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Chancen und Herausforderungen der islamischen Religionsgemeinschaften

Ausgabe 360

gebet gemeinschaft Religionsgemeinschaft
Foto: Vereint im Islam 2013

Zum Verhältnis von Religionsgemeinschaften und dem Staat. Ein Gastbeitrag von DİTİB-Generalsekretär Eyüp Kalyon.

(iz). Auf die neue Bundesregierung schauen auch die Muslime in Deutschland und ihre Vertreterstrukturen sehr genau und hören bei den Statements aufmerksam zu; so zum Beispiel bei ihrer Positionierung in globalen Konflikten wie in der Ukraine oder in Gaza. Ein Großteil der Muslime sind in Deutschland geboren, leisten ihren Beitrag für die Gesellschaft, übernehmen immer mehr Führungspositionen, deren Bedeutung als Wählergruppe stetig steigt. Von Eyüp Kalyon

Islamische Religionsgemeinschaften wie die DİTİB, der Islamrat in Deutschland, der Zentralrat der Muslime (ZMD), bosnische (IGBD)-, albanische (UIAZD)-, marokkanische Organisationen (ZRMD) sind Sprachrohe der muslimischen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und treten gegenüber Bundes-, Landes und Kommunalpolitik als Vertreter für die Mehrheit der Muslime in Deutschland auf.

Religionsgemeinschaften: Regierung sollte Gelegenheit erkennen

Die neue Bundesregierung sollte daher in den Beziehungen zu und in der Zusammenarbeit mit den Islamischen Religionsgemeinschaften eine wichtige Gelegenheit erkennen, die Partizipation und die Zugehörigkeit von Muslimen in Deutschland zu stärken. Dieser Prozess birgt große Chancen wie auch Herausforderungen.

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Den Auftakt für dieses Spannungsfeld zwischen islamischen Religionsgemeinschaften und der neuen Bundesregierung stellt der Koalitionsvertrag dar, zu dem sich die Islamischen Religionsgemeinschaften kritisch äußerten.

Nicht ohne Grund: Denn darin werden Muslime fast nur mit Themen wie „Islamismus“, Auslandsbeziehungen oder Präventionsarbeit in Verbindung gebracht. Somit reduziert sich der Blick auf Muslime auf eine sicherheitspolitische Perspektive.

Genau das Gegenteil müsste der Fall sein: Langjährige Projekte und Kooperationen müssen vertieft werden, um die Verwurzelung des Islams und der Muslime in Deutschland auf unterschiedlichen Ebenen voranzutreiben.

Eine größere Akzeptanz ihrer positiven Beiträge und des Respekts gegenüber ihren Leistungen in unserer Gesellschaft wird zwangsläufig zur Stärkung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland führen. Genau das entzieht dem religiös begründeten Extremismus den Nährboden.

Warum Muslime negativ kontextualisieren?

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Christoph de Vries (CDU), bezeichnete in einem Interview die Erwartung der Islamischen Religionsgemeinschaften, nicht mehr in einem negativen Kontext erwähnt werden zu wollen, als „Wortklauberei“. Ist es falsch zu erwarten, dass der Name der eigenen Religion nicht ständig im negativen Kontext genannt wird? Ist es nicht leichtfertig, eine ganze Religionsgemeinschaft wegen einiger Fanatiker und Krimineller ausschließlich im negativen Kontext zu erwähnen?

Eine Notwendigkeit, Muslime im Koalitionsvertrag zu erwähnen, gibt es natürlich nicht. Aber wenn Sie erwähnt werden sollen, dann bitte sowohl Potentiale als auch Herausforderungen gleichermaßen aufführen. Denn das gehört zum gegenseitigen Respekt dazu.

Er geht einen Schritt weiter. Es wird erklärt, dass die neue Bundesregierung sich die Gesprächspartner sehr gut anschauen wird. Sie werde aussuchen, mit wem sie das Gespräch und die Zusammenarbeit fortführen wird. Das ist eine Nichtbeachtung und ein falsches Verständnis unserer Verfassung. Denn wer Religionsgemeinschaft ist und die Voraussetzungen für diesen Status erfüllt, bestimmt die Verfassung und nicht die Politik (§140 GG, 137 WRV).

Bei strafrechtlich auffälligen Religionsgemeinschaften schreiten die Sicherheitsbehörden ein. Dieser Prozess darf nicht in einem Generalverdacht münden. Hier hat die neue Bundesregierung die Möglichkeit, Muslimen auf Augenhöhe zu begegnen, leider verpasst.

Zur Rolle und Folge des Nahostkonflikts

Ein weiterer Diskurs zwischen Politik und den Islamischen Religionsgemeinschaften ist der Konflikt im Nahen Osten. Muslime wurden nach dem 7. Oktober in der Öffentlichkeit häufig pauschal unter Generalverdacht gestellt und mit Antisemitismus beschuldigt, weil sie sich angeblich nicht ausreichend von der Hamas distanziert hätten.

Die Islamischen Religionsgemeinschaften haben dieses Leid genau wie den unsäglichen Angriff der Hamas vom 07. Oktober angesprochen und sich in aller Deutlichkeit positioniert. Diese Brandmarkung war jedoch das Signal für einige Autoren und vermeintliche Experten, sich stärker auf dieses verzerrte Bild zu stürzen.

Diese Stimmungsmache hat zu einem starken Anstieg antimuslimischer Straftaten und Moscheeübergriffe geführt (seit dem 07. Oktober hat die DİTİB-Antidiskriminierungsstelle fast 400 Straftaten festgestellt, die Dunkelziffer dürfte weit darüber hinaus liegen). Die Kooperationen und Dialogformate wurden entweder komplett aufgegeben oder auf das Minimale reduziert.

Erst in den letzten Wochen hat sich der Fokus etwas verschoben, nachdem der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten und weiteren Regierungsmitgliedern ausgesprochen hat und die UN-Sonderberichterstatterin Anzeichen für Völkermord attestierte.

Die israelische Regierung hat seit Mitte April keine Nahrungs- und Hilfsmitteltransporte in den Gazastreifen zugelassen und öffnete erst vor einigen Tagen die Grenzen für zunächst sporadische Hilfslieferungen.

Nicht nur Muslime erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich viel deutlicher für eine politische und diplomatische Lösung einsetzt, sondern auch wegen der historischen Verantwortung Deutschlands und der Tatsache, dass Deutschland ein wichtiges Mitglied dieser internationalen Organisationen, wie der Vereinten Nationen und des internationalen Gerichtshof, ist. 

Pressemitteilungen oder ähnliche Verlautbarungen werden das Leid in Gaza nicht lösen. Wir befinden uns derzeit in der größten humanitären Katastrophe der jüngeren Geschichte, zu der man sich klar positionieren muss. Genau wie jüdische Bürger dieses Landes, Verwandte und Freunde in diesem Konflikt verloren haben, so haben auch muslimische Bürger Angehörige verloren.

Diese Entwicklung darf nicht dazu beitragen, dass vor allem junge Muslime sich in Deutschland von der Politik alleingelassen und mit ihren Sorgen ausgegrenzt fühlen. Dass unsere Nachbarländer eine viel deutlichere Wortwahl und Haltung zum Gazakonflikt eingenommen haben, ist kein Geheimnis.

Die Bundesregierung wäre gut beraten, die Sorgen und Erwartungen aller Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen wahrzunehmen, sich viel intensiver für einen Frieden in Gaza und für die Einhaltung internationalen Rechts einzusetzen.

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DIK 2022. Ministerin Faeser im Gespräch mit einer Teilnehmerin. (Pressefoto: © Henning Schacht / Bundesinnenministerium)

Aufbruchstimmung im Rahmen der Islamkonferenz

In den Jahren 2006 und 2007 gab es im Kontext der Deutschen Islamkonferenz (DIK) und dem Koordinationsrat der Muslime eine Art Aufbruchsstimmung. Ziel war es, dass sich der Staat und die Vertreter der Muslime auf Augenhöhe begegnen. Der Staat hatte ein großes Interesse an der Verwurzelung des Islams in Deutschland.

Bisher hatte die DIK fünf Phasen, in dem unterschiedliche Themenschwerpunkte gesetzt wurden. Bereiche wie Islamischer Religionsunterricht (IRU) in Schulen, Islamische Seelsorge in z.B. Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten oder im Militär oder das Studienfach Islamische Theologie an Universitäten wurden behandelt und bis zu einem bestimmten Grad auch weiterentwickelt.

Die Resultate sind, dass junge Muslime ihre Religion in der Schule und an der Universität reflektiert und fachpädagogisch erlernen können und dass es in drei Bundesländern Staatsverträge (Stichwort: Res Mixta) zwischen Landesregierungen und Islamischen Religionsgemeinschaften gibt. Ziel war es zudem, dass insbesondere die Bedarfe und Sensibilitäten auf beiden Seiten in einem von der Politik bestimmten Rahmen fortlaufend wahrgenommen werden können.

Das war und ist nach wie vor von großer Bedeutung. Seit der letzten Legislaturperiode dominierte die DIK unter Innenministerin Nancy Faeser (SPD) der Themenschwerpunkt der Imam-Ausbildung – ein Hoheitsgebiet der Religionsgemeinschaften nach Artikel 4, Abs 2 GG. Doch wie wird unsere neue Bundesregierung die DIK ausgestalten?

Foto: IMO | photothek.net

Der Austausch ist notwendig

Trotz allen Diskussionspunkten, die von vielen Akteuren geäußert werden, ist dieser Austausch notwendig; auch wenn er mit Höhen und Tiefen verbunden ist. Denn am Beispiel der Beziehungen zwischen Staat und Kirche sehen wir, dass es für einen Konsens und eine nachhaltige Arbeit, eines langen Atems bedarf. Diese Begegnung tut beiden Seiten gut und sie schafft Räume und Möglichkeiten für Muslime, dass sie die Gesellschaft mitgestalten können.

Deswegen sollten auch die islamischen Religionsgemeinschaften ein Interesse daran zeigen, sich so zu organisieren und ihre Strukturen so anzupassen, dass die Nachhaltigkeit garantiert wird und die Effizienz der Arbeiten sichtbarer zunimmt.

Der KRM müsste hierbei mehr in den Fokus rücken, weil sich dort die Belange und Erwartungen der Islamischen Religionsgemeinschaften größtenteils überschneiden. Langfristig kann und sollte der KRM sich als Sprachrohr der Mehrheit der Muslime, insbesondere im gesellschaftspolitischen Kontext, weiter etablieren und entfalten. Dafür braucht es mehr Reformen und nachhaltige Strukturen.

Es gab in der Vergangenheit viele wichtige und gemeinsame Projekte und Zusammenarbeit, die von öffentlichen Fördermitteln finanziert wurden und einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft geleistet haben. Darunter zählt das Projekt PRODialog, ein Projekt zwischen DİTİB und dem BAMF, in dem hunderte Ehrenamtler zu Multiplikatoren ausgebildet wurden. 

Auch mit der Strukturförderung für das IKW (Islamisches Kompetenzzentrum für Wohlfahrtswesen e.V.) wurden wichtige Schritte für die Zukunft eingeläutet. Islamische Religionsgemeinschaften sind im Prozess ihre eigenen Wohlfahrtsstrukturen aufzubauen, um die Bedarfe der Muslime auch im Sozialwesen zu decken und gegenüber dem Sozialstaat mit robusten und nachhaltigen Organisationen aufzutreten.

Signale in beide Richtungen

Dies sind wichtige Signale in beide Richtungen. Davon brauchen wir mehr. Sowohl die Islamischen Religionsgemeinschaften als auch der Sozialstaat müssen näher zusammenrücken und Gemeinsamkeiten finden, um in Partnerschaft besondere Impulse zu setzen.

Der Islam legt den Muslimen hierbei eine wichtige Verantwortung auf. So heißt es in einem Prophetenausspruch, Frieden und Segen auf ihm, folgendermaßen: „Achtet auf die Armen und sorgt für sie. Zweifelt nicht daran, dass ihr durch die Schwachen unter euch Hilfe von Allah erlangt und mit Versorgung gesegnet werdet.“ (Abu Dawud, 2588)

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Beziehungen zwischen Islamischen Religionsgemeinschaften und der Bundesregierung entwickeln werden. Die Personalentscheidungen in den Führungspositionen in den einzelnen Ministerien stehen vor großen Chancen und Herausforderungen.

Diese Möglichkeiten sollten nicht unbeachtet bleiben, denn dass eine starke Bindung zueinander nur Positives für unsere Gesellschaft bewirken kann, steht außer Frage. Auch die Islamischen Religionsgemeinschaften müssen reflektieren, was in den letzten Jahren in den Gesprächen gut und schlecht lief, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Der Autor ist Generalsekretär des Moscheeverbands DİTİB.

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