Presseerklärung von IGMG-Generalsekretär Yeneroglu: Fraglich im Hinblick auf Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Auftrag von Krankenhäusern

„Es ist fraglich, ob die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht dient. Dem Auftrag von Krankenhäusern dient sie nicht. Zugleich spiegelt sie die bis heute angestauten Ressentiments gegenüber dem Kopftuch wieder“, erklärt Mustafa Yeneroğlu, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) anlässlich des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 24. September 2014 (5 AZR 611/12). Yeneroğlu weiter:

„Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass einer Arbeitnehmerin das Tragen eines Kopftuchs in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche untersagt werden dürfe. Das Tragen des Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religionszugehörigkeit sei regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung zu einem neutralen Verhalten nicht vereinbar. Der BAG verweist hier damit auf die Entscheidung der Vorinstanz. Das LAG Hamm hatte die Klage anders als die erste Instanz abgewiesen. Wesentliche Begründung dafür war, dass das Selbstbestimmungsrecht des konfessionellen Krankenhauses die Religionsfreiheit überwiege.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nur dem ersten Schein nach gedient, wohl aber auch den allgemeinen Auftrag eines Krankenhauses nicht ausreichend gewürdigt. Eine umfassende Würdigung kann sicherlich erst nach Vorliegen der Entscheidungsbegründung vorliegt. Es ist jedoch bereits fraglich, inwieweit ein Krankenhaus, der von der Allgemeinheit finanziert wird und nichtreligiöse Dienstleistungen an die Allgemeinheit – ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit – erbringt, überhaupt eine kirchliche Einrichtung im religiösen Sinne sein kann.

Ungeachtet unseres Respekts davor, dass die Kirchen in ihren der Religionsausübung dienenden Einrichtungen Wert auf ein christliches beziehungsweise ein durch sie bestimmtes Äußeres legen, dürften auch sie sich mit der Frage beschäftigen, ob dieses Gebot für alle Einrichtungen gilt, unabhängig davon, ob diese einen konkreten religiösen Zweck erfüllen.

Zudem ist fraglich, ob eine muslimische Frau schon mit dem Tragen des Kopftuchs die vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht geschützten Belange so beeinträchtigt, dass ein Verbot für angemessener erachtet wird und im Sinne des religiösen Auftrags der Kirche ist.

Auch im Hinblick auf die Regelung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erscheint die Entscheidung problematisch. Nach § 9 Abs. 2 AGG darf eine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft zwar von ihren Mitarbeitern ein loyales Verhalten fordern. Allerdings gilt dies nur insoweit, als es der konkreten Art der Tätigkeit und der damit verbundenen Position geschuldet ist. Demnach dürfte die Tätigkeit im Krankenhaus eher dem „verkündungsfernen Bereich“ zugeordnet werden müssen. Inwieweit diese Position umfassend gewürdigt ist, kann der Pressemitteilung des Gerichts nicht entnommen werden.

Nichtsdestotrotz begrüße ich den Appell von Jörg Kruttschnitt, Vorstand des diakonischen Bundesverbandes, an kirchliche Einrichtungen, in dieses Urteil kein generelles Kopftuchverbot hineinzuinterpretieren. Sonst läuft das darauf hinaus, die ohnehin schwierige Situation der Muslima, einen Arbeitsplatz zu finden, noch weiter zu verschärfen.“