
Lampedusa: Sieht man auf kommende Wahlen, wird Einwanderung zur entscheidenden Größe. Die AfD bietet einen billigen Ausweg – die Schließung von Grenzen.
(iz). Zu den zynischen Wortspielen gehört, die Lage der europäischen Gesellschaften mit dem Bild vom „vollen Boot“ zu verbinden wollen. Das Mittelmeer, einst Wiege der Zivilisation, ist heute ein Massengrab.
Lampedusa lässt keine zynische Sprache zu
Die Ursachen sind vielfältig: die Not in Afrika, die Menschen zur Flucht treiben, das Geschäft gewissenloser Schlepperbanden und der mangelnde Wille, Menschenleben auf den Meeren zu retten. Die Verzweifelten, die in Europa ankommen, erwartet ein ungewisses Schicksal.
Foto: ii-graphics, Adobe Stock
Die kleine, überlaufene Insel Lampedusa erinnert wieder einmal an das ungelöste Problem: Tausende Flüchtlinge harren dort aus, leben unter erbärmlichen Umständen, bis sich die EU eines Tages zu einer Lösung des humanitären Problems durchringen wird.
Während osteuropäische Staaten die Hilferufe ignorieren, werden absehbar einige westeuropäische Regierungen – insbesondere Deutschland – ihrer Verantwortung mehr oder weniger nachkommen.
Ob gewollt oder nicht – Einwanderung wird bestimmendes Thema
Sieht man auf die nächsten Wahlen, wird das Thema Einwanderung vermutlich zur entscheidenden Größe. Die sogenannte Alternative für Deutschland bietet einen billigen Ausweg: die Schließung von Grenzen.
Die Vernunft gebietet es, nicht auf simple Symbolpolitik zu vertrauen. Wie der – aus Sicht der Rechtspopulisten – „Volkswille“ langfristig politisch umgesetzt werden soll, bleibt vage. Es wird selten nachgefragt, wie genau und mit welchen Mitteln die Partei den Zugang zu Europa auf Dauer verhindern will.
In dieser Situation ist es eine der Aufgaben von muslimischen Medien zur Differenzierung beizutragen. Hierher gehören die Narrative zu erzählen, die die Erfolge von Immigration benennen. Positive Erfahrungen gibt es genug: Wir beobachten in unseren Moscheen Muslime, die erstaunlich schnell Deutsch lernen, arbeiten, sich engagieren und die Gesetze dieses Landes achten.
Foto: Achim Melde, Pressebild, Deutscher Bundestag
Oft hört man von Ihnen, dass sie ihre neue Heimat schätzen, in der es wenig Korruption gibt und – im Vergleich zu den Herkunftsländern – Polizeigewalt oder Behördenwillkür die Ausnahme sind.
Wir erleben ebenso die Schattenseiten der aufgeladenen Stimmung: Gewalt durch Rechtsextreme, Alltagsrassismus oder die Unsitte, jede x-beliebige Straftat eines Muslims dem Islam zuzurechnen. Es ist keine Frage, dass wir den Rückfall Europas in eine nationalistische Politik durch die Kräfte fürchten, die sich nicht zuletzt unter der Losung „der Islam ist an allem Schuld“ so effektiv vereinen.
Vor den Extremen hüten
Auf Grundlage dieser Erfahrungen und Überzeugungen müssen wir uns, so meine ich, vor einem anderen Extrem hüten, die wir die Ideologie des Guten nennen könnten. Weder die Losung, alle Flüchtlinge der Welt aufzunehmen, noch die Forderung einer Sperrung des Weges nach Europa verspricht gesellschaftlichen Frieden.
Nicht jede(r) BürgerIn, der/die wachsende Zahl der Immigranten mit Skepsis begegnet, hat eine rassistische Haltung. Zur ausgewogenen Meinungsbildung gehört, das Gespräch mit den Teilen der Bevölkerung zu suchen – sei es Nachbarn, Polizisten oder das Heer der ehrenamtlich Tätigen – die mit dem Alltag der sozialen Probleme konfrontiert sind.
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Moralischer Absolutismus ist oft Folge einer lebensfremden Theorie. Wer in dieser Hinsicht alle Aspekte sammelt und nicht einseitig selektiert, wird in der Diskussion einer differenzierenden Argumentation folgen.
Der vollständige Rückzug auf eine moralische Position ist bequem. Wir suchen nach Antworten auf reale Herausforderungen: In welchem Umfang wird Wohnraum benötigt, wo arbeiten die Menschen eines Tages, wie finden wir eine ausreichende Zahl von Lehrern und Sozialarbeitern?
Nicht zuletzt ist zu klären, wie der Staat mit denjenigen umgeht, die den öffentlichen Frieden gefährden oder aus anderen Gründen kein Bleiberecht in Deutschland erhalten.