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Psychologe Kazım Erdoğan: Auf Familien mit Zuwanderungsgeschichte zugehen

Berlin (KNA). Als Konsequenz aus der Gewalteskalation in der Silvesternacht fordert der Berliner Psychologe und Konfliktberater Kazım Erdoğan mehr effektive Familienarbeit für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. „Wir müssen in die Familien hineingehen und dürfen nicht warten, bis die Eltern kommen. Sie kommen nicht. Auch die jungen Leute kommen nicht von allein. Sie sitzen zuhause und spielen an ihrem Handy“, sagte Erdogan am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin.

Der 69-Jährige, der mit 21 aus der Türkei nach Deutschland einwanderte, gründete 2007 in Berlin-Neukölln die bundesweit erste Selbsthilfegruppe für muslimische Männer in Konfliktsituationen. Dabei ist auch Gewalt immer wieder Thema.

„Ich will die Vorfälle der Silvesternacht nicht verharmlosen. Sie sind absolut untragbar. Ich glaube aber, dass härtere Strafen oder ein Böllerverbot allein nicht reichen werden“, so Erdogan.

Der Soziologe plädierte für die Einrichtung von „Dialogtischen“ mit allen gesellschaftlichen Kräften, etwa aus der Justiz, der Polizei, aus Bildungseinrichtungen und auch seitens migrantischer Familien. „Jede Maßnahme, die man ohne die Familien macht, wird scheitern“, sagte Erdogan. Zu einer effektiven Prävention gehöre für ihn zudem auch, die Väterarbeit zu stärken. „Es gibt viel zu wenig Beratungsangebote für Männer und Väter mit Zuwanderungsgeschichte.“

Weiter wies er auf die Frustration hin, die bei der dritten und vierten Generation von Einwanderern mitunter existiere. Viele hätten „keinerlei Zukunftsperspektive, schlechte Schulabschlüsse, leben von Transferleistungen.“ Hinzu komme, dass ihre „Identität nicht gefestigt“ sei. „Sie wissen nicht, was sie sind: Ganz deutsch sind sie nicht, ganz türkisch oder arabisch sind sie aber auch nicht“, sagte er. Damit müsse man umgehen. Ein Mensch, der nicht wisse, wo er hingehöre, könne zu einer Gefahr für die Gesellschaft werden.

Erdogan forderte auch von den Moscheen, sich stärker für die Integration und Bildung von jungen Muslimen zu engagieren. „Dazu sind sie nicht immer bereit“, kritisierte er. Er schlug vor, dass Moscheen in ihren Räumlichkeiten außerhalb der Gebetszeiten etwa deutlich mehr Beratung zu sozialen Problemen oder Bildungsarbeit anbieten könnten.