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Studie: Wer nicht islamfeindlich ist, wird islamfeindlich gemacht

Ausgabe 313

Foto: Godong-Photo, Shutterstock

Eine Studie belegt die weitverbreitete Angst vor dem Islam. Das berichten zumindest viele Medien. Doch die Untersuchung von Alice Schwarzer- und Giordano Bruno-Stiftung zeigt nur eines: Wie man mit manipulativen Fragen zum gewünschten Ergebnis kommt.

(iz). Ist die Angst der Deutschen vor Islam und Islamismus viel größer als gedacht? Diesen Eindruck konnte bekommen, wer in den vergangenen Wochen die Zeitung aufschlug. „Mehrheit fühlt sich von radikalem Islamismus bedroht“, titelte beispielsweise „Die Welt“. „Für viele Bürger gehört der Islam gar nicht zu Deutschland“, erfuhren Leser der „Rheinischen Post“. Die Zeit berichtete gleich auf einer ganzen Seite, dass sich die Mehrheit der Deutschen under anderem ein Kopftuchverbot für Kinder und Jugendliche und ein Verbot islamischer Organisationen wünsche.

Diese und mindestens ein Dutzend anderer Medien beriefen sich in ihrer Berichterstattung auf eine neu erschienene Studie. Doch über die Sicht der Deutschen auf islamische Bedrohungen verrät die Untersuchung bei näherer Betrachtung nur wenig. Stattdessen zeigt die „Umfrage: Islam und Islamismus“, wie man durch manipulative Fragen und Antwortvorgaben zum gewünschten Ergebnis kommt.

Erste Skepsis hätten schon die Namen der Auftraggeberinnen der Befragung auslösen müssen: Hinter der von Allensbach durchgeführten Umfrage stehen die Stiftung von Emma-Gründerin und Kopftuchgegnerin Alice Schwarzer, die religionsfeindliche Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) und der islamkritische Soziologe Ruud Koopmans: allesamt nicht unbedingt Akteure, die bisher durch vorurteilsfreie und ergebnisoffene Untersuchungen zum Thema Islam und Muslime in Erscheinung getreten wären.

Eine wissenschaftliche Befragung allein wegen ihrer Auftraggeber für unglaubwürdig zu erklären, wäre allerdings genauso unprofessionell, wie unkritisch Ergebnisse und Deutung einer Studie wiederzugeben, von der lediglich eine Pressemitteilung vorliegt.

 Letzteres haben jedoch viele JournalistInnen getan. Bis heute ist der Volltext der Befragung nicht öffentlich zugänglich. Lediglich eine Zusammenfassung einiger Ergebnisse reichten die Studienmacherinnen am Freitag auf der Website der Alice-Schwarzer-Stiftung nach.  Da waren die meisten Überschriften allerdings schon geschrieben.

Tun wir also, was die meisten Journalisten versäumten und schauen uns die Befragung einmal genauer an (das heißt, jenen Teil der Umfrage, den die Studienmacher der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen).

Schon die ersten Fragen bringen eine dicke Überraschung: 45 Prozent der Befragten würden den Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ ablehnen. Voll und ganz zustimmen würden der Aussage gerade einmal 5 Prozent der Deutschen. So steht es zumindest in der Studie und in zahlreichen Zeitungen.

Interessant ist allerdings, auf welchem Weg die StudienmacherInnen zu diesem ungewöhnlich niedrigen Wert kommen. Statt auf die Frage „Gehört der Islam zu Deutschland“ die naheliegenden Antworten „nein, der Islam gehört nicht zu Deutschland“ und „ja, der Islam gehört zu Deutschland“ anzubieten, gaben sie eine dritte Antwortmöglichkeit zur Auswahl: „nur friedliche Formen, nicht radikale Gruppen“. Die zustimmende Antwortvorgabe nannten sie außerdem „voll und ganz“ und legten damit die Zustimmungshürde noch ein weiteres Stück höher. Die Suggestion: Wer hier sein Kreuz macht, schließt Extremisten ausdrücklich mit ein.

Zu welchen Verzerrungen diese Formulierungen führen, zeigt der Vergleich mit Umfragen, die auf solche Suggestionen verzichten: 2018 stellte das Meinungsforschungsinstitut Forsa schon einmal die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Die Befragten konnten sich hier nur zwischen „ja“ und „nein”“ entscheiden. Mit 46 Prozent war der Anteil der Befragten, die die Aussage ablehnten fast identisch. Doch statt lediglich 5 Prozent stimmten in der Forsa-Befragung 47 Prozent der Aussage zu, dass der Islam zu Deutschland gehört.

Auch in anderen Fällen formulieren die Studienmacher die Antworten so, dass die Zustimmungshürde für die islamkritische Option möglichst niedrig, die Hürde für ein positives Bekenntnis zu Islam und Muslimen möglichst hoch ist. Auf die Frage, ob der Islam eine Bedrohung darstelle, wird den Befragten mit der Antwortmöglichkeit „nur bestimmte Gruppen“ wieder ein Angebot gemacht, das sie nur schwer ausschlagen können. Auch hier rufen die Studienmacher den Befragten Terroristen wie Al-Qaida ins Gedächtnis. Wer will da so naiv sein und noch „keine Gefahr“ ankreuzen?

Wie sich mit solchen Antwortoptionen beliebige und völlig realitätsferne Ergebnisse erzeugen lassen, wird deutlich, wenn man die Frage auf andere Gruppen überträgt: Die Aussage, dass „nur von bestimmten Gruppen“ eine Bedrohung ausgeht, ist auch für Fußballspieler, Rentner und Mopedfahrer richtig. Trotzdem würden die meisten Menschen – ohne eine entsprechende Antwortoption – wohl der allgemeinen Aussage zustimmen, dass von diesen Gruppierungen keine Gefahr ausgeht.

Erneut zeigt sich die Verzerrung, wenn man das Ergebnis mit dem ähnlicher Befragungen vergleicht. 2019 fragte die Bertelsmannstiftung in ihrem Religionsmonitor: „Ist der Islam bedrohend?“ oder „Ist der Islam bereichernd?“. Auch hier äußerte sich die Mehrheit kritisch (52 vs. 63 Prozent), über ein Drittel (36 vs. 5) bekannten sich allerdings zu einem positiven Islam-Bild.

Medien, die in den letzten Tagen über die Befragung berichteten, interessierte das alles wenig: „Mehrheit fühlt sich von radikalem Islamismus bedroht“ titelte beispielsweise auch der Südkurier. „Zugleich meinten aber nur fünf Prozent der Befragten, dass vom Islam keine Bedrohung für die deutsche Gesellschaft ausgehe“, hieß es in einer Meldung der Nachrichtenagentur epd, die den Satz fast wortgleich aus der Pressemitteilung der Studienmacher übernommen hatte.

Irreführende Interpretation der eigenen Ergebnisse finden sich auch an anderen Stellen. In der Pressemitteilung zur Studie heißt es: „Die aktuelle Allensbach-Umfrage zeigt auch, dass das Unbehagen an der islamischen Vollverschleierung weiterhin sehr hoch ist: 90 Prozent befürworten ein #Burka-Verbot“. Auch diese Passage schrieben Medien fast wortgleich und ohne Überprüfung ab. Dabei gibt es in der Befragung gar keine Frage nach einem Burka-Unbehagen. Die Frage, auf die sich die Aussage bezieht, lautet hingegen: „Sollte man in Deutschland das Tragen einer Burka verbieten.“

Dass Menschen sich – wenn sie danach gefragt werden – für oder gegen eine Sache entscheiden, heißt aber nicht, dass ihnen diese Sache wichtig ist oder Unbehagen bereitet. Es bedeutet lediglich, dass aus ihrer Sicht für die eine Antwortoption ein wenig mehr spricht als für die andere. Ob sich hinter der Befürworterin eines Burka-Verbots eine entschiedene Kämpferin gegen die islamische Vollverschleierung oder jemand verbirgt, dem das Thema ziemlich egal ist, wird aus der Antwort nicht ersichtlich.

Zu Verdeutlichung: Wenn mich meine Frau fragt, ob sie das rote oder grüne Kleid anziehen soll und ich desinteressiert „grün“ nuschele, um in Ruhe weiter meinen Artikel schreiben zu können, folgt daraus kein sehr hohes Unbehagen mit roten Kleidern. Hätten die Studienmacher das Unbehagen gegenüber islamischer Vollverschleierung messen wollen, hätten sie mit einer Frage wie „Wie sehr stören Sie Niqab und Burka?“ einfach danach fragen sollen.

Mit kreativen Umdeutungen der Wirklichkeit arbeiten die Studienmacherinnen auch bei folgender Frage:

In Deutschland gibt es ja das Recht auf freie Religionsausübung für alle Religionen. Finden Sie es richtig, dass dieses Recht für alle Religionen, also für Muslime genauso wie für Christen gilt, oder finden Sie das nicht richtig?

Die Formulierung führt die Befragten gleich in zweierlei Hinsicht in die Irre: Zum einen genießt in Deutschland keine Religion das Recht auf freie Religionsausübung. Stattdessen haben Menschen das Recht, ihre jeweilige Religion frei auszuüben. Zum anderen bedeutet der Begriff „Religionsfreiheit“ nicht, eine bestimmte, sondern jede Religion frei ausüben zu können. Eine „Religionsfreiheit“, die bestimmte Gläubige ausschließt, ist keine.

Die Studienmacher suggerieren den Befragten aber das Gegenteil: Demnach könnte man Muslimen ihre Rechte nehmen, und trotzdem die Religionsfreiheit erhalten. Korrekt formuliert könnte die Frage lauten: „Sind Sie dafür, die Religionsfreiheit in Deutschland abzuschaffen?“ Oder: „Sind sie dafür, Muslimen und Musliminnen ihre grundgesetzlich garantierten Rechte zu verwehren?“ Diese Fragen hätten aber vermutlich andere Zustimmungswerte erhalten.

Frageformulierungen und Antwortvorgaben, die ein islamkritisches Setting erzeugen, ziehen sich durch den ganzen Fragebogen. Manche Passagen der Umfrage erinnern fast schon an Polemiken rechter Politiker als eine wissenschaftliche Untersuchung, deren Ziel es sein sollte, die Befragten möglichst unbeeinflusst zu lassen.

In einer Frage wollen die Studienmacherinnen beispielsweise die Meinung zu Mohammed-Karikaturen in Erfahrung bringen. Ihre Frage formulieren sie so: „Die einen finden, es muss erlaubt sein, solche Videos oder Karikaturen zu veröffentlichen, weil es unter die Meinungsfreiheit fällt. Andere finden, es sollte nicht erlaubt sein, weil dadurch religiöse Gefühle verletzt werden. Was meinen Sie?“

In der Welt der Studienmacher gibt es demnach nur zwei Möglichkeiten: Wer sich für den Respekt religiöser Gefühle stark macht, kann nur ein Gegner der Meinungsfreiheit sein. Unterstützer der Meinungsfreiheit müssen hingegen das Verbreiten von Mohammad-Karikaturen gutheißen. Hier verquicken die Studienmacher ganz unterschiedliche Phänomene und zwängen den Befragten eine Entscheidung auf, bei denen viele wahrscheinlich nicht mitgehen würden. Dass Mohammed-Karikaturen vor allem aus sehr viel weniger ehrenwerten Gründen verbreitet werden, Menschen Respekt für religiöse Gefühle einfordern und gleichzeitig das Prinzip der Meinungsfreiheit hochhalten können, kommt in der Welt der Studienmacherinnen nicht vor.

Auf die Spitze treiben die Studienmacher ihre Pauschalisierungen schließlich bei der Frage nach dem Umgang mit muslimischen Organisationen. In der Pressemitteilung heißt es: „Die überwältigende Mehrheit hält es für richtig, islamische Organisationen zu verbieten, die religiöse Gebote über das Grundgesetz stellen.“ Wer diese sein sollen und inwiefern sie ihre Gebote über die Verfassung stellen, erklären die Studienmacher nicht. Und wahrscheinlich könnten sie es auch nicht. Denn jenseits rechtspopulistischer Debatten hat die Frage keinerlei Substanz.

Keine Religionsgemeinschaft stellt ihre (nach ihrer Auffassung) ewigen göttlichen Gebote unter irgendein weltliches Gesetz. Kein noch so grundgesetztreuer Gläubiger muss zu Bundespräsident Steinmeier beten oder hat vor, am jüngsten Tag vor dem Bundesverfassungsgericht Rechenschaft für seine Sünden abzulegen.

Was islamische, jüdische, christliche und alle anderen Religionsgemeinschaften sowie ihre Anhängerinnen machen müssen, ist sich an die hier geltenden irdischen Gesetze zu halten – so wie jeder Mopedfahrerverein auch. Die allermeisten tun das – und jene, die es nicht tun, müssen sich vor Gericht dafür verantworten. Die Frage nach der Vereinbarkeit religiöser Gebote mit dem Grundgesetz ist deshalb eine, die zwar rechte Politiker regelmäßig umtreibt, für die Verfassunsrechtler aber nur Kopfschütteln übrig haben.

Wirklich ernstzunehmen scheinen nicht einmal die Studienmacher selbst die Frage. Aus 86 Prozent Zustimmung zu der Aussage „islamische Organisationen, die religiöse Gebote über das Grundgesetz stellen, sollten verboten werden“, machen sie kurzerhand „86% gegen Islamverbände“ und nehmen damit der eigenen Untersuchung auch noch das letzte Stück Glaubwürdigkeit.

Bleibt die Frage: Wozu der ganze Quatsch? Was nützt eine Befragung zum Islambild der Deutschen, in der den Befragten von Anfang an ein bestimmtes (negatives) vorgeben wird? Was bringt es, die Einstellung zu rechten Sinnlosparolen („Der Islam gehört nicht zu Deutschland“), rechten Sinnlosforderungen (Burkaverbot) und rechten Sinnlospolemiken (gegen Mohammed-Karikaturen oder für Meinungsfreiheit) abzufragen, die weder etwas mit der Lebensrealität von Muslimen, noch von Nicht-Muslimen in Deutschland zu tun haben? Wozu sich den Aufwand einer Meinungsumfrage machen, wenn man die Ergebnisse dann ohnehin nach Belieben umdeutet?

Warum betreiben Akteure, deren Arbeit sonst vor allem darin besteht, mit islamkritischen und islamfeindlichen Positionen Einfluss auf Öffentlichkeit und Politik zu nehmen, auf einmal Sozialforschung? Genau deshalb: Um damit Einfluss auf Öffentlichkeit und Politik zu nehmen. Denn: Was könnte politischen Forderungen mehr Nachdruck verleihen als den vermeintlichen Volkswillen im Rücken zu haben?

Dass es der Alice Schwarzer-Stiftung, der Giordano Bruno-Stiftung und Ruud Koopmans mit der Umfrage vor allem um Politik geht, wird schon in der Befragung selbst deutlich. Resümierend heißt es dort über ein Land, das seit 20 Jahren kaum einen Monat ohne Islamdebatte verbracht hat: „Dass die deutschen Parteien keine intensive Debatte über die wichtige Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Islam bzw. besonders über die radikalen Gruppierungen des Islam führen, birgt die Gefahr, dass diese wichtige Diskussion von den meisten Parteien nicht wesentlich beeinflusst wird. Die Bürger messen diesem Thema seit Jahren große Bedeutung zu und haben sehr klar konturierte Positionen.“

Auch in einem langen Gastbeitrag für DIE ZEIT nutzt Studien-Co-Auftraggeber Ruud Koopmans die Umfrageergebnisse umgehend, um Politiker zu einem härteren Vorgehen gegen islamische Organisationen aufzurufen.

Andererseits haben er, die Alice-Schwarzer- und die Giordano Bruno-Stiftung aus ihrer islamfeindlichen Agenda auch nie einen Hehl gemacht. Das Problem an der Geschichte sind stattdessen die Journalistinnen, die es versäumten, Interessen und Motive entsprechend einzuordnen und die Ergebnisse der Umfrage kritisch zu überprüfen. Dazu hätte auch die Feststellung gehört, dass viele der Forderungen, die die Befragten ankreuzten und die Studienmacher sich zu eigen machten, nicht nur islamkritisch, sondern auch verfassungswidrig sind.

Stattdessen übernahmen Journalistinnen nicht nur kritiklos die fragwürdigen Ergebnisse, sondern deren Deutung gleich mit und halfen den Auftraggebern der Studie, unter dem Deckmantel (pseudo)empirischer Meinungsforschung islamfeindliche Lobbyarbeit zu betreiben.