Berlin (KNA). In der Debatte um Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus warnen Wissenschaftlerinnen davor, einzelne Menschen als Repräsentanten einer kompletten Gruppe anzusehen. Ein „biografischer Zugang“ sei sinnvoller, um Persönlichkeiten und Verhältnisse zu verstehen, sagte die Frankfurter Soziologin Julia Bernstein auf der Online-Jahreskonferenz des jüdisch-muslimischen Dialogprojekts „Schalom Aleikum“ des Zentralrats der Juden am 1. Juli.
Bernstein, die zu Antisemitismus an Schulen forscht, plädierte dafür, insgesamt von einer Schulgemeinschaft auszugehen und deren Angehörige nicht sofort in Gruppen einzuteilen wie etwa in Juden oder Muslime. Schließlich seien allgemein Dialog und ein respektvolles Miteinander wichtig. Gehe man stattdessen von einzelnen Gruppen aus, bestehe die Gefahr von Prämissen, die sich als kontraproduktiv für das Miteinander erweisen könnten.
Die in Wuppertal lehrende Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt sagte, dass Dialogprojekte für ein unmittelbares Miteinander von Menschen wertvoll sein könnten. Darüber hinaus sei jedoch eine „viel umfassendere Veränderung“ nötig. Es sei wichtig, die „innere Vielfalt“ einer Migrationsgesellschaft wie der deutschen anzuerkennen. Mittlerweile seien auf diesem Feld Veränderungen zu erkennen: Vertreter jüngerer Generationen redeten zunehmend mit und seien an Entscheidungsprozessen beteiligt.
Auch in Schulen könne sich etwas verändern, wenn anerkannt werde, dass sie durch Migration geprägt seien, betonte Messerschmidt. Wenn sich Schüler nicht als zugehörig sähen, suchten sie nach Erklärungen und landeten etwa bei antisemitischen Äußerungen – die gleichwohl oft nicht Ausdruck einer verfestigten Ideologie seien.
Bernstein erklärte, dass Schulen, die im Kampf gegen Judenfeindschaft gut reagierten, oft aktiv gehandelt hätten. Sie hätten zum Beispiel Kinder, die „Jude“ als Schimpfwort gebraucht hätten, zur Seite genommen und mit ihnen darüber gesprochen. In Schulungen für Lehrkräfte solle insgesamt über verschiedene Aspekte von Antisemitismus gesprochen und Kontinuitäten über die Jahrhunderte deutlich gemacht werden. Auch müsse dabei ausführlicher über israelbezogenen Antisemitismus gesprochen werden.
Die Veranstaltung war der zweite Teil der Jahrestagung von „Schalom Aleikum“. Ziel des Projektes ist ein Austausch zwischen Juden und Muslimen jenseits der Funktionärsebene. So gab es in der Vergangenheit beispielsweise Veranstaltungen mit Ärzten, Sportlern und Unternehmern.