
Genf (dpa/iz). Weltweit gibt es so viele Flüchtlinge und Vertriebene wie nie zuvor in der fast 70-jährigen Geschichte des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). Ende vergangenen Jahres lebten 70,8 Millionen Menschen fern ihrer Heimat, die vor Gewalt, Konflikten, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen geflohen waren, wie die Organisation am Mittwoch in Genf berichtete. Ein Jahr zuvor hatte das UNHCR die Gesamtzahl noch auf 68,5 Millionen Menschen geschätzt.
Großes Lob spendete der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, der Bundesrepublik: „Deutschland ist ein Modell, das andere Länder kopieren sollten“, sagte er. „Das Land hat Geld in die Integration gesteckt, und es widerlegt, dass diese Krise nicht zu managen ist.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel habe zwar vielleicht einen hohen Preis für ihre Politik gezahlt, meinte Grandi. „Aber die Geschichte wird darüber urteilen, und ihre Politik wird als positiv in die Geschichte eingehen.“
Neben den Flüchtlingen gibt es weltweit Migranten, die bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im Ausland suchen. Ihre Zahl schätzte das UN-Büro für Migration (IOM) 2017 auf 258 Millionen weltweit.
Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge war im vergangenen Jahr eigenen Land vertrieben. Fast 30 Millionen waren über Grenzen geflohen, und vier von fünf kamen in Nachbarländern unter, nicht in Europa oder den USA, wie Grandi betonte. Die größte Bürde trügen nicht die westlichen Länder, in denen viele Politiker heute von einer Krise sprächen, die nicht mehr zu bewältigen sei. Reiche Länder haben nach UNHCR-Angaben zusammen 16 Prozent der Flüchtlinge aufgenommen. Ein Drittel der Flüchtlinge weltweit habe Zuflucht in den ärmsten Ländern gefunden.
Grandi kritisierte eine „Krise der Solidarität“. Die Welt sei zunehmend polarisiert: „Der Weltsicherheitsrat kann nicht einmal mehr gemeinsame Positionen finden, wenn es um humanitäre Fragen geht.“
Unter den fünf Ländern mit den meisten Flüchtlingen ist Deutschland nach der UNHCR-Statistik das einzige westliche Land. In Deutschland waren Ende vergangenen Jahres demnach 1,1 Millionen anerkannte Flüchtlinge sowie rund 370 000 Asylsuchende, über deren Fälle noch nicht entschieden war. Mehr Flüchtlinge gab es nur in der Türkei (3,7 Millionen) sowie in Pakistan, Uganda und dem Sudan.
Die Zahl der neuen Asylanträge von Venezolanern ist nach UNHCR-Angaben auf 350 000 explodiert. Das sind mehr als drei mal so viele wie im Jahr davor. Venezolaner machten damit ein Fünftel aller neuen Anträge weltweit aus, und sie waren mit Abstand die größte Asylsuchergruppe, gefolgt von Afghanen und Syrern.
Weltweit die meisten neuen Asylanträge wurden wie im Jahr davor in den USA gestellt, gut 250 000. Auf dem zweiten Platz stand Peru wegen des Andrangs von Venezolanern, gefolgt von Deutschland, so das UNHCR. Hier kamen die meisten neuen Anträge von Syrern, Irakern und Iranern.
Der UN-Flüchtlingsbericht in Zahlen & Fakten.
Mehr als 70 Millionen Menschen waren 2018 vor Gewalt, Konflikten und Verfolgung auf der Flucht. Unter dem Begriff „Durch Gewalt Vertriebene“ listet das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) drei Kategorien auf: erstens im eigenen Land Vertriebene, zweitens Flüchtlinge, deren Schutzbedürftigkeit anerkannt ist und drittens Asylsuchende, über deren Status noch nicht entschieden ist. Einige Kennzahlen aus dem UN-Weltflüchtlingsbericht:
Durch Gewalt Vertriebene
Insgesamt gab es 70,8 Millionen durch Gewalt Vertriebene. Im Jahr davor waren es 68,5 Millionen, 2009 nur 43,3 Millionen Menschen. Unter den 70,8 Millionen waren 41,3 Millionen im eigenen Land vertrieben, 25,9 Millionen Flüchtlinge und 3,5 Millionen Asylsuchende.
2018 mussten 13,6 Millionen Menschen neu vor Konflikten und Verfolgung fliehen. Die Diskrepanz zwischen der Gesamtzahl 2017 und 2018 ist kleiner, weil Menschen oft mehrmals im Jahr fliehen müssen und gezählt werden. Die meisten der neu Vertriebenen waren Äthiopier, insgesamt fast 1,6 Millionen, die fast alle im eigenen Land blieben. Die zweithöchste Zahl waren Syrer mit fast 890 000. 2,8 Millionen der 13,6 Millionen neu Vertriebenen suchten im Ausland Schutz.
Rückkehrer
2,9 Millionen Vertriebene kehrten im vergangenen Jahr in ihre Heimat zurück, darunter 600 000 aus dem Ausland.
Größte Flüchtlingszahl nach Nationalität
Zweidrittel der Flüchtlinge weltweit kommen aus fünf Ländern: mit Abstand vorn liegt Syrien (6,7 Millionen), gefolgt von Afghanistan (2,7 Millionen), Südsudan (2,3 Millionen), Myanmar (1,1 Millionen) und Somalia (900 000).
Länder mit den meisten Flüchtlingen
Die Türkei führt die Liste an, mit 3,7 Millionen Menschen, gefolgt von Pakistan mit 1,4 Millionen, Uganda mit 1,2 Millionen und Sudan und Deutschland mit je 1,1 Millionen.
Größte Zahl von intern Vertriebenen
Unter den insgesamt 41,3 Millionen im eigenen Land Vertriebenen war die größte Gruppe wie seit einigen Jahren schon in Kolumbien: 7,8 Millionen Menschen, gefolgt von Syrien mit 6,2 Millionen.
Länder mit den meisten Asylsuchenden
Die USA hatten mit rund 254 000 die höchste Zahl von Asylanträgen. An zweiter Stelle stand Peru mit 193 000 Anträgen, überwiegend von Venezolanern, vor Deutschland mit 161 900 Anträgen. Deutsche Behörden erhielten nach UNHCR-Angaben 2016 noch 722 400 Asylanträge, 2017 waren es 198 300.
Asylsuchende nach Nationalität
Die mit Abstand größte Zahl der Asylsuchenden kam aus Venezuela: Mit insgesamt gut 342 000 stellten Venezolaner jeden fünften Asylantrag weltweit. An zweiter Stelle lagen Afghanen mit rund 107 000 und Syrer mit gut 106 000.
Kinder und Jugendliche
Es gab 2018 rund 111 000 minderjährige, von ihren Eltern getrennte Flüchtlinge. 27 600 Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern oder Angehörige unterwegs waren, stellten neu Asylanträge. Die meisten neuen Anträge wurden erneut in Deutschland gestellt: 4100. Her waren es im Jahr 2016 nach diesen Angaben 35 900 und 2017 insgesamt 9100.