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Was ist Muslimfeindlichkeit?

Ausgabe 353

Muslimfeindlichkeit
Die CLAIM Allianz stellte am 24. Juni 2024 ihr Lagebild „antimuslimischer Rassismus“ in Berlin vor. (Foto: imago | Jürgen Heinrich)

Die EU-Grundrechteagentur weist Deutschland einen führenden Platz in Sachen Muslimfeindlichkeit zu. Um was handelt es sich bei dem Phänomen?

(Mediendienst Integration/IZ). Gerade hat die Grundrechteagentur der EU (FRA) ihren Bericht „Being Muslim in the EU“ veröffentlicht. Die Erhebung hebt hervor, dass Muslime in 13 EU-Mitgliedsstaaten häufig Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt sind – sowohl im Alltag als auch in spezifischen Bereichen wie Bildung, Beschäftigung und Zugang zu Dienstleistungen. Sie dokumentiert Erfahrungen von 10.000 befragten Personen, die von Benachteiligungen berichten, und betont die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Förderung der Gleichbehandlung und für die Bekämpfung von Ausgrenzung auf gesellschaftlicher und individueller Ebene.

Soweit die Bundesrepublik betroffen ist, steht es derzeit schlecht um die Höhe und Entwicklung von Muslimfeindlichkeit im Lande. Deutschland liegt nach Ansicht der FRA-Forscher hinter Österreich auf dem zweiten Platz, wenn es um antimuslimische Einstellungen und Diskriminierungen geht.

Die dabei entstandenen Zahlen sind alles andere als ermutigend: 68 % der befragten Muslime gaben an, Rassendiskriminierung erlebt zu haben, was eine der höchsten Raten unter den 13 befragten EU-Ländern ist. 39 % der werden bei der Arbeitssuche diskriminiert, und 35 % erleben Ausgrenzung am Arbeitsplatz. 27 % wurden in den letzten fünf Jahren rassistisch belästigt. Und 49 % der Personen, die in Deutschland von der Polizei angehalten wurden, waren der Meinung, dass der Grund ethnisches Profiling war.

Im Folgenden dokumentieren wir Eckpunkte zum Thema Muslimfeindlichkeit. Das Feature wurde vom Mediendienst Integration angefertigt. Das Projekt versteht sich unter anderem als Wissensressource für Journalisten und Multiplikation.

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Grafik: Mediendienst Integration

Was ist Muslimfeindlichkeit

„Antimuslimischer Rassismus“ steht in den Augen des Mediendienstes für die pauschale Abwertung und Diskriminierung von Muslimen und Menschen, die als solche wahrgenommen werden. Der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit hat 2023 in einem Bericht antimuslimische Einstellungen und Diskriminierung in Bereichen wie Politik, Bildung, Kultur und Alltag analysiert.

Nach dem rassistischen Anschlag von Hanau 2020 hatte der damalige Innenminister Seehofer das Gremium eingesetzt, dem neun Wissenschaftler und Experten angehörten. Anfang 2024 zog das Amt diese Veröffentlichung zurück, nachdem Publizisten gegen ihre Nennung geklagt hatten. Der Report wurde im Juli dieses Jahres mit leicht veränderten Passagen erneut veröffentlicht.

Mehr Übergriffe im Jahre 2024

Im ersten Halbjahr 2024 zählte die Polizei 429 islamfeindliche Verbrechen. Dazu gehören Körperverletzungen, Beleidigung, Sachbeschädigungen und Volksverhetzung. Die Angaben sind vorläufig, es können Nachmeldungen folgen. 2023 zählte die Polizei 1.464 islamfeindliche Straftaten. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr stark angestiegen und hat sich mehr als verdoppelt (2022: 610 Straftaten, +140 %). Rund 83 % der Straftaten (1.211) waren politisch rechts motiviert. Stark zugenommen haben islamfeindliche Straftaten, die durch eine ausländische Ideologie motiviert waren (2023: 72, +620 %).

Nicht alle antimuslimischen Vorfälle werden angezeigt oder von der Polizei als solche erkannt. Die Europäische Grundrechteagentur (FRA) stellte in einer Umfrage zwischen 2021 und 2022 fest, dass nur 12 % der Leidtragenden muslimfeindliche Fälle und Straftaten melden. Eine nicht-repräsentative Studie der CLAIM Allianz zeigt: Hier meldet die Mehrheit der Betroffenen Übergriffe nicht und nimmt keine Beratungsangebote in Anspruch (57 Prozent).

CLAIM führt daher jährlich eigene Zählungen durch. 2023 erfasste das Bündnis 1.926 strafbare und nicht strafbare Vorfälle. Dazu gehören Beleidigungen, Körperverletzungen oder Bedrohungen. Besonders betroffen sind muslimische Frauen; auch Angriffe von Erwachsenen auf Kinder wurden registriert. Sie haben sich im Vergleich zu 2022 mehr als verdoppelt, wobei damals nur Daten aus sieben Bundesländern einflossen. Das Netzwerk geht sowohl bei den selbst erfassten als auch bei den offiziellen Zahlen von einem großen Dunkelfeld aus.

Anstieg nach Oktober 2023

Es gibt unterschiedliche Zahlen zu antimuslimischen Vorfällen nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023:

Vom 7.10. bis 31.12.2023 registrierte die Polizei 564 „islamfeindliche“ Straftaten (Stand: 29.4.2024). Die Zahl dieser Taten war schon vor dem Angriff der Hamas gestiegen: Bis Ende September 2023 wurden mehr Delikte registriert als im gesamten Vorjahr.

Zivilgesellschaftliche Organisationen warnten nach dem Angriff der Hamas vor einer Zunahme von antimuslimischen Vorfällen. So registrierte Claim im Oktober einen starken Anstieg von Meldungen und Beratungsanfragen. Zwischen 7.10. und 31.12.2023 zählte CLAIM 679 antimuslimische Vorfälle .

Rund 8.300 politisch motivierte Taten erfasste das Bundeskriminalamt (BKA) seit dem 7. Oktober im Zusammenhang mit dem Nahost-Krieg. Darunter sind etwas über 230 muslimfeindliche Straftaten (Stand: 25.09.2024). Es handelt sich vor allem um Sachbeschädigungen und Volksverhetzungen. (…)

Grafik: Mediendienst Integration

Moscheen im Visier

Zu islamfeindlichen Straftaten gehören auch Angriffe auf Moscheen. Im ersten Halbjahr 2024 erfassten die Behörden 21 Verbrechen gegen diese, darunter hauptsächlich Wandalismus und Volksverhetzung. Über 70 % davon waren politisch rechts motiviert.

2023 zählte das Bundesinnenministerium 70 Attacken auf Moscheen, ein Anstieg um rund 13 % im Vergleich zum Vorjahr (62). Die meisten Taten waren Sachbeschädigungen und Volksverhetzungen. 40 der Angriffe waren politisch rechts motiviert, 14 Taten durch eine ausländische Ideologie.

Die Organisation FAIR International dokumentiert Angriffe auf Moscheen auf der Webseite #brandeilig – und kommt dabei teils zu deutlich höheren Zahlen als das Bundesinnenministerium. 2022 hat die Organisation rund 70 Übergriffe erfasst (2021: 63, 2020: 148). Der Moscheeverband DITIB erfasste 2022 in einer eigenen Erhebung 35 Angriffe auf Moscheen (2021: 44, 2020: 111).

Behörden, DITIB und #brandeilig verwenden unterschiedliche Definitionen von „Moscheen“ und „Angriffen“. Die Behörden haben eine enge Definition von „Moscheen“ und zählen nur Straftaten. DITIB zählt zusätzlich Attacken auf Gebetsräume in öffentlichen Institutionen (z.B. Flughäfen, Krankenhäuser und Universitäten) sowie Fälle, die nicht strafrechtlich relevant sind. #brandeilig zählt auch Angriffe gegen Einrichtungen, die von den Tätern als islamisch wahrgenommen werden, als Moscheeangriffe.

Grafik: Mediendienst Integration

Die Mehrheit sagt, sie ist von Muslimfeindlichkeit betroffen

In einer nicht-repräsentativen Umfrage von CLAIM gaben 2023 78 % an, dass sie von antimuslimischen Übergriffen und Diskriminierung betroffen sind. Die häufigste Diskriminierungsform ist, dass die Menschen für das Verhalten von anderen Muslim*innen mitverantwortlich gemacht werden, etwa für das Verhalten des türkischen Präsidenten Erdogan (56 %). Die Mehrheit der Leidtragenden meldet Übergriffe nicht und nimmt keine Beratungsangebote in Anspruch (57 %).

Zwischen 2006 und 2022 haben sich 1.026 Personen an die Beratung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt, die sich wegen ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit benachteiligt fühlten. 2022 und 2021 waren es jeweils rund 150 Personen (2022: 153, 2021: 154). Die meisten Betroffenen berichteten von Diskriminierungen im Segment Arbeitswelt. Darauf folgten Diskriminierungserfahrungen bei Dienstleistungen sowie im Bereich Bildung.

Muslime sind häufig von Mehrfachdiskriminierungen betroffen. Das heißt, dass sie sowohl wegen ihrer Religion als auch etwa ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihres Geschlechts diskriminiert werden. Zahlen zu ihrer Diskriminierung findet man hauptsächlich in Studien zur Diskriminierung von Migranten oder Personen mit Migrationshintergrund, die zusätzlich die Religionszugehörigkeit erfassen.

* Veröffentlicht im Rahmen einer CC-Lizenz. Aus Platzgründen gekürzt.