Regelmäßig kritisiert Präsident Erdogan einen zu laxen Umgang der deutschen Behörden mit Organisationen, die die Sicherheit der Türkei bedrohen – also die PKK und die Gülen-Bewegung. Sogar ein deutscher Beamter meint dazu: «Nicht alles, was Erdogan sagt, ist falsch.»
Istanbul/Berlin (dpa) – Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist in Deutschland nicht besonders populär, genau genommen dürfte er zu den unbeliebtesten Politikern überhaupt gehören. Doch nicht alle Kritik, die Erdogan übt, muss deswegen automatisch unbegründet sein. Zu den Standard-Vorwürfen aus Ankara gehört, dass die deutschen Behörden Gruppen gewähren lassen, die die Sicherheit der Türkei gefährden. Wie ungehindert beispielsweise die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK in Deutschland agieren kann, darauf deutet sogar der aktuelle Verfassungsschutzbericht hin.
Am Samstag wurde deswegen der deutsche Botschafter Martin Erdmann ins Außenministerium in Ankara einbestellt, Auslöser war ein kurdisches Kulturfestival in Köln. (Am Montag musste Erdmann schon wieder im Ministerium vorstellig werden, allerdings wegen eines anderen Streitthemas.) Hinter der Festival-Bühne in der Deutzer Werft war ein riesiges Porträt des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan angebracht gewesen, dessen Konterfei auch auf etlichen Flaggen der mindestens 14 000 Teilnehmer zu sehen war.
Auch wenn umstritten ist, ob die Öcalan-Abbildungen illegal waren, so war das Fest jedenfalls eine offene Sympathiebekundung für die PKK, die in der EU als Terrororganisationen eingestuft ist. Veranstalter war das «Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland» (Nav-Dem), dessen enge Verbindung zur PKK bekannt ist. Im Verfassungsschutzbericht heißt es: «Für die Umsetzung von Vorgaben nutzt die PKK überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Als Dachverband der Vereine fungiert das Nav-Dem.»
Der Verfassungsschutz weiß so präzise über PKK-Aktivitäten Bescheid, dass sich aus Sicht der Türkei die Frage aufdrängt, warum die Behörden sie nicht verhindern. So berichtet der Inlandsgeheimdienst etwa, die jüngste PKK-Spendenkampagne habe in Deutschland erneut ein «herausragendes Ergebnis» erzielt: Mehr als 13 Millionen Euro habe die PKK von September 2015 bis Anfang 2016 einsammeln können. Während der Spendenerlös in Europa insgesamt mit 25 Millionen Euro konstant geblieben sei, habe die PKK in Deutschland «ihre Spendeneinnahmen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppeln können».
Weiter heißt es im Jahresbericht 2016: «Für den bewaffneten Kampf werden Jugendliche in Deutschland rekrutiert und durch PKK-Kader auf ihre Tauglichkeit geprüft.» Spenden und andere eingesammelte Gelder würden «vor allem für den Unterhalt der Organisation und des umfangreichen Propagandaapparates in Europa genutzt, dienen zum Teil aber auch der Unterstützung in den Kampfgebieten».
«Kampfgebiet» ist für die PKK auch der Nato-Staat Türkei, wo die Organisation und ihre Splittergruppe TAK im vergangenen Jahr für Anschläge mit Dutzenden Toten verantwortlich zeichneten, darunter viele Zivilisten. Der Kurdenkonflikt eskaliert seit dem Zusammenbruch einer Waffenruhe im Sommer 2015 wieder, im Südosten des Landes liefern sich türkische Armee und PKK-Kämpfer Gefechte.
Zwar wurden 2016 insgesamt fünf PKK-Funktionäre von Gerichten in Deutschland zu Freiheitsstrafen verurteilt. Aus Sicht Ankaras ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat mehrfach eingeräumt, dass er die Kritik versteht. So sagte er beispielsweise der «Bild am Sonntag» noch im Juni: «Die PKK ist auch bei uns eine verbotene Organisation, weil sie in Waffen- und Drogenhandel und Schutzgelderpressung tief verwickelt ist. Es ist also durchaus auch in unserem Interesse, deren Finanzströme trocken zu legen und ihr auf deutschem Boden keine Spielräume zu lassen. Das ist ein Punkt, den die Türkei zurecht anspricht.»
Wachsender Unmut herrscht in Ankara auch über die Haltung Deutschlands gegenüber der Gülen-Bewegung. Erdogan macht den einst mit ihm verbündeten Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 verantwortlich. Unter den Anhängern Gülens, die in der Bundesrepublik Schutz gesucht haben, sind nach türkischer Darstellung auch solche, die unmittelbar an dem blutigen Staatsstreich beteiligt waren. Ein Staatsstreich, mit dem der in Deutschland zwar unpopuläre, aber doch gewählte Präsident eines Nato-Partnerlandes gestürzt werden sollte.
Zwar bleibt die türkische Regierung Beweise dafür schuldig, dass Gülen persönlich hinter dem Putschversuch vom Juli 2016 steckte, und der in den USA lebende Prediger selber dementiert das. Unter Anhängern Erdogans und der Opposition herrscht aber seltene Einigkeit darüber, dass Angehörige der Gülen-Bewegung maßgeblich an dem Putsch mitwirkten. Für besonders große Irritationen sorgte in der Türkei daher der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, der dem «Spiegel» im März sagte: «Die Gülen-Bewegung ist eine zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung.»
Das ist eine Einschätzung, die kaum jemand teilt – zudem erwiesen ist, dass die Gülen-Bewegung den türkischen Staatsapparat jahrelang unterwandert hat. Ein deutscher Beamter nennt den Umgang der Behörden mit der Bewegung in der Bundesrepublik daher «blauäugig». Er sagt: «Das ist eben keine Nachhilfevereinigung.» Tatsächlich handele es sich um eine Organisation, die in der Türkei die Regierung habe übernehmen wollen. Der Beamte fügt hinzu: «Nicht alles, was Erdogan sagt, ist falsch.»