"Muslime & Globalisierung" – Katar investiert in die Vorstädte. Das Emirat will Unternehmergeist in den Problemzonen fördern. Von Thomas Pany

Ausgabe 200

(telepolis). Berichterstattung, die gesellschaftlichen Entwicklungen auf der Spur ist, begnügt sich oft mit dem Blick auf die Metropolen, dort, wo die Eliten wohnen; vielleicht, weil Journalisten hier einen besseren, leichteren Zugang haben, gute Kontakte, deren Sichtweisen mit eigenen Wahrnehmungen oder Anschauungen nicht allzu sehr kollidieren. Das kann zu Blickverengungen oder gar zu falschen Annah­men über die politische Situation ­führen, wie dies Beispiele im Iran oder auch in Ägypten zeigten, wo Medien eine junge Elite in Teheran beziehungsweise Kairo als Gradmesser für Entwicklungen im ganzen Land herausstellten.

Entwicklungen, die sich in der Peripherie der großen Städte abzeichnen, sind dagegen oft nicht im genauen feinspüri­gen Radar der Medien. Der Begriff „Problemviertel“ etwa für die französischen Banlieues ließe sich auch auf die Art der Berichterstattung anwenden, die Probleme damit hat, die dortige Lebenswelt unter Vernachlässigung der Sozialklischees – „Parallelwelten“, „Profiteure von sozialen Leistungen“, „Unruhenzentren“ oder auch „die Abgehängten, die Loser“ – zu beschreiben.

Versuche, die Realität in den Banlieues neutraler, sorgfältiger und mit größerer Nähe zu erfassen, wie Gilles Kepel in seiner jüngsten, großangelegten Studie „Banlieue de la République“ bekommen leider nicht die mediale Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Für Kepel sind die Vorstädte „emblematisch“, die dortigen Verhältnisse verweisen auf Phänomene, die es nicht nur in Frankreich gibt.

Die Abschottung ist nach seinen Analysen ein wechselseitiger Prozess, also nicht nur den Eigenarten der Banlieues und der dort lebenden Gemeinschaften geschuldet, sondern auch dem fehlenden politischen Willen der Regierung – was sich unter anderem an der schlechten Nahverkehrsanbindung zeigen lässt.

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Bemerkenswert ist, dass es – anscheinend vor allem außerhalb der französischen Regierung, deren Verwaltung und der Arbeitgeber, die Bewerbungen aus diesen Vierteln nicht gerade favorisieren – andere Sichtweisen auf die „Problemviertel“ gibt.

So hatte die amerikanische Botschaft vor anderthalb Jahren aufhorchen lassen, weil sie in den Vorstädten Networking betreibt, um „künftige Führungspersönlichkeiten“ auszumachen und zu Seminaren in die USA einzuladen.

Die US-Botschaft habe das „vollständigste, relevanteste und aktuelleste“ Adressbuch zu den Banlieues, weder die politischen Parteien in Frankreich, noch Vereine oder Organisationen, Intellektuelle oder Medien könnten mit dem Netzwerk der Amerikaner konkurrieren, attestieren „Kenner der Szene“, hieß es damals. Das führte auch zu manchen Spekulationen über politische Absichten hinter dieser Initiative.

Wie die politischen Absichten bei der neuesten Förderungsinitiative aussehen, ist ebenfalls sehr spekulativ. Ganz gewiss spektakulär ist nämlich der Geldgeber, Katar. 50 Millionen Euro macht das kleine, aber offensichtlich sehr um Einfluss bemühte, Emirat für einen Fonds, der junge Unternehmer in den französischen Problemzonen fördern soll. Die Summe ist beträchtlich, laut „Le Monde“ macht sie 10 Prozent des diesjährigen Budgets des für die Pariser Vorstädte zuständigen Ministère de la ville aus.

Der Anstoß für die ungewöhnliche Förderung ging von französischer Seite aus, von Vertretern der Banlieue-Gemeinschaft Aneld (Association nationale des élus locaux de la diversité) und deren Vorsitzenden Kamel Hamza, die zuerst bei dem Botschafter Katars nachgefragt hatten und dann auf die Halbinsel eingeladen wurden, wo ihnen Emir Hamad Ben Khalifa Al-Thani anbot, einen Investitionsfonds zu schaffen.

Welche Hintergedanken Katar mit dieser Investition verbinden mag, weiß niemand genau. Für Kamel Hamaz ist es eine Investition, bei der beide Seiten gewinnen. Für Experten passt die Investition zu einem längjährigen Programm des Emirats, das seinen Platz in der Welt neu bestimmen will und sich für eine engere Verbindung zu Frankreich nicht nur die bestehenden Eliten sucht, sondern darüber hinaus blickt – auf die arabisch-muslimische Welt in der Peripherie, in einer etwas anderen Perspektive.

Dieser Beitrag wurde erstmals am 6. Januar 2012 in dem online-Mediums „telepolis“ ­veröffentlicht.