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Prozess zum Terroranschlag von Halle beginnt

Foto: Boaz Guttman, flickr

Der rechtsextreme Terroranschlag auf die Synagoge in Halle erschütterte vor neun Monaten Menschen überall auf der Welt. Entsprechend groß ist das Interesse am Prozess, der nun beginnt. Das Gericht dämpft jedoch die Erwartungen.

Magdeburg (dpa). Gut neun Monate nach dem rechtsextremen Terroranschlag von Halle mit zwei Toten und mehreren Verletzten beginnt in Magdeburg der Prozess gegen den Angeklagten. Das Gerichtsverfahren gilt als eines der größten und bedeutendsten in der Geschichte Sachsen-Anhalts: 13 Straftaten werden dem Angeklagten angelastet, darunter Mord und versuchter Mord. 43 Nebenkläger ließ das Gericht vor Prozessbeginn zu und benannte insgesamt 147 Zeugen. Die Anklage der Bundesanwaltschaft umfasst insgesamt 121 Seiten.

„Die Schwere des Tatvorwurfs und die politische Bedeutung der angeklagten Taten verleihen dem Verfahren ein besonderes Gewicht“, sagte der Sprecher des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg, Henning Haberland. Deshalb finde das Verfahren auch nicht in den Räumen des OLG Naumburg statt, sondern im größten Verhandlungssaal Sachsen-Anhalts in Magdeburg. Dem Angeklagten werde ein Angriff auf grundlegende Werte unserer Gesellschaft vorgeworfen. „Insbesondere aber soll er unermessliches persönliches Leid angerichtet haben“, sagte Haberland. „Der Rechtsstaat wird darauf mit einem fairen Verfahren reagieren.“

Einige der Verletzten und Hinterbliebenen hätten sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen und damit nun die Möglichkeit, gestaltend auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. „Und dennoch wird das Verfahren wahrscheinlich nicht alle Erwartungen erfüllen können, die von den Hinterbliebenen, den Geschädigten und der Öffentlichkeit möglicherweise gehegt werden“, sagte Haberland. Das Verfahren könne das geschehene Unrecht nicht beseitigen. Zum Prozessauftakt soll zunächst der Anklagesatz verlesen und anschließend der Angeklagte vernommen werden.

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Der Attentäter hatte am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, als darin gerade 52 Gläubige den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Laut Bundesanwaltschaft wollte er möglichst viele Besucher der Feier töten. Der Täter scheiterte trotz schwerer Bewaffnung an der Eingangstür der Synagoge und erschoss dann vor der Synagoge eine 40-Jährige. Kurz darauf erschoss er in einem Dönerimbiss einen 20-Jährigen und verletzte auf seiner Flucht weitere Menschen, bevor ihn Polizisten festnehmen konnten. Der Täter hatte den Anschlag mit einer Helmkamera gefilmt und ins Internet gestreamt.

Angeklagt ist Stephan B. aus Sachsen-Anhalt. Er hat die Vorwürfe laut dem Gericht im Wesentlichen eingeräumt. Im Falle einer Verurteilung erwarten den heute 28-Jährigen eine lebenslange Haftstrafe, auch eine anschließende Sicherheitsverwahrung ist möglich. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, „aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens“ geplant zu haben, so die Bundesanwälte.

Das Gericht erließ für den zunächst auf 18 Verhandlungstage angesetzten Prozess besonders strenge Regeln – einerseits wegen der besonderen Bedeutung des Angeklagten, andererseits wegen der Corona-Pandemie. So soll der Angeklagte gefesselt und von Spezialkräften begleitet in den Gerichtssaal gebracht werden. Zuschauer und Medienvertreter müssen wegen der Corona-Gefahr im Verhandlungssaal einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Wegen der strengen Vorgaben und der damit verbundenen Kontrollen öffnet das Gericht bereits drei Stunden vor Verhandlungsbeginn die Türen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland erhofft sich von dem Verfahren Klarheit über die Hintergründe der Tat und darüber, wie es zu dem Anschlag kommen konnte. „Ich habe die Hoffnung, dass erstens geklärt wird, ob es sich tatsächlich um einen Einzeltäter handelt oder ob rechtsextreme Netzwerke hier eine Rolle gespielt haben“, sagte der Chef des Zentralrats, Josef Schuster, der Deutschen Presse-Agentur. „Zweitens möchte ich wissen, wie es dazu kommen konnte, dass ein Mensch sich in dieser Form radikalisiert“, sagte Schuster. „Kein Mensch wird als Nazi, Antisemit oder Terrorist geboren.“

Ein Bürgerbündnis will vor Prozessbeginn vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung abhalten und unter dem Motto „Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter“ den Opfern des Attentats Aufmerksamkeit verschaffen. Das Verfahren sorgt auch international für großes Interesse: Neben der „New York Times“ berichten auch die israelische Tageszeitung „Israel HaYom“ sowie Medien aus den Niederlanden und der Schweiz aus dem Magdeburger Gerichtssaal.

Mazyek erwartet „hartes Urteil“
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek, erwartet im Prozess gegen den Attentäter von Halle ein „hartes und wegweisendes“ Urteil. „Es sollte deutlich machen, dass Rassismus keine Meinung ist – sondern im schlimmsten Fall tötet“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Dienstag). „Ich wünsche mir dies auch als ein Signal an die Minderheiten und vielfältigen, friedlichen Gruppen in Deutschland“, betonte er zum Auftakt des Prozesses am Dienstag in Magdeburg. „Sie sollen sich in der Demokratie in Deutschland gut aufgehoben und sicher vor solchen Terrorakten fühlen.“

Für Täter wie dem Halle-Amokläufer mache es keinen Unterschied, ob sie Juden oder Muslime treffen würden, so Mazyek. „Solche Täter sind in ihrem Hass nur auf maximale Wirkung und Schaden aus.“
Die Muslime in Deutschland fühlten sich nicht ausreichend von den deutschen Sicherheitsbehörden geschützt, sagte der ZMD-Chef. „Dazu kommt jedoch, dass wir – wie die Juden – einer Minderheit angehören. Jeder rassistische Übergriff und die Reaktionen darauf seitens der Politik und des Staates werden deshalb sehr aufmerksam beobachtet.“