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Sudan: Machtkämpfe mit grausamen Folgen für die Zivilbevölkerung

Sudan Afrika
Foto: beast01, Shutterstock

Die wenigen Informationen, die aus der Stadt El Faschir im Sudan nach außen dringen, sind äußerst besorgniserregend. Dort haben RSF-Einheiten die Macht übernommen. Droht dem Land der Zerfall?

Khartum/Bonn (KNA/iz). Die größte humanitäre Katastrophe der Welt spielt sich im Sudan ab – und sie droht, sich weiter zuzuspitzen. „Es ist katastrophal. Die Menschen werden abgeschlachtet“, sagt Marina Peter, Landesexpertin und Vorsitzende des Sudan- und Südsudan-Forums in Deutschland, im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur. Von Katrin Gänsler (mit zus. IZ-Material)

Sudan – bereits vorher die größte humanitäre Katastrophe der Welt

Schon jetzt sind nach Angaben der UNO rund zwölf Mio. Menschen auf der Flucht. Zehntausende starben seit Kriegsbeginn im April 2023. Über 30 sind auf humanitäre Hilfe angewiesen; vielerorts ist die Gesundheitsversorgung komplett zusammengebrochen; rund 14 Mio. Mädchen und Jungen gehen nicht mehr in die Schule.

Nun haben die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) die Stadt El Faschir, symbolträchtige Hauptstadt von Darfur im Westen des Landes, eingenommen. Am Sonntag wurden kurze Videos gepostet, die jubelnde RSF-Anhänger zeigen sollen. Die Miliz liefert sich seit zweieinhalb Jahren erbitterte Kämpfe mit den sudanesischen Streitkräften (SAF). Keine der beiden Kriegsparteien ist legitimiert.

Unzählige sitzen in El Faschir fest – apokalyptische Nachrichten von sudanesischen Quellen

UN-Angaben zufolge sitzen in El Faschir weiterhin rund 260.000 Zivilisten fest. Laut dem Welternährungsprogramm WFP sind sie seit 16 Monaten von Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung abgeschnitten.

Bereits am Montag warnte das IKRK auf X vor den Folgen der fortgesetzten Schutzlosigkeit von hunderttausenden Menschen, die in der lange umkämpften Stadt festsitzen. Man habe seit Beginn des Krieges, so seine Präsidentin Spoljaric, beobachten können, das bei jeder Eroberung eines Ortes Gewalt gegen die Bevölkerung ausgeübt worden sei.

Sie rufe alle Parteien dazu auf, ihre Verpflichtungen unter dem Völkerrecht einzuhalten. Zivilisten müssten geschützt werden – egal, ob sie bleiben oder fliehen. Sie müssen Zugang zu lebensrettender Hilfe und humanitären Organisationen bekommen.

Am Nachmittag des 28. Oktobers teilte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit, Fliehende seien Erpressung, Raub, willkürlicher Haft und Schikanen ausgesetzt. Frauen und Mädchen erlitten sexuelle Gewalt durch Milizionäre. Es gebe Nachrichten von Exekutionen in El Faschir. „Wir wissen nicht, was passiert“, sagt auch Peter. Es drohten Verhältnisse wie in Somalia.

Während Vertreter von NGOs und internationalen Hilfsorganisationen noch an die RSF appellieren, scheint ein groß angelegtes Massaker nicht unwahrscheinlicher zu werden. Nach Ansicht von Aktivisten und OSINT-Quellen lasse sich an Satellitenbildern erkennen, dass marodierende Einheiten von Haus zu Haus zögen, und dabei die in der Falle sitzenden Zivilisten massakrierten.

Das El Fasher Resistance Committee ist eine zivilgesellschaftliche Aktivistengruppe in der Hauptstadt des sudanesischen Bundesstaates Nord-Darfur, die sich aus lokalen Bürgern zusammensetzt und im Kontext des aktuellen Bürgerkriegs eine koordinierende, dokumentierende und humanitäre Rolle übernommen hat.

Gestern verbreiteten sie eine Meldung auf X, wonach Patienten und Verwundete im Saudischen Krankenhaus der Stadt aussortiert und ermordet worden seien. Verletzte hätten keinerlei Chance mehr auf Überleben, da sie keine Hilfe und Versorgung bekommen könnten.

Jemen Hochzeit Schüsse

Foto: Freepik.com

Wer liefert eigentlich die Waffen für den Krieg?

Zu den wichtigsten Fragen im Verständnis eines bewaffneten Konflikts gehört die nach den Quellen von Waffen, Ausrüstungen, Trucks etc. Am Sonntag ließ ein Bericht der kanadischen Tageszeitung „The Globe and The Mail“ aufhorchen. Demnach würden RSF-Einheiten Fahrzeuge eines kanadischen Unternehmens einsetzen.

Die sudanesische Regierungsarmee (SAF) und die Rapid Support Forces (RSF) werden jeweils von unterschiedlichen internationalen Akteuren unterstützt. Die RSF erhält ihre entscheidende militärische Unterstützung aus den VAE, die Waffen, Drohnen und gepanzerte Fahrzeuge ins Land liefern.

Viele dieser Rüstungsgüter stammen ursprünglich von chinesischen Herstellern und gelangen vermutlich über die VAE an die RSF. Auch Schmuggelrouten über Libyen und Tschad spielen für den Waffen- und Nachschubverkehr der RSF eine Rolle. Zur Finanzierung nutzt die RSF ein Netzwerk von Firmen in den Emiraten und profitiert maßgeblich vom sudanesischen Goldexport.​

Die sudanesische Armee (SAF) wird vor allem von Ägypten militärisch unterstützt – durch direkte Waffenlieferungen und logistische Hilfe. Hinzu kommen Russland, Iran, die Türkei und in begrenztem Maße Saudi-Arabien, die Waffen, Drohnen und militärtechnisches Gerät beistellen. 

Russische Waffenlieferungen laufen teils über frühere Wagner-Strukturen; zudem baut Russland gerade einen Stützpunkt am Roten Meer aus.

Deutsche Waffen sind im Sudan vorrangig in Form von Altbeständen präsent, vor allem das Sturmgewehr G3 von Heckler & Koch, das ursprünglich direkt an die sudanesischen Streitkräfte geliefert wurde und dort bis heute im Einsatz ist. Diese Gewehre gelangen inzwischen oft über Drittländer wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate auch in die Hände der Rapid Support Forces (RSF). 

Es gibt darüber hinaus Hinweise, dass sogar moderne G36-Gewehre, einst Standard der Bundeswehr, im Sudan aufgetaucht sind – dokumentiert durch Bildmaterial, das sudanesische Befehlshaber mit diesen Waffen zeigt. Neue offizielle Lieferungen direkt aus Deutschland an das Land sind in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht erfolgt. Doch der deutsche Rüstungssektor beliefert weiterhin Golfstaaten, die eine wichtige Rolle als Waffenweiterleiter im aktuellen Bürgerkrieg spielen.

Die Endverbleibsregelungen, die den Verbleib von Rüstungsgütern eigentlich absichern sollen, werden dadurch faktisch umgangen und machen deutsche Technik in der Region weiterhin sichtbar.

Für Massaker an der Zivilbevölkerung werden erfahrungsgemäß meist keine hochkomplexen Waffensysteme benötigt. Historische und aktuelle Konflikte zeigen, dass einfache Handfeuerwaffen, Macheten oder leicht verfügbare Munition und Fahrzeuge für systematische Gewalt gegen Zivilisten ausreichen.

Insbesondere in Bürgerkriegen und Gewaltsituationen wie im Sudan kommen häufig Sturmgewehre älterer Bauart, leichte Maschinenwaffen, Granaten und improvisierte Sprengsätze zum Einsatz. Die größte Gefahr für zivile Opfer geht zumeist von der gezielten, koordinierten Gewaltanwendung durch bewaffnete Gruppen mit grundlegender Ausrüstung aus, nicht von High-Tech-Waffen.

Foto: Agence France-Presse, via Wikimedia Commons | Lizenz: Universal Public Domain

Die Wurzeln des Krieges

Die Wurzeln des Krieges gehen zurück bis in die Kolonialzeit. Grenzen wurden willkürlich gezogen. Mit Khartum entstand ein starkes Zentrum; bestimmte Eliten wurden gefördert. Doch drumherum: viel Armut und mangelnde Bildung.

Auch komme, so Peter, die Frage nach der Identität hinzu. „Der Sudan wurde als ‘arabisches Land’ angesehen. Dabei gibt es auch schwarz-afrikanische Bevölkerung im Land.“ Bereits 2011 wurde der Südsudan unabhängig; das führte auf keiner Seite der Grenze zu Entspannung, im Gegenteil.

Einen kurzen Hoffnungsschimmer gab es im Jahr 2019, als Langzeitherrscher Omar al-Baschir nach Massenprotesten zum Rücktritt gezwungen wurde. Während der Übergangszeit unter Abdala Hamdok als Ministerpräsident putschte 2021 General Abdel Fattah al-Burhan, damals noch gemeinsam mit dem RSF-Kommandeur Mohamed Hamdan Daglo, „Hemeti“ genannt. Doch interne Machtkämpfe eskalierten und führten in den aktuellen Krieg.

Vieles dreht sich um Rohstoffe

Der rohstoffreiche Sudan (Bevölkerung 50 Millionen) – Gold ist für beide Kriegsparteien entscheidend – ist längst zum Spielball ausländischer Mächte geworden. Söldner aus zahlreichen Staaten sind vor Ort.

Zentral sind die Vereinigten Arabischen Emirate, die als Hauptunterstützer der RSF gelten. Das Land baut seinen Einfluss in der Region strategisch aus und argumentiert, man wolle eine islamistische Regierung verhindern. Tatsächlich sind sie an Rohstoffen und fruchtbarem Ackerland interessiert.

Während die Welt auf El Faschir schaut, war es in den Nuba-Bergen an der Grenze zum Südsudan zwischenzeitlich einigermaßen ruhig. Doch auch dort sind die Auswirkungen des Krieges spürbar.

Zum einen hätten Drohnenangriffe im Oktober zugenommen: „Sie sind lautlos. Das ist für die Zivilbevölkerung besonders gefährlich“, sagt Bernd Göken, Geschäftsführer der Organisation Cap Anamur mit Sitz in Köln. Seit mehr als 25 Jahren betreibt sie ein Krankenhaus in den Nuba-Bergen.

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Es fliehen noch mehr Sudanesen

Zum anderen beobachtete das Krankenhauspersonal einen starken Zustrom von Binnenflüchtlingen in der Region. Fast eine Million Binnenflüchtlinge sollen es seit Kriegsbeginn sein.

„Die Folgen sind extrem“, sagt Göken – Hunger, unterernährte Kinder, der Ausbruch von Cholera. Schwierig mache es auch die schlechte Informationslage. „Man hört immer nur ein bisschen. Doch das lässt Schlimmes erahnen.“

Marina Peter hat dennoch Hoffnung, dass es Frieden geben kann. Sie setzt auf die Zivilbevölkerung. „Es gibt sehr viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die engagiert sind.“

Zuletzt erhielten die Aktivisten der Sudan Emergency Response Rooms den alternativen Nobelpreis. Nach Einschätzung Peters braucht es eine sudanesische Lösung. „Die Menschen wollen diesen Krieg nicht und unterstützen ihn auch nicht.“

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