“ Kräfte vorwarf.
Von offiziellen Stellen wurden die zahlreich angereisten bärtigen, jungen Männer aus arabischen Staaten verharmlosend als „Urlauber“ bezeichnet. Auch weil die Türkei aus humanitären Gründen eine Politik der offenen Grenze für Flüchtlinge betreibt, war es für diese bisher leicht, im Grenzgebiet unterzuschlüpfen. In Syrien selbst bauten sie ihre Position immer weiter aus.
Im September übernahmen „Dschihadisten“, die dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahestehen, die Kontrolle im syrischen Grenzort Asas. Die Kämpfer gehören zur Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS). Die ISIS-Kämpfer haben in Syrien mehrere Orte unter ihre Kontrolle gebracht. Dort haben sie ihr „Kalifat“ eingerichtet. Die Militanten drangsalieren dort die einheimische Bevölkerung mehr, als dass sie noch gegen das Regime von Assad kämpfen. Mehrfach haben sie sich Kämpfe mit der gemäßigteren „Freien Syrischen Armee“ (FSA), die von syrischen Deserteuren gegründet wurde, geliefert.
Die Türkei unterstützt die FSA und macht als Reaktion auf den Vormarsch der „Islamisten“ die Grenze bei Asas dicht. Mitte Oktober nahm türkische Artillerie dort eine Stellung der ISIS-Extremisten (ISIS) unter Feuer, nachdem eine von den Extremisten abgefeuerte Granate auf türkischem Boden eingeschlagen war. Die türkischen Sicherheitsbehörden sind Medienberichten zufolge in Alarmbereitschaft. Sie haben Informationen, wonach ISIS-Kämpfer Autobomben in türkischen Metropolen zünden wollen.
In der vergangenen Woche flog in der südlichen Stadt Adana eine Waffenlieferung aus der Türkei nach Syrien auf. Auf einen anonymen Hinweis hin fand die Polizei auf einem Lastwagen Hunderte Raketensprengköpfe oder Granaten – hier gehen auch amtliche Angaben auseinander. Der Tippgeber hatte der Polizei einen Drogentransport gemeldet und damit eine Razzia mit Hundeführern ausgelöst.
Zuvor flog eine Lieferung von Chemikalien nach Syrien auf. Zudem wurde im Hafen von Rhodos ein mit Kurs Südtürkei fahrender Frachter an die Kette gelegt, um eine Ladung mit großen Mengen Waffen und Munition zu überprüfen, darunter 20 000 Sturmgewehre.
Auch der türkischen Staatsführung macht die Radikalisierung in Syrien zunehmend Sorge. Das Land könne zu einem „Afghanistan an der Küste des Mittelmeers“ werden, warnte Staatspräsident Abdullah Gül einem Interview mit der britischen Zeitung „Guardian“. Nun drohe der von Dschihadisten auch unter einfachen Leuten verbreitete Extremismus zur Gefahr für Nachbarn Syriens und für Europa zu werden.
Von dem härteren türkischen Kurs profitieren zuerst die syrischen Kurden. Milizen der syrischen Kurdenpartei PYD haben in den vergangenen Tagen in den Gebieten um die syrische Grenzstadt Ras al-Ain nach heftigen Gefechten ISIS-Einheiten und Kämpfer der islamistischen Al-Nusra-Front zurückgeschlagen. Ein Grund dafür sei, dass die Türkei ihre Unterstützung für die „Islamisten“ gestoppt habe, erklärte der PYD-Vorsitzende Salih Muslim. Er sagte: „Die Banden greifen uns nicht mehr aus der Türkei an, wie sie es zuvor getan haben.“