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Nach innen gerichtet: Übersetzung von Suhrawardis „Philosophie der Erleuchtung“ erschienen

Ausgabe 314

(iz). Die Reiche der Muslime kannten keinen Kanon verbotener Bücher. Was sie aber hatten, waren Empfehlungen und Mahnungen der Verfasser. Einer von ihnen war Al-Suhrawardi (gest. 1191), dessen philosophisches Werk „Philosophie der Erleuchtung“ jetzt auf Deutsch im Verlag der Weltreligionen erschienen ist.

Das Werk erscheint wie aus der Feder eines Sprachwissenschaftlers. Suhrawardi spricht über Bedeutungen und Ausdrücke, verwendet Termini, die einem Philosophiestudenten nicht ganz fremd vorkommen dürften. Doch dem durchschnittlichen Arbeiter oder dem akademischen Nicht-Geisteswissenschaftler würden sie Kopfzerbrechen bereiten.

Damit ist gesagt, welche Richtung die von Muslimen betriebene Philosophie der Muslime einschlug: Sie näherte sich der Mystik an. Mit dieser söhnte Al-Ghazali die islamische Theologie aus. Novalis, der fromme Romantiker des ausgehenden 18. Jahrhunderts, hätte vermutlich gefallen an diesem Weg gefunden: „Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freilich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders wird es uns dünken, wenn diese Verfinsterung vorbei, und der Schattenkörper hinweggerückt ist.“

Von inneren Welten, die er Spiritualität nennt, schreibt auch Suhrawardi: „So wie wir wahrnehmbare Dinge schauen, über einige ihrer Zustände Gewissheit erlangen und hierauf wahre Wissenschaften wie die Astronomie gründen, so schauen wir auch spirituelle Dinge und gründen etwas darauf.“

Der abendländische Leser mag an Ralph Waldo Emerson erinnert sein, der in einem seiner Essays ebenfalls von „geistigen Gesetzen“ spricht, die er bereits in seinem Essay über die „Natur“ andeutet: “Alberne Menschen machen sich lustig über die Theorie des Idealismus, so als führe sie zu lächerlichen Konsequenzen und beeinträchtige die Beständigkeit der Natur. (…) Gott hält uns nie zum Besten und wird den Zweck der Natur nicht gefährden, indem er irgendwelche Inkonsequenzen in ihrem Gang erlaubt. Jegliches Misstrauen bezüglich der Beständigkeit von Gesetzen würde die geistigen Fähigkeiten des Menschen lähmen. Ihre Beständigkeit wird wie etwas Heiliges geachtet, und der menschliche Glaube an diese ist vollkommen.“

Doch wie diese Gesetze aussehen, sagt er nicht. Genauso wenig sagt Suhrawardi etwas darüber, wie ein erleuchteter Mensch aussieht. Ist auch er ein Idealist? Er scheint Gesetze des Denkens zu formulieren. Das legt die Vermutung nahe, dass jemand, der sich diesen Denkgesetzen fügt, erleuchtet sei. Wer diesen Weg nicht gehe, der habe keinen Anteil am Wissen, von dem er spreche. 

Wenn das wörtlich zu verstehen ist, scheint es nicht so abwegig, dass auch der Rat eine 40-tägige Klause begehen zu müssen, bevor jemand dieses Buch lese, ernstgemeint ist.

Eine Inquisition gibt es nicht, die diejenigen verfolgt, die es nun ohne einen solchen Lehrer lesen, doch es gibt klare Empfehlungen, die letztlich zum vorgegebenen richtigen Verständnis führen sollen.

Erhellen, das wollte Suhrawardi, doch ist sein Werk voller Rätsel. Interessant und spannend für den fundierten Philosophen. Für die Allgemeinheit ist dieses Werk jedoch nicht geschrieben. Suhrawardi betont zu Anfang und zum Ende seines Werkes, dass dieses Buch eben nicht in die falschen Hände geraten solle. Scheinbar ist es das. 

Aber auch, wenn es nichts für die Allgemeinheit ist: Dass es ins Deutsche übersetzt wurde, ist definitiv ein Gewinn. Wenn auch die Mehrheit sprachlich und vom Zustand noch nicht auf dem Niveau des von Suhrawardi intendierten Lesers ist, so zeugt dieses Werk vom Geist einer Zeit, an der sich die Muslime Deutschlands orientieren können, wenn sie an frühere Leistungen ihrer muslimischen Vorgänger anknüpfen und Europa bereichern wollen. Und was geschrieben ist, das bleibt. So wie die erste Generation der Gastarbeiter nur als Arbeiter nach Deutschland kam und schwerlich befähigt war, Goethe zu lesen, so ist die nunmehr dritte Generation fleißig an den Universitäten und entwickelt sich womöglich bald dahin, dass eben solche Werke, wie die Suhrawardis, beflissene Leser finden werden.

Al Suhrawardi: Philosophie der Erleuchtung, aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Nicolai Sinai, Verlag der Weltreligionen, 469 Seiten, Preis: EUR 34,90