Israels Regierungschef will sich keinem Druck fügen. Die Militäroffensive in Rafah stehe bevor. Und auch die Hisbollah werde einknicken.
Tel Aviv/Gaza/Washington (dpa/IZ) Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu treibt trotz laufender Verhandlungen über eine Waffenruhe die Vorbereitung für eine Bodenoffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens voran und sieht den „totalen Sieg“ in Reichweite. „Nicht in Monaten, sondern in Wochen, sobald wir mit der Operation beginnen“, sagte Netanjahu in der am Sonntag (Ortszeit) ausgestrahlten TV-Sendung „Face the Nation“ des US-Fernsehsenders CBS.
Das israelische Militär legte am Abend dem Kriegskabinett seinen Plan zur Evakuierung der Zivilbevölkerung und seinen Einsatzplan gegen die Hamas vor, wie Netanjahus Büro in der Nacht zum Montag bekannt gab. Zudem sei ein Plan für die Bereitstellung humanitärer Hilfe gebilligt worden. Einzelheiten wurden in der Mitteilung nicht genannt. Derweil wird eine israelische Delegation Medienberichten zufolge am Montag zu weiteren Gesprächen auf Beamtenebene der vermittelnden Länder Katar, Ägypten und USA über eine Waffenruhe nach Katar aufbrechen. Laut Medien gab es zuletzt Fortschritte.
Netanjahu: Waffenruhe würde Rafah-Offensive nur verzögern
International wird die geplante Offensive auf die Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten heftig kritisiert. Selbst Verbündete wie die USA rufen Israel zur Zurückhaltung auf, weil in der südlichsten Stadt des abgeriegelten Küstengebiets inzwischen 1,5 Millionen Palästinenser – mehr als die Hälfte der Bevölkerung Gazas – auf engstem Raum und unter elenden Umständen Schutz vor den Kämpfen in den anderen Teilen des Küstenstreifens suchen.
Netanjahu ist jedoch zur Offensive in Rafah entschlossen, um die vier verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen. Sollte es zunächst zu einer Feuerpause kommen, „wird es sich etwas verzögern“, sagte der Rechtspolitiker in der CBS-Fernsehsendung. „Aber es wird geschehen. Wenn wir keine Einigung haben, werden wir es trotzdem tun. Es muss getan werden. Denn der totale Sieg ist unser Ziel, und der totale Sieg ist in Reichweite“, sagte er.
Israel will auch Kampf gegen die Hisbollah verstärken
Zugleich will Israel den militärischen Druck auch auf die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon in Reaktion auf deren tägliche Angriffe an Israels Nordgrenze weiter erhöhen. „Wir planen, die Feuerkraft gegen die Hisbollah zu erhöhen, die nicht in der Lage ist, Ersatz für die Kommandeure zu finden, die wir eliminieren“, sagte Verteidigungsminister Yoav Galant beim Nordkommando, wie das Militär am Sonntagabend mitteilte. Davon werde man sich auch dann nicht abbringen lassen, wenn es im Krieg im südlich gelegenen Gaza zu einer Feuerpause kommen sollte. Man werde den militärischen Druck auf die Miliz „bis zum vollständigen Rückzug der Hisbollah“ von der Grenze zu Israel verstärken, kündigte Galant an. Die Hisbollah ist mit der Hamas verbündet, gilt aber als deutlich schlagkräftiger.
Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges am 7. Oktober vergangenen Jahres hat sich der Konflikt Israels mit der Hisbollah entlang der israelisch-libanesischen Grenze verschärft. Die Miliz hat sich in der Pufferzone eingerichtet, die nach Ende des zweiten Libanon-Kriegs 2006 im Grenzgebiet im Südlibanon festgelegt worden war, und feuert von dort auf den Norden Israels. Israel greift wiederum mit seiner Artillerie und Luftwaffe die Hisbollah-Stellungen in der Pufferzone an. Israel warnte bereits mehrmals, dass es auch zu einem größeren Militäreinsatz bereit sei, falls diplomatische Bemühungen ins Leere laufen sollten.
Verhandlungen über Feuerpause und Geisel-Freilassung gehen weiter
Unterdessen bemühen sich Ägypten, Katar und die USA weiter, im Gaza-Krieg zu vermitteln und möglichst vor Beginn des Fastenmonats Ramadan eine Feuerpause zu erreichen, die auch zu einer Freilassung der israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas führen soll. Der Ramadan beginnt um den 10. März. Ranghohe Delegationen der Vermittler hatten zuletzt in Paris unter Beteiligung Israels laut Medienberichten „bedeutende Fortschritte“ erzielt. Die indirekten Verhandlungen sollten am Sonntag in der katarischen Hauptstadt Doha auf Beamtenebene weitergeführt werden. Israelischen Regierungsbeamten zufolge könnten im Falle einer Vereinbarung in einer ersten Phase 35 bis 40 Geiseln freigelassen werden, meldete der israelische Rundfunksender Kan.
Das wären vor allem Frauen, Kinder, ältere Männer und Männer mit schweren Krankheiten oder Verletzungen. Israel würde im Gegenzug dafür 300 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freilassen, hieß es. Die Waffenruhe würde demnach etwa sechs Wochen dauern. Netanjahu soll unterdessen Medienberichten zufolge neue Forderungen erhoben haben. Demnach müssten alle ranghohen palästinensischen Häftlinge als Bedingung für ihre Freilassung im Tausch gegen Geiseln der Hamas nach Katar geschafft werden, berichtete die „Times of Israel“ Sonntagabend unter Berufung auf Informationen des Senders Channel 12.
Berichte: Netanjahu stellt neue Forderungen
Demnach habe Netanjahu diese Forderung bei Beratungen des Kriegskabinetts erwähnt, als die israelische Delegation über die in Paris erzielten Verhandlungsfortschritte informierte. Zudem verlange er eine Liste mit den Namen jener der 130 Geiseln in der Gewalt der Hamas, die noch am Leben sind, meldete die israelische Nachrichtenseite „Ynet“. Israel geht davon aus, dass noch 100 von ihnen leben. Einige Beamte würden Netanjahu beschuldigen, er versuche, das im Entstehen begriffene Abkommen mit der Hamas zu torpedieren, um die rechtsextremen Mitglieder in der Regierung zu beschwichtigen, schrieb die „Times of Israel“.
Armeesprecher: Wollen Gaza-Bevölkerung nicht vertreiben
„Unsere Aufgabe ist es, die Hamas zu zerschlagen und unsere Geiseln nach Hause zu bringen – nicht, den Gazastreifen zu zerstören oder seine Bevölkerung zu vertreiben“, schrieb der israelische Armeesprecher Daniel Hagari in einem am Sonntag veröffentlichten Gastbeitrag für die US-Zeitung „Wall Street Journal“. Hagari weiter: „Wir führen diesen Krieg schweren Herzens und sind uns des tragischen Verlustes von Zivilisten auf beiden Seiten bewusst“. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde vom Sonntag ist die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser auf inzwischen 29 692 gestiegen. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, werden aber von internationalen Organisationen als hinreichend zuverlässig eingeschätzt.
Palästinensischer Ministerpräsident tritt zurück
Der Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiegebiete, Mohammed Schtaje, hat unterdessen am Montag in Ramallah seinen Rücktritt eingereicht. Er erklärte während einer Kabinettssitzung, Grund für den Schritt seien die jüngsten Entwicklungen in der Region, einschließlich des Gaza-Kriegs.
Der Rücktritt sei auf Wunsch des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas erfolgt, auf den arabische Länder der Region und die USA entsprechenden Druck ausgeübt haben, hieß es zuvor im Fernsehsender Watan TV unter Berufung auf Regierungsbeamte. Es hatte seit längerem Berichte über einen solchen Schritt Schtajes gegeben.
Dahinter steht das Bestreben Washingtons, über eine grundlegend reformierte Palästinensische Autonomiebehörde die zuletzt nahezu bedeutungslos gewordene Zweistaatenlösung als umfassenden Ansatz zur Befriedung des Nahen Ostens erneut ins Spiel zu bringen.
Rücktritt eher symbolischer Schritt
Der mögliche Rücktritt Schtajes sei jedoch zunächst als eher symbolischer Schritt zu werten, hieß es. Der Politiker, der als loyaler Mitarbeiter des seit 2005 regierenden Abbas gilt, werde weiterhin als Chef einer kommissarischen Regierung amtieren. Die Bildung einer neuen Regierung des nationalen Konsenses könne Wochen oder Monate in Anspruch nehmen. Ihr Gelingen hänge in erster Linie davon ab, ob der Krieg im Gazastreifen beendet und ein international überwachter Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Küstengebiet erreicht werden kann.
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter der Führung von Abbas verwaltet Teile des von Israel besetzten Westjordanlands. Gewichtigste Fraktion in ihr ist die gleichfalls von Abbas geführte Fatah-Bewegung. Die Hamas, die im Gazastreifen Krieg gegen Israel führt, gehört ihr nicht an. Nach den Vorstellungen der USA soll nach Beendigung des Gaza-Kriegs eine grundlegend reformierte PA den Gazastreifen verwalten. Israel lehnt diesen Plan vehement ab. Es will künftig weder die Hamas noch eine von der Fatah geführte PA als Regierungsmacht in Gaza sehen.
Zu den zuletzt erwähnten Vorstellungen über eine künftige Rolle der PA zählt auch die Bildung einer Technokraten-Regierung mit Personen ohne Parteibindung. In diesen Konzepten würde die Hamas der palästinensischen Dachorganisation PLO beitreten, ohne in einer künftigen palästinensischen Regierung mit eigenen Ministern vertreten zu sein. Auch diese Pläne lehnt Israel ab.
Militäroffensive in Rafah wäre der Sargnagel für Hilfsprogramme
UN-Generalsekretär António Guterres hat indes erneut eindringlich vor einer israelischen Offensive in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens gewarnt. „Eine umfassende israelische Offensive auf die Stadt wäre nicht nur schrecklich für die mehr als eine Million palästinensische Zivilisten, die dort Schutz suchen, sondern würde auch den letzten Nagel in den Sarg unserer Hilfsprogramme schlagen“, sagte er am Montag in Genf zum Auftakt der Frühjahrssitzung des UN-Menschenrechtsrates.
Er verurteilte die Terroranschläge extremistischer Palästinenser in Israel vom 7. Oktober und die militärische Reaktion Israels darauf. Nichts könne das Töten, Verletzen, Foltern und Entführen von Zivilisten und den Einsatz von sexueller Gewalt rechtfertigen, sagte er. „Und nichts kann die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes rechtfertigen“, sagte Guterres.
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