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Schönheit von Glauben, Kunst und Freiheit

Ausgabe 361

Glaube
Krimtatarischer Reisekoran in Ledereinband, MEK Berlin. (Mit freundlicher Genehmigung Museum Europäischer Kulturen / Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin)

Glaube, Kunst und Freiheit: Das krimtatarische Erbe ist mehr als bloße materielle Vergangenheit.

(iz). Mit über 1.100 Artefakten beherbergt das Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin die größte Sammlung krimtatarischer Kunst und Kultur außerhalb der Krim. Angesichts von Annexion, Krieg und Flucht und sämtlicher kultureller Heimatressourcen beraubt, ist für viele Geflüchtete von der Krim der Islam ein fester Marker im Koordinatensystem ihrer biografischen Landschaften geblieben.

Wie die Objekte in Berlin dies spiegeln und eine kulturdiplomatische Brücke schlagen können zwischen derzeit annektierter Halbinsel und der Hoffnung auf Freiheit soll ein Gemeinschaftsprojekt veranschaulichen.

Weder die krimtatarische Sammlung in Sankt Petersburg noch die Museen auf der russländisch okkupierten Krim sind für krimtatarische Exilant*innen und ausländische Wissenschaftler*innen zugänglich und nutzbar.

Umso größer ist die Bedeutung der Berliner Sammlungen für Akademiker*innen, Künstler*innen und Menschenrechtler von der Krim, aus der Ukraine und Deutschland, die deshalb derzeit ein Langzeitprojekt gemeinsam entwickeln, worin zum Ausdruck kommen soll, wie Kulturartefakte interdisziplinär und crossmedial eine Brücke sein können einerseits vom gestern bis in die Zukunft und andererseits zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kunstszene.

Im Begleitprogramm parallel zur geplanten Ausstellung werden Film, Theater, Literatur und Performance mit traditionellen Kunsthandwerkstechniken der Krimtatar*innen zusammentreffen.

Im Depot des Museums Europäischer Kulturen am Fundus von über 600 krimtatarischen Kulturartefakten: Dr. Matthias Thaden (Wissenschaftler am MEK), Elnara Nuriieva-Letova (CrossMedia-Expertin, Crimea_VOX/CEMAAT), Dr. Mieste Hotopp-Riecke (Direktor ICATAT, Magdeburg). Foto: Mit freundlicher Genehmigung Museum Europäischer Kulturen / Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Ihsan und Dekolonisierung

Im Kontext dieser mannigfaltigen Aktivitäten auf dem Wege zu Ausstellung, mehrsprachigem Katalog und Begleitprogramm stellen die Museumsobjekte lediglich die Matrix dar, auf deren Basis ganze Fächer an Themen bearbeitet und diskutiert werden. Bereits im Zuge der Antragstellungen und Vorbereitungstreffen geht es dabei um Themen wie Dekolonisierung, hybride Kriegsführung und Dekonstruktion althergebrachter Denkmuster. 

Wenn eine deutsche Kulturstiftung eine Förderung ablehnt, weil sie nur Kunstprojekte fördert, kann gefragt werden, wer hier die Definitionshoheit hat. Die Ölgemälde, die Messing-, Gold-, Silber-, Keramik- und Holz-Objekte, die Korane und Kostüme, Stoff-, Strass- und Lederwerke spiegeln die krimtatarische Alltagskunst wider, ja.

Doch genau hier kommt der Begriff Ihsan zum Tragen: Die „Schönheit im Handeln“, die Verschönerung oder Veredelung, sei es im Handwerk, in der Kunst oder in der Ausübung von Pflichten. Im islamischen Kontext beschreibt Ihsan eine Haltung der Aufrichtigkeit und des guten Handelns, sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber Mitmenschen und dies zeigen eben auch profane Alltags-Utensilien wie filigran bearbeitete Geschirrtuchhalter oder Kopftücher (Marama) in krimtatarischer Sticktechnik aufwendig verziert: Augenschmeichelei und Schönheit als Ihsan im Alltag im Einklang von Wahrhaftigkeit im Glauben und im Handeln, auch als Mittel der Resilienz und Selbstbehauptung.

Wer also aus eurozentristischer Perspektive kategorisiert, was förderungswürdige Kunstprojekte sind und was lediglich Handwerk darstellt, ignoriert die krimtatarische Perspektive des Ihsan und setzt sich mitten hinein in einen Postkolonialismus-Diskurs, der unter russischen, ukrainischen, krimtatarischen und deutschen Intellektuellen seit einiger Zeit Raum greift.

Krimtatarische Messingschale, 19. Jahrhundert, MEK Berlin. (Foto: Mit freundlicher Genehmigung Museum Europäischer Kulturen / Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin)

Ebenfalls in den Dekolonisierungskontext gehört die Arbeit von Nara Narimanova. Die junge Krimtatarin erforscht an der Universität Ottawa Umbenennungen und ursprüngliche Toponymie der Krimtataren. Denn nach der ersten Annexion der Halbinsel 1783 sowie unter Sowjet- und Putin-Imperialismus wurden hunderte krimtatarischer Dörfer und Städte umbenannt, durch Russifizierung auch ihrer Identitätsstiftung für die Krimtataren beraubt.

Um im Dreiklang von Ausstellung, Katalog und Begleitprogramm die Perspektiven-Vielfalt einzubeziehen werden dutzende krimtatarische, türkische und ukrainische Künstler*innen und Akademiker*innen einbezogen, etwa die CrossMedia-Aktivistin Elnara Nuriieva-Letova und die Macher*innen der Ausstellung „Miras“ (Erbe) am Nationalmuseum für Geschichte der Ukraine, Dr. Oleksii Savchenko und Esma Adzhieva, Leiterin von „Alem“ (Universum), einer krimtatarischen NGO zum Schutz von Kulturgut.

Ebenfalls involviert ist Dr. Mykhaylo Yakubovych. „Koran- und Tefsir-Ausgaben von der Krim, wie die Exemplare des Museums Europäischer Kulturen eingebettet in Kunst und Alltagskultur der Krimtataren sind einzigartige Zeugnisse kulturellen Erbes des Vielvölkerstaates Ukraine. Sie im Rahmen eines Ausstellungsprojektes zugänglich zu machen und zu erforschen, ist gerade in Zeiten des Krieges, der Vertreibung und des Exils ein Zeichen der Hoffnung, des Friedens und der akademischen Solidarität“, so der ukrainische Qur’anexperte der Universität Freiburg.

So hilft ein internationales Netz von Engagierten aus Akademie, freier Kunstszene und dem MEK in Berlin, das reiche krimtatarische Kulturerbe nutzbar zu machen, digital weltweit und als Chance für professionelle Partizipation für nächste Generationen physisch vor Ort.

Noch klarer fasst es Prof. Dr. Elisabeth Tietmeyer, Direktorin des Museums, zusammen: „Wer die Krim verstehen will, muss die Geschichte der Krimtatar*innen erzählen. Ihre lange überhörte Stimme ist entscheidend – für eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte und eine Zukunft der Halbinsel in Freiheit und Demokratie.“