Sumaya Mohammed Wegenstein sprach mit der US-amerikanischen Filmemacherin Susan Youssef

Susan Youssef, eine Filmemacherin mit libanesisch-syrischen Wurzeln, geboren in Brooklyn, hat ihren eigenen Weg eingeschlagen, anfänglich gegen die traditionell ausgerichtete Weltsicht ihrer Familie. Ein Weg, den sie selbst als „wach und befreit“ beschreibt. Ihr erster Film, „Habibi“ hat – neben anderen Auszeichnungen – den Preis für den Besten Arabischen Feature Film am 8. Internationalen Film Festival in Dubai gewonnen.

Susan ordnet ihr Oeuvre einerseits als „semiautobiographisch“ ein, fühlt sich aber inhaltlich von großen Werken wie „Laila und Majnoun“ oder Wagners „Ringparabel“ inspiriert und zeigt auch – offensichtliche – Anlehnung an Richard Linklaters Produktionen. Für ihren nächsten Film „Marjoun and the Flying Headscarf“ hat sie ein Crowdfunding lanciert, das Ende dieses Monats ausläuft.

Islamische Zeitung: Das Thema Liebe innerhalb vertrackter gesellschaftlicher oder politischer Umstände ist Subjekt Ihres letzten Films „Habibi“. Empfinden Sie, dass innerhalb der muslimischen Gemeinschaften der Gegenwart alles, was mit dem Begriff Liebe zu tun hat, vergleichsweise eher bewahrt und gefördert oder eher behindert und zerstört wird?

Susan Youssef: Es ist interessant, die öffentliche Wahrnehmung bezüglich der Einschätzung von Liebe in muslimischen Gemeinschaften mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Wir haben „Habibi“, die Geschichte einer verbotenen Liebe in Gaza City, ohne jegliche Proteste oder negative Folgen drehen können. Es hat zwei Jahre gedauert, eine Örtlichkeit zu finden, in der der Film gezeigt werden konnte; aus Gründen, die mit der Besetzung zu tun hatten. Als wir ihn dann vorführten, sah das Publikum darin ausnahmslos das Bestreben zweier Liebender, zusammenzukommen.

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Fürs Kino gilt: Menschen lieben die Liebe in allen Gesellschaften gleichermaßen. Viele Familien der muslimischen Bevölkerung in Gaza beispielsweise haben im familiären Bereich die Sorge, ihre Kinder sicher zu verheiraten, sie vor Fehltritten zu bewahren. Gleichzeitig aber hat sich jeder der Zuschauer auf persönlicher Ebene mit dem Kampf dieser beider Liebenden identifiziert, die sich den Wünschen und Vorstellungen ihrer Familien widersetzen und sogar Dinge tun, die als Fehler eingestuft werden.

Islamische Zeitung: Der politische Aspekt war Ihnen auch ein wichtiger. Beim Crowdfunding für Ihren letzten Film haben manche Produzenten oder auch mögliche Geldgeber „zu wenig Erotik und zu viel Politik“ beanstandet. Wie möchten Sie Ihren kommenden Film in dieser Hinsicht gestalten?

Susan Youssef: „Marjoun“ spielt in den USA und handelt von einer Teenagerin, die fast unter dem Druck, eine bestimmte Art von junger Frau zu werden, zugrunde geht. Allerdings denke ich nicht, dass ich genanntes Thema weiter ausreize, als in „Habibi“. Es ist nicht meine Absicht, den weiblichen Körper als Objekt oder gar Fetisch darzustellen. Auch fühle ich mich nicht bemüßigt, zerstörerische oder negative Vorstellungen zu bedienen. Was immer an Intimität oder Sexualität im Film gezeigt wird, hat mit der Sehnsucht der Darstellerin nach Verwirklichung ihres „höheren Selbst“ zu tun, allem dem zum Trotz, was die amerikanische Gesellschaft jungen Mädchen antun kann.

ls ich ein junges Mädchen war, sind mir Dinge widerfahren, über die ich damals nicht sprechen konnte. „Marjoun“ soll den jungen Frauen das Gefühl eines „sicheren Ortes“ vermitteln, an dem oder durch den sie gewisse Dinge ansprechen und aufarbeiten können. Ich werde also mein Bestes tun, um authentische Bilder und Sprache zu liefern und das heißt, herausfordernde Themen werden wohl berührt.

Politisch will der Film den Hintergrund des amerikanischen Rechtssystems hinterfragen, welches arabische und muslimische Amerikaner zu Sündenböcken macht, aber es wird hier durch die Erfahrungsbrille einer jungen Frau gesehen, die darin lebt.

Islamische Zeitung: Ist Ihr Anliegen – vor allem im neuen Film – das der Darstellung der Befreiung einer oder „der“ westlichen, als Muslimin geborenen, Frau? Und wenn ja, inwiefern erfährt diese Gewalt und welches Ziel strebt die Befreiung an?

Susan Youssef: Wenn ich über Befreiung spreche, meine ich: die Freiheit, zu sein wer immer man sein will im Westen, Osten und ganz für sich selbst. In diesem Film sieht sich die junge Frau einerseits mit den Anforderungen des „amerikanischen Teenager-Daseins“ konfrontiert, aber auch mit dem Druck, den die eigene Familie auf sie ausübt, eine Tochter nach deren Vorstellung zu sein. Ich bete dafür, dass alle unsere Mädchen die „bestmögliche Version“ von sich selbst werden mögen. Dass sie sich das Ziel der Bildung, der Mutterschaft, setzen, oder was immer es ist, was sich für sie stimmig und echt anfühlt.

Als ich mich dem Filmemachen zuwenden wollte, hatte ich ein großes Problem mit meinen Eltern. Die wollten, dass ich bald heirate. Sie liebten mich, aber konnten sich nicht vorstellen, dass Hollywood ein Ort für mich wäre. Zehn Jahre später haben sie sich dazu durchgerungen, mich großartig zu unterstützen, aber das war ein langer Kampf. Auf gewisse Weise hatten sie recht: Wie passt eine Frau wie ich zum kommerziellen Kino? Aber in meinem Herzen wusste ich, dass ich dazu imstande bin, mir diesen Platz zu schaffen.

Wenn ich also über „Befreiung“ spreche, meine ich Geschichten, wie die meinige. Ich möchte, dass Frauen für sich selbst herausfinden können, wer sie sind und darauf zusteuern. Meine Überzeugung ist, dass wir eine höhere Berufung im Leben haben und dass wir Gott unseren besten Möglichkeiten gemäß dienen sollen.

Und eigentlich kommt das „Befreiungsthema“ insofern als Überraschungspaket daher, als ich meine Zuschauer dazu anspornen möchte, ihre eigene zu realisieren. Aber ich verspreche, dass ich in keiner Weise Anbiederung an westliche Vorstellungen von „Befreiung“ anstrebe. Es geht um eine tief persönliche Sache.

Islamische Zeitung: In Ihrem letzten Film fiel die Feststellung: „This religion (Islam) is about love“. Glauben Sie, dass Liebe, als eine/die tiefste und stärkste spirituelle Kraft zentraler Bestandteil der Genesung unserer gegenwärtigen persönlichen, gesellschaftspolitischen sowie auch religiösen Angelegenheiten sein muss?

Susan Youssef: Ich bin tief geprägt durch den Sufismus und den Anspruch, über die Liebe eine möglichst dauerhafte Verbindung mit dem Göttlichen anzustreben. In „Habibi“ arbeite ich mit der Majnoun-Laila-Parabel als Metapher für die verzweifelte Suche der beiden Darsteller Qais und Layla, in einer hoffnungslosen Situation Lebensinhalt und Hoffnung durch ihre Liebe zu finden.

Verbindungsglieder zum Glauben durchziehen den gesamten Film; überdies hoffte ich, dass die Romanze, die schon Shakespeares „Romeo und Julia“ inspiriert hat, die Menschen in Gaza auf sehr grundlegende Art und Weise auf ihr Menschsein hinweist.

In „Marjoun“ wird die Suche nach dem Göttlichen direkter thematisiert, da unsere Teenagerin immer wieder über ihren Glauben reflektiert; nichtsdestotrotz ist die Metapher immer noch präsent. Das Thema Liebe kann dabei helfen, arabische und muslimische Menschen im Westen „normalisierend“ einzuordnen. Gerade jetzt, in Zeiten der Furcht betreffs der Flüchtlingskrise, ist dies besonders wichtig.

Islamische Zeitung: Was möchten Sie möglichen Sponsoren für Ihr Projekt sagen?

Susan Youssef: Ich gehöre zur ersten Generation arabisch-amerikanischer Filmemacher. Das heißt, dass diese Arbeit Pionierarbeit und somit schwierig umzusetzen ist. Es gibt eine gewisse Faszination für unsere Arbeit, aber sie wird als publikumsschwach eingestuft, was heißt, dass sie schwer zu finanzieren ist.

Gleichzeitig habe ich in meinem letzten Feature „Habibi“ gezeigt, dass solche Filme der Möglichkeit längerfristig positiver Veränderungen, sowohl in der Medienkultur als auch hinsichtlich des gesellschaftlichen Diskurses, die Tür öffnen.

„Habibi“ ist weltweit Teil von Facharbeiten an Universitäten: Von Harvard bis zur Universität in Sydney. „Habibi“ war die erste Dreharbeit in Gaza seit Jahrzehnten und dennoch: es gab da schon ein Publikum, das darauf gewartet hatte. Dieses Publikum musste es außerhalb der traditionellen Hollywood-Kassenschlager geben, dennoch hat es uns gefunden und wir haben es bedient.

Obwohl der Film vor vier Jahren seine Premiere hatte, wird er immer noch an Filmfestivals ausgestrahlt, an Universitäten gezeigt und ist auch online verfügbar. „Majnoun“ kann das auch erreichen, aber unser Ziel ist diesmal, ein noch breiteres Publikum anzusprechen. Der Beweis ist das Drehbuch. Marjoun auf dem Motorrad provoziert Erinnerungen an James Dean. Ihr „Road Trip“ und ihre Rolle als amerikanische Rebellin der Neuzeit machen ihre Geschichte auf breiter Basis zugänglich.

Wie auch immer – wir sind auf das Crowdfunding angewiesen. Wir schaffen es nicht, die gängigen Investoren zu gewinnen, obwohl wir das versucht haben. So möchten wir jeden, den wir kennen, darum bitten, ein wenig beizusteuern, auch wenn es nur ein Dollar ist, damit wir den Film machen können. Und wir wollen, dass die Leute verstehen – sie finanzieren nicht nur „Marjoun“, sondern auch einen Ansatz für gleichwertige Darstellung von Arabern und Muslimen im Westen. Das amerikanische System stellt nicht all die Subventionen bereit, die im europäischen Raum vorhanden sind und so hoffen wir, dass die Europäer uns beistehen mögen.

Islamische Zeitung: Wir danken sehr für das Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute!

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