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Nach der Katar-Attacke: Recht und Ordnung zerbröseln seit Längerem

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Foto: Fotografía oficial de la Presidencia de Colombia from Colombia/Wikimedia Commons | Lizenz: gemeinfrei

Globale Ordnung und Recht: Seit einem Vierteljahrhundert lässt das Agieren von Groß- und Regionalmächten das Völkerrecht und die UN zerbröseln.

„Wer zu lange in den Abgrund schaut, dem blickt der Abgrund auch in die Seele.“ Friedrich Nietzsche

(iz). Ein erheblicher Teil der Bevölkerung musste fliehen. Zwischen 10-20.000 Zivilisten (andere sprachen von bis zu 70.000 Toten) fielen den Waffen zum Opfer. Unzählige, weitere wurden gefoltert und landeten in berüchtigten „Filtrationslagern“. Die heute weiterhin ungeklärte Opferquote in Relation zur Gesamtbevölkerung variiert von 2 von 6 %.

Viele werden sich fragen, welche grausame Intervention des Westens in der muslimischen Welt damit beschrieben wird. Die Antwort könnte nicht wenige überraschen: keine.

Das sind mitnichten Angaben zu einer menschlichen Tragödie des Nahen und Mittleren Ostens, sondern zum 2. Tschetschenienkrieg, der 1999 durch Putin vom Zaun gebrochen wurde – inklusive falscher Anschläge im Kernland.

Das nie ganz aufgeklärte Gemetzel im Kaukasus war ein früher „Anti-Terrorkrieg“. Obschon US-Präsident 1983 nach dem Selbstmordterror (!) in Beirut vom „War on Terror“ sprach und seine Praktiken in die Vergangenheit zurückreichen (wie bspw. die französische Aufstandsbekämpfung in Algerien), war dies der erste größere Krieg der Gegenwart, der so bezeichnet wurde.

Und der – weil Militär nicht mit Terrorismus fertigwerden kann – durch eine ungeahnte Brutalität russischer Truppen gegen die Zivilbevölkerung gekennzeichnet war. Was nun die Ruinen von Gaza-Stadt oder Khan Younis sind, war damals Grozny.

Foto: Eric Draper, The George W. Bush Presidential Library

Zerfall der Ordnungssysteme: Großmächte machten den Anfang

Die Regierung der USA sollte zügig nachfolgen. Sie begann kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit ihrem „War on Terror“. Die dritte Großmacht, China, ließ sich in Folge nicht lumpen, und beanspruchte das Konzept zur Repression der Uiguren und anderer, muslimischer Turkvölker in deren angestammten Siedlungsgebieten.

Die 1990er Jahre sahen ernsthafte, aber meist zögerliche Schritte zur internationalen Rechts- und Normenbildung – etwa die Entwicklung der „Schutzverantwortung“ (Responsibility to Protect, R2P). Dies bezieht sich auf Genozid, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wurde aber bis heute nur inkonsequent angewendet und bleibt an Veto-Interessen gebunden.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die drei großen Vetomächte sowie mehrere regionale Akteure – darunter Israel, Iran, Indien und Nordkorea – wiederholt über multilaterales Recht, das Kriegsrecht und die auf der UNO-Charta basierende, globalen Ordnung hinweggesetzt und so aktiv zu deren Erosion beigetragen.

Dieser Zeitraum verdeutlicht, wie eng Machtpolitik und Völkerrecht miteinander verwoben sind – oftmals in einem Spannungsfeld zwischen der Einhaltung internationaler Normen und den Eigeninteressen staatlicher Akteure.

Foto: Christiaan Triebest, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 2.0

Rhetorik vs. Praxis

Dabei sind zwei gegenläufige Dynamiken zu beobachten: Einerseits die normative Rhetorik, die sich auf universelle Regeln beruft; andererseits die faktische Praxis, in der Ordnungen je nach politischem Kalkül befolgt, angepasst oder ignoriert werden. 

Dieses Spannungsverhältnis hat das weltweite Recht vielfach untergraben und zu einer selektiven Anwendung geführt – Kritik an der Rechtsordnung wird so häufig von geopolitischen Interessen überlagert oder relativiert.

Die USA standen in diesem Zeitraum oft für eine expansive Sicherheitslogik, die sich in konkurrierenden Normvorstellungen und teilweise völkerrechtswidrigen Handlungen äußerte.

Durch den Einsatz von Drohnen, präventiven Militäroperationen und Interventionen außerhalb großer multilateraler Strukturen wurde das Verständnis verschoben, dass das Völkerrecht als verbindliche Leitlinie gilt.

Gleichzeitig hat die „America First“-Politik unter Trump zu einer erheblichen Schieflage in der Weltordnung geführt: Der Rückzug aus Abkommen, die Betonung nationaler Souveränität gegenüber Normen und die verstärkte Anwendung einseitiger Maßnahmen haben die Autorität von Institutionen wie dem Sicherheitsrat geschwächt.

Ein Beispiel hierfür ist die Zerstörung eines venezolanischen Bootes in internationalen Gewässern, bei der mindestens 11 Menschen ums Leben kamen.

Russland als Teil des Problems

Mit der Annexion der Krim im Jahr 2014 und den darauffolgenden militärischen Interventionen in der Ostukraine hat Moskau die Grundprinzipien staatlicher Souveränität und territorialer Integrität offen infrage gestellt.

Darüber hinaus agiert Russland durch hybride Mittel wie Cyberoperationen, Desinformationskampagnen und politische Einflussnahme als Akteur, der Rechtsnormen nicht konsequent einhält, sondern diese situationsabhängig interpretiert und instrumentalisiert, um seine Ziele zu erreichen.

Die häufige Ausübung des Vetorechts im UN-Sicherheitsrat hat eine stringente Verwirklichung rechtsstaatlicher Prinzipien zunehmend verhindert und ermöglichte es, Konflikte als Vorwand zur Durchsetzung politischer Interessen zu nutzen.

Langfristig verstärkte sich dadurch die Skepsis gegenüber multilateralen Lösungsansätzen, da Machtpolitik vielerorts als wirkungsvolles Instrument erschien.

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Foto: Master Sgt. Jerry Morrison, DoD | gemeinfrei

Peking will eigene Regeln

China ist in den letzten Jahren zu einer treibenden Kraft eines multipolaren Rechtsverständnisses geworden, das universelle Normen in Frage stellt oder neu interpretiert. Im Südchinesischen Meer werden expansive territoriale Ansprüche geltend gemacht, Schiedsgerichte wurden nicht immer anerkannt, und internationale Gerichtsbarkeit erhielt gelegentlich nur begrenzte Wirkung.

Gleichzeitig entwickelt es eigene Rechts- und Handelsordnungen, etwa durch regionale Abkommen wie RCEP, die als Alternative zu westlich geprägten Rechtsrahmen verstanden werden. Die wirtschaftliche Macht wird genutzt, um politischen Druck auszuüben und Normen zu verschieben, während Fragen rund um Datensicherheit, Überwachung und Menschenrechte Debatten über universelle Rechte auslösen.

Auch Regionalmächte haben Anteil an der Zerstörung von Recht und Ordnung

Die Erosion von Normen, ihrer Gültigkeit sowie supranationalen Institutionen wie der UN liegt nicht ausschließlich an den Großmächten. Einen Anteil haben auch Regionalmächte wie Israel, der Iran oder Indien.

Tel Aviv beruft sich bspw. in Territorialfragen häufig auf nationale Sicherheitsinteressen und ignoriert wiederholt Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Die fortdauernde Besatzung und Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten widerspricht fundamentalen Prinzipien des humanitären Völkerrechts und der UNO-Charta, ohne juristische Konsequenzen auf höchster internationaler Ebene zu erfahren.

Iran unterminiert die globale Rechtsordnung vor allem durch regionale Interventionen, Unterstützung nichtstaatlicher Milizen und systematische Missachtungen der Menschenrechte. Hierzu gehören willkürliche Inhaftierungen, Diskriminierung von Minderheiten sowie Rechtsverstöße im eigenen Land, die selten internationalen Prozessen zugeführt werden, weil Iran die Zuständigkeit zentraler Gerichte nicht anerkennt.

Indien, als aufstrebende Mittelmacht, ist bei Grenzkonflikten mit Nachbarstaaten und Begrenzungen im Bereich der Menschenrechte von Vorwürfen betroffen. Besonders die Situation im Kaschmir, der Umgang mit Minderheiten und punktuelle Einschränkungen von Medien- und Versammlungsfreiheit stehen im Widerspruch zu globalen Normen, finden aber aufgrund nationaler Souveränitätsvorbehalte selten Eingang vor internationale Gerichtshöfe.

Regelverletzungen sind „ansteckend“

Militärische und rechtliche „Innovationen“ verbreiten sich rasch – sei es durch bewusste Kooperation, Anpassung aus Eigenschutz bzw. planvolle Nachahmung (US-Drohnenprogramme, russische Söldner, chinesische Überwachungstechnologien). 

Staaten wie Israel, Iran oder Indien übernehmen gezielt Technik und Praktiken aus dem Arsenal der Großmächte, erweitern sie und tragen zur globalen Verbreitung bei. Hierzu gehört auch, dass solche Regierungen ihrerseits wichtige Exporteure von Tötungs-, Folter und Überwachungstechnologien sind und damit aktiv zur Ausbreitung neuer Konflikte beitragen.

Die These, dass Normbrüche zum Nachahmen anregen („wenn einer durchkommt, machen andere es nach“), gilt empirisch sowohl für Groß- als auch für Regionalmächte. Die Übernahme illegaler Praktiken („extralegale Tötungen“, völkerrechtswidrige Überfälle) lässt sich etwa im Nahen Osten, Kaukasus und Südasien verfolgen.

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