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Politisch motivierte Straftaten nehmen stark zu

Straftaten
Bundesinnenminister Dobrindt ist mit einem Anstieg politisch motivierter Straftaten konfrontiert. (Foto: photocosmos1, Shutterstock)

Noch nie wurden in Deutschland so viele Straftaten mit politischem Hintergrund erfasst wie 2024. Ihre Zahl nahm gegenüber dem Vorjahr um rund 40 % zu. Zwei Faktoren haben wesentlich dazu geführt.

(KNA/iz). Der Nahostkrieg und anstehende Wahlen haben 2024 deutlich zu einem drastischen Anstieg an politisch motivierten Straftaten in Deutschland beigetragen. Die Sicherheitsbehörden erfassten mit rund 84.000 Fällen einen neuen Höchststand. Von Alexander Riedel & Ali Kocaman

Wie aus der am 21. Mai veröffentlichten Statistik von Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt hervorgeht, entsprach dies einer Zunahme um 40 % gegenüber dem Vorjahr.

Politisch motivierte Straftaten erreichen historischen Höchststand

Die politisch motivierte Kriminalität erreichte im letzten Jahr einen historischen Höchststand. Sie wurde insbesondere durch einen massiven Zuwachs rechtsextremer Straftaten und eine insgesamt zunehmende gesellschaftliche Polarisierung angetrieben. Die Sicherheitsbehörden sehen akuten Handlungsbedarf auf allen Ebenen.

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Der extreme Anstieg verdeutlicht einmal mehr den dringenden Bedarf für eine gemeinsame Sicherheitsoffensive von Bund und Ländern, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Man werde allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen mit gleicher Entschlossenheit und Konsequenz entgegentreten. Auf Nachfrage erklärte er, die größte Gefährdung für die Demokratie gehe von Rechtsextremisten aus.

Nötig sei eine Doppelstrategie im Kampf gegen Extremismus, so der Minister: „mehr Kompetenzen für die Polizei und mehr Konsequenzen für die Straftäter“. Dazu gehörten aus seiner Sicht die Speicherung von IP-Adressen im Netz, Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten sowie höhere Strafen für Angriffe auf Polizisten.

Bei antijüdischen Delikten soll es nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe und im Regelfall zur Ausweisung kommen. Auch die Zahl antisemitischer Straftaten ist deutlich gestiegen, um knapp 21 % auf rund 6.200 (Vorjahr: 5.200). Dies stellt ebenfalls einen neuen Höchststand dar. Zudem wolle er gegen die Polarisierung der Gesellschaft kämpfen.

Rechtsextreme Verbrechen dominieren deutlich

Etwas mehr als die Hälfte der 2024 verübten Taten mit politischem Hintergrund wurde dem Sektor „rechts motiviert“ zugeordnet (fast 42.800). Hier gab es mit 48 % den größten Anstieg. Die Zahl der Fälle in Kontext mit „ausländischer Ideologie“ wuchs um ca. 42 % (auf rund 7.300). Linksmotivierte Straftaten stiegen um 28 % (auf knapp 10.000). Delikte in Bereich religiöser Ideologie nahmen um 29 % (auf etwa 1.900) zu. Die restlichen gut 22.000 Fälle wurden keinem der vier Aspekte zugeordnet.

Im Kontext von Wahlen registrierten die Behörden fast 11.800 politisch motivierte Straftaten – nach rund 2.200 im Vorjahr. 2024 wurde in Europa und in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt. In einigen Ländern kamen Wahlen auf kommunaler Ebene hinzu und zum Jahresende begann der Bundestagswahlkampf. Im Vergleich zum vorherigen Superwahljahr 2021 fiel das Wachstum mit 12 % deutlich geringer aus.

Vor Kurzem warnte der thüringische Ministerpräsident Voigt (CDU) vor einem Anstieg von Antisemitismus in dem Bundesland. Ihm zufolge stimmen fast die Hälfte aller Einwohner antijüdischen Ansichten zu. In einer Rede im Erfurter Landtag bezog er sich dabei auf den jährlichen „Thüringen-Monitor“ 2024.

Radikale Zellen und Netzwerke sind aktiv

Im Kontext der politisch motivierten Kriminalität und Extremismus hoben Behörden seit November letzten Jahre zwei extremistische Zellen aus. Bei einer internationalen Razzia in Deutschland, Österreich und Polen wurden acht Männer festgenommen, die der rechtsextremen Gruppe „Sächsische Separatisten“ zugerechnet werden. Die Mitglieder trainierten paramilitärisch, beschafften militärische Ausrüstung und planten gewaltsame Umsturzaktionen. Unter den Verhafteten war ein AfD-Politiker.

Und am 21. Mai 2025 wurden fünf junge Männer der Terrorzelle „Letzte Verteidigungswelle“ festgenommen. Die Gruppe, deren Mitglieder teils erst 15 Jahre alt sind, plante und verübte Anschläge auf Geflüchtete, weltanschauliche Gegner und öffentliche Einrichtungen.

Foto: Elpstirra | Shutterstock

Sie gilt als eine der radikalsten Jugendgruppen der letzten Zeit und steht exemplarisch für die wachsende Zahl rechtsextremer Netzwerke mit jugendlichen Mitgliedern. Und bereitete sich auf einen sogenannten „Tag X“ vor, an dem sie mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen und anderen ostdeutschen Bundesländern erobern und ein nationalsozialistisch geprägtes Staatswesen errichten wollte. Geplant waren auch „ethnische Säuberungen”.

Bereits am 13. Mai untersagte das Innenministerium die Vereinigung „Königreich Deutschland“. Dabei handelt es sich um die größte und aktivste Gruppierung der „Reichsbürger“- und Selbstverwalter-Szene in der Bundesrepublik mit bundesweit etwa 6.000 Anhängern. Das Verbot ging mit Hausdurchsuchungen einher.

Betroffene und Aktivisten machen AfD mitverantwortlich

Informationsstellen für Gewaltbetroffene zogen 2024 betreffend eine „Bilanz des Schreckens“. In 12 von 16 Ländern erfassten sie rund 3.450 Fälle, was einem Zuwachs von über 20 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Zudem seien neun Menschen getötet worden. Die Stellen erfassen auch Taten, die von der Polizei nicht gezählt werden, etwa weil sie nicht angezeigt werden.

Grafik: Mediendienst Integration

Judith Porath vom Vorstand des Verbands der Beratungsstellen machte die AfD mitverantwortlich für die starke Zunahme rechter Gewalt. Der Bundesinnenminister äußerte sich erneut skeptisch zu einem möglichen Parteienverbot. Man müsse Parteien an den Rändern kleiner machen, indem man versuche, sie mit gutem politischen Handeln weg zu regieren.

Die Integrations- und Antirassismusbeauftragte Natalie Pawlik forderte mehr Prävention, politische Bildung, Förderung von Demokratie, Arbeit gegen Rassismus und Unterstützung von Betroffenen. Der Innenminister versprach, dass solche Programme weiter finanziert würden.

Ali Mete: Muslime brauchen mehr Sicherheit

„Islamfeindlichkeit ist kein Randproblem mehr – sie ist Alltag. Und sie ist gefährlich. Im Jahr 2024 wurden fast 1.850 islamfeindliche Straftaten erfasst – das sind über 26 Prozent mehr als im Vorjahr.“, IGMG-Generalsekretär Ali Mete anlässlich der vorgestellten Zahlen.

Diese Angaben sprächen „eine klare Sprache“. Im Gegensatz zu üblichen Sprachregelungen seien MuslimInnen „nicht Verursacher von Gewalt, sondern Opfer“. Gleichzeitig würden sie seit Jahren erleben, wie öffentliche Diskurse sie unter Generalverdacht stellten. Rechte Gewaltkriminalität sei hingegen „allenfalls eine Randnotiz“.

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Pressebild: IGMG

In der Erklärung wurde die Bundesregierung aufgefordert, sich ernsthaft mit der Sicherheit von Muslimen und Muslimas zu beschäftigen. Viele Attacken würden gar nicht in der entsprechenden Rubrik erfasst und auch nicht angezeigt. Ein Grund dafür sei mangelndes Vertrauen in die zuständigen Behörden.

„Wer die Zahlen ernst nimmt, muss handeln. Wer die muslimische Bevölkerung schützen will, darf sie nicht länger stigmatisieren. Und wer über Sicherheit sprechen will, muss insbesondere über Rechtsextremismus sprechen – nicht nur, wenn es politisch opportun ist, sondern weil mit großem Abstand die meisten Straftaten auf das Konto von Rechtsexmisten gehen.“

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