Der Journalist Glenn Greenwald ist neben Edward Snowden die zentrale Figur im NSA-Skandal. Im Interview in München erzählt er, warum der Schock über die Machenschaften des NSU-Geheimdienstes so wichtig ist.
München (dpa). Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald (47) hat bei seinem gemeinsamen Kampf mit Edward Snowden für den Schutz der Privatsphäre viel von seiner eigenen eingebüßt. Das sagt er am Freitag im Interview der Nachrichtenagentur dpa in München. Er spricht von «Feigheit» der Bundesrepublik und erzählt, wie es Snowden in Russland geht.
Frage: Sie sind gestern in Deutschland angekommen. Fühlen Sie sich hier sicher?
Antwort: Absolut. Deutschland ist wahrscheinlich eines der Länder, in denen ich mich am sichersten fühle. Sollte es in Deutschland Aktionen gegen Journalisten geben, die über den Schutz der Privatsphäre – der Privatsphäre von Deutschen – schreiben, dann wäre ich sehr überrascht.
Frage: Dennoch gibt es von Seiten der deutschen Politik wenig Kritik an den USA und keine Bereitschaft, Snowden hier aufzunehmen. Warum?
Antwort: Die USA sind nunmal das mächtigste Land der Welt – sowohl militärisch als auch wirtschaftlich und die Beziehung, die im Grunde jedes Land, vor allem in der westlichen Welt, mit den USA hat, ist sehr wichtig. Wer dem meistgesuchten Mann der Welt Asyl gibt, wird einen Preis dafür zahlen müssen. Ich glaube aber, dass der Preis nicht ansatzweise so hoch sein würde, wie manche denken. Die USA sind nicht mehr so mächtig wie sie mal waren und brauchen Deutschland mindestens genau so wie die Deutschland die USA braucht. Deutschland ist auch selbst sehr mächtig – auf jeden Fall wirtschaftlich. Und so ist diese Entscheidung Ausdruck extremer Feigheit. Edward Snowden ist ein riesiges Risiko eingegangen, um für die Rechte deutscher Bürger und auch deutscher Politiker einzutreten. Deutschland müsste viel weniger opfern als er, um für Snowdens Rechte einzutreten. Das ist eine Schande.
Frage: Dass heißt, Deutschland müsste sich vor Sanktionen gar nicht fürchten?
Antwort: Es wird vielleicht ein paar symbolische Aktionen geben, Handelsgespräche, die kurzzeitig ausgesetzt werden. Aber die Kosten sind nicht ansatzweise so hoch, wie die Menschen annehmen oder vorgeben anzunehmen als Entschuldigung, nichts zu tun.
Frage: Haben Sie Hoffnung, dass sich das in Zukunft ändern wird?
Antwort: Vielleicht, ja. In Brasilien gibt es inzwischen eine sehr ernsthafte Debatte darüber, ob die Regierung Snowden Asyl gewähren sollte. Ich denke, die größte Hoffnung wäre, dass Staaten zusammenarbeiten, um das zu tun und ein Land zu finden, in dem er wirklich und dauerhaft sicher ist. Ich denke, dass er dort, wo er ist, sicher ist – und ob er in ein anderes Land gehen würde, ist eine offene Frage. Aber ich denke, Länder sollten ihm wenigstens die Möglichkeit anbieten, um ein Zeichen zu setzen.
Frage: Sie haben Edward Snowden vor einigen Tagen in Moskau getroffen. Wie geht es ihm?
Antwort: Großartig. Es ging ihm die ganze Zeit gut, seit ich ihn zum ersten Mal getroffen habe. Es hat mich wahnsinnig beeindruckt, wie ruhig er war und ist. Seitdem wir seine Identität veröffentlicht haben, steht er als von der mächtigsten Regierung der Welt meistgesuchter Mann im Zentrum dieses unglaublichen Sturms – und bleibt doch völlig ruhig und ausgeglichen. Er hat nie etwas bedauert oder Zweifel an seiner Entscheidung gehabt. Menschen vergessen oft, dass nicht Reichtum oder etwas ähnliches bestimmen, ob ein Mensch wirklich glücklich ist. Edward Snowden geht jede Nacht mit der Gewissheit ins Bett, für seine Überzeugungen gekämpft zu haben. Das kann einem Menschen unglaubliche Erfüllung und Glück geben.
Frage: Gilt das auch für Sie?
Antwort: Oh, definitiv. Natürlich war das vergangene Jahr auf vielfältige Weise schwierig. Es gab unglaublich viel Stress und Anspannung, ich wurde bedroht. Aber wenn man seine Arbeit mit Leidenschaft macht und davon überzeugt ist, das Richtige zu tun, dann ist die Erfüllung und die Zufriedenheit darüber jede Drohung wert.
Frage: Also haben Sie sich nie gewünscht, Snowden hätte sich an einen anderen Journalisten gewandt?
Antwort: Nein, auf keinen Fall. Ich bin glücklich über die Wahl, die er getroffen hat.
Frage: Snowden wurde für seinen Auftritt in einer Fernsehsendung mit Wladimir Putin kritisiert. Was denken Sie darüber?
Antwort: In den USA wurde er immer wieder kritisiert, weil er angeblich Angst habe, die Überwachung russischer Geheimdienste zu thematisieren und mit zweierlei Maß messe. Dann stellt er im russischen Fernsehen Putin genau die Frage danach – und wird dann dafür kritisiert und als Werkzeug russischer Propaganda bezeichnet. Er konnte es den Kritikern so oder so nicht recht machen. Kurz nach seinem Auftritt hat er im Guardian einen sehr mutigen Text veröffentlicht, in dem er Putin der Lüge bezichtigt. Wer sich gegen die Regierung der Vereinigten Staaten auflehnt, muss damit rechnen, dass mächtige Leute alles daran setzen, den Ruf zu zerstören.
Frage: Hatten Sie jemals die Befürchtung, eine Regierung wie Russland oder China könnte Snowden unterstützen und ihn als Werkzeug benutzen?
Antwort: Wenn sich jemand, den man nicht kennt, an mich wendet, frage ich mich natürlich, welche Motivation dahinter steckt. Natürlich versuche ich, rauszufinden, ob diese Person die Wahrheit sagt. Natürlich habe ich mich gefragt, ob seine Dokumente echt sind und so weiter. Nach unseren Recherchen waren wir uns dessen sicher und heute habe ich nicht den Hauch eines Zweifels an seinen Beweggründen oder daran, dass er unabhängig von einer Regierung ist.
Frage: Planen Sie weitere Enthüllungen in näherer Zukunft?
Antwort: Definitiv! Vor wenigen Tagen haben wir ja den Artikel darüber veröffentlicht, dass die USA jedes einzelne Telefongespräch von jedem einzelnen Handy auf den Bahamas aufzeichnen. Und es gibt noch viel, worüber berichtet werden muss. Darunter sind Stories, von denen ich glaube, dass sie zu den bedeutendsten gehören, wenn es darum geht, wie der Fall Snowden in fünf oder zehn Jahren bewertet wird.
Frage: Nach allem, was Sie bislang schon erfahren haben – kann Sie da noch etwas schocken? Oder sind Sie auf alles vorbereitet?
Antwort: Ich habe inzwischen alle Dokumente wenigstens einmal durchgearbeitet und weiß, was noch in den Archiven schlummert. Aber auch nach Monaten finde ich das immer noch völlig schockierend. Das Verhalten ist so extrem, so gefährlich und steht in so krassem Widerspruch zu allem, was die US-Regierung nach außen propagiert, dass ich immer wieder geschockt bin. Und es ist auch wichtig, dass dieser Schock bleibt, dass die Situation nicht normalisiert wird. Darauf setzt diese Art von Regierung. Man muss sich doch nur anschauen, welche Debatten nach dem 11. September über radikale, extreme Einschnitte geführt wurden und darüber, was unsere Regierung tun soll und was nicht. Alles, worüber damals empört debattiert wurde, ist heute normal geworden. Das ist unglaublich gefährlich.
Frage: Ihr neues Buch hat den englischen Titel «No Place to Hide» – Kein Platz zum Verstecken. Haben Sie irgendwo noch einen solchen Platz? Oder ist das der Preis, den Sie zahlen mussten?
Antwort: Die Ironie an der Sache ist, dass ich im Kampf für die Privatsphäre von meiner eigenen sehr viel aufgegeben habe. Was ich an meinem Leben in Brasilien so geliebt habe ist, dass ich dort, wenn ich den Computer ausgeschaltet habe, komplett anonym sein konnte. Heute wird mein Partner am Flughafen Heathrow festgehalten und E-Mail-Konten werden ausgespäht. Die Gewissheit, dass wirklich jemand in unsere Privatsphäre eingebrochen ist, ist wirklich verstörend – auch wenn man immer irgendwie davon ausgeht. Wenn es dann konkret ist, ist die Sache nochmal eine andere.
ZUR PERSON: Glenn Greenwald (47) ist einer der wichtigsten Journalisten hinter den NSA-Enthüllungen. Der Informant Edward Snowden vertraute ihm und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras sein Archiv geheimer NSA-Dokumente an. Greenwald arbeitet inzwischen für die Enthüllungsplattform «The Intercept».