
Srebrenica : Das schlimmste Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ereignete sich im Juli vor 28 Jahren. Vom 11.-19.07.1995 ermordeten bosnisch-serbische Streitkräfte 7.000 bis 8.000 muslimische Männer und Jungen in der Stadt Srebrenica. Von Tom Mockaitis
(The Conversation). Das Massaker von Srebrenica ereignete sich zwei Jahre, nachdem die Vereinten Nationen den Ort zu einer „Schutzzone“ für Zivilisten erklärten. Diese flohen vor Kämpfen zwischen bosnischen Regierungseinheiten und serbischen Separatisten. Als Folge wurde die Stadt zur Heimat von 20.000 Flüchtlingen und 37.000 ursprünglichen Einwohnern.
Beschützt wurden sie von weniger als 500 leichtbewaffneten Soldaten der internationalen Blauhelme. Nachdem serbische Kräfte die UN-Einheiten überwältigten, führten sie das durch, was später als gründlich geplante Aktionen des Völkermords nachgewiesen wurden.
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Srebrenica: Schlimmstes Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg
Bosnisch-serbische Soldaten und Polizisten trieben Männer und Jungen im Alter von 16 bis 60 Jahren zusammen – fast alle Zivilisten. Und transportierten sie mit Lkws zu Tötungsplätzen, wo sie erschossen und in Massengräbern verscharrt wurden.
Die serbischen Streitkräfte deportierten etwa 20.000 Frauen und Kinder mit Bussen in die Sicherheit der von Muslimen gehaltenen Gebiete – allerdings erst, nachdem sie viele von ihnen vergewaltigt hatten. Die Gräueltaten waren so abscheulich, dass sich sogar die zögernden Vereinigten Staaten gezwungen sahen, direkt in den Bosnienkrieg einzugreifen – und ihn letztendlich beendeten.
Srebrenica ist ein warnendes Beispiel dafür, zu welchen Folgen extremistischer Nationalismus führen kann. Für das Erstarken fremdenfeindlicher nationalistischer Parteien und ethnischer Konflikte in aller Welt könnten die bosnischen Lektionen nicht zeitgemäßer sein.
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Die Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden
Der Bosnienkrieg war komplex. Auf der einen Seite standen bosnische Muslime und katholisch-bosnische Kroaten, die beide für die Unabhängigkeit von Jugoslawien gestimmt hatten. Sie wurden von den Serben angegriffen, die sich abgespalten hatten, um ihre eigene Republik zu gründen, und die versuchten, alle anderen aus ihrem neuen Gebiet zu vertreiben.
Eine Straße in einer Stadt, die ich 1996 im Rahmen meiner Studie über den Bosnienkonflikt besuchte, ist das Sinnbild für das Blutbad, das sich dort abspielte. In Bosanska Krupa sah ich auf einem schmalen Weg eine katholische Kirche, eine orthodoxe und eine Moschee, die alle durch den Krieg in Trümmern lagen. Man hatte es nicht nur auf die ethnischen Gruppen abgesehen, sondern auch auf die Symbole ihrer Identitäten.
Es dauerte über zwei Jahrzehnte, bis die Verantwortlichen für die Gräueltaten vor Gericht gestellt wurden. Letztendlich verurteilte der Internationale Strafgerichtshof für Jugoslawien (ein UN-Gericht, das von 1993 bis 2017 tätig war) 62 bosnische Serben wegen Kriegsverbrechen; darunter mehrere hochrangige Offiziere.
Es befand den Befehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, General Ratko Mladić, des „Völkermords und der Verfolgung, der Ausrottung, des Mordes und des unmenschlichen Akts der Zwangsumsiedlung im Gebiet von Srebrenica“ für schuldig. Und es verurteilte den bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić wegen Völkermords.
Das Gericht klagte den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosević wegen seiner Rolle bei der Unterstützung ethnischer Säuberungen für „Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwerer Verstöße gegen die Genfer Konvention und Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges“ an. Allerdings starb er während des Verfahrens.
Auch wenn viele andere Beteiligte nie vor Gericht gestellt wurden, zeigen die Anklagen nach Srebrenica, warum die Täter von Kriegsgräueln zur Rechenschaft gezogen werden müssen; egal wie lange es dauert. Strafrechtliche Verurteilungen bieten den Familien der Opfer einen gewissen Abschluss.
Sie erinnern die Schuldigen, dass sie nie vor der Justiz sicher sein können. Das unterstreicht auch, dass schuldige Personen nach einem Krieg verantwortlich gemacht werden – nicht ganze Bevölkerungsgruppen. Die Morde wurden von der bosnisch-serbischen Armee und serbischen Paramilitärs unter Führung von Männern wie Mladić begangen.
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Die Leugnung von Völkermord ist gefährlich
Trotz der bahnbrechenden internationalen Verurteilungen und der sorgfältigen Dokumentation der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Bosnien begangen wurden, meinen viele in Serbien weiterhin, der Völkermord habe nie stattgefunden.
Mit ähnlichen Argumenten wie die Leugner des Holocausts und andere Genozide behaupten serbische Nationalisten: Die Zahl der Toten sei übertrieben. Die Opfer seien Kämpfer gewesen. Oder Srebrenica sei nur eine von vielen Gräueltaten, die von allen Konfliktparteien begangen worden seien.
Die Beweislage aus Bosnien zeigt eindeutig, dass serbische Kräfte weit mehr Zivilisten ermordeten als alle anderen Gruppen zusammen. Muslime stellten zum damaligen Zeitpunkt rund 44 Prozent der Bevölkerung, aber 80 Prozent aller Toten. Vor dem Den Haager Tribunal wurden nur fünf bosnische Muslime für Kriegsverbrechen verurteilt.
Im Jahr 2013 entschuldigte sich der serbische Präsident für das „Verbrechen“ von Srebrenica. Er weigerte sich jedoch, anzuerkennen, dass es Teil einer Völkermordkampagne gegen die bosnischen Muslime war.
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Teilnahmslosigkeit ist Komplizenschaft
Srebrenica ist eine eindrückliche Warnung, dass jeder Versuch, Menschen in „sie“ und „wir“ einzuteilen, Anlass zu ernster Sorge gibt – und möglicherweise zu internationalem Handeln. Die Forschung zeigt, dass Genozid mit der Stigmatisierung anderer beginnt und, wenn er unkontrolliert bleibt, über die Entmenschlichung bis hin zur Ausrottung führen kann.
Srebrenica war der Höhepunkt einer jahrelangen Völkermordkampagne an den bosnischen Muslimen. 1994, über ein Jahr vor dem Massaker, berichtete das US-Außenministerium, dass serbische Streitkräfte Gebiete „ethnisch säubern“, Mord und Vergewaltigung als Kriegsmittel einsetzen und Dörfer zerstören.
Doch die Clinton-Regierung, die erst einen demütigenden Misserfolg bei der Beendigung eines Bürgerkriegs in Somalia erlitten hatte, wollte sich nicht einmischen. Und die Vereinten Nationen weigerten sich, energischere Maßnahmen zu genehmigen, um die serbische Aggression zu stoppen.
Sie glaubten, aus politischen Gründen neutral bleiben zu müssen. Es bedurfte erst des Gemetzels in Srebrenica, um diese internationalen Mächte zu einer Intervention zu bewegen.
Ein früheres Eingreifen hätte Leben retten können. In einem Buch aus dem Jahr 1999 habe ich argumentiert, dass nur eine schwer bewaffnete Truppe mit einem klaren Mandat zur Beendigung der Aggression einen Bürgerkrieg beenden kann. Die USA und die UNO hätten diese Truppe stellen können, aber sie zögerten.
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Massaker halten an
Die Erinnerung an vergangene Genozide wie Srebrenica verhindert keine zukünftigen. In den Jahren seit 1995 wurden ausgegrenzte Gruppen brutal verfolgt. Dazu gehören jene im Sudan, in Syrien und Myanmar. Heute werden die Uiguren – eine muslimische Minderheit in China – zusammengetrieben, in chinesische Konzentrationslager getrieben und zwangsweise sterilisiert.
Nichtsdestotrotz ist die Erinnerung an vergangene Gräueltaten von entscheidender Bedeutung. Sie ermöglicht es den Menschen, innezuhalten und nachzudenken, die Toten zu ehren, zu feiern, was die Menschheit eint, und gemeinsam an der Überwindung ihrer Unterschiede zu arbeiten. Das Angedenken bewahrt auch die Integrität der Vergangenheit gegenüber denjenigen, die die Geschichte für ihre eigenen Zwecke umschreiben wollen.
In diesem Sinne kann das Gedenken an Srebrenica in gewissem Maße dazu beitragen, dass wir bereit sind, uns dem Übel des Massenmords in Zukunft zu widersetzen.
* Veröffentlicht im Rahmen einer Creative Commons-Lizenz.