Bundespräsident Joachim Gauck zu Besuch in der Berliner Sehitlik-Moschee: Abu Bakr Rieger kommentiert

(iz). Ein großer Tag für die Sehtlik-Moschee, lese ich. Bundespräsident Joachim Gauck hat die ehrwürdige Anlage in Berlin besucht. Er lässt sich vorbeten und hört interessiert den Ausführungen des Imams zu. Die ungewöhnlichen Protokollfragen werden souverän gemeistert: Sicherheitsbeamte tragen ihm dezent die Schuhe hinterher. Gauck wird fast begeistert empfangen und hat inmitten der Gläubigen, die der berühmten Gastfreundschaft türkischer Muslime ­entsprechen, die erwartete gute Zeit. Er ist ­wohlwollend, Vorurteile sind eher subtil verpackt und äußern sich in der Idee einer Begegnung von Kulturen, die den Islam und damit auch die deutschen Muslime, kulturell anders oder gar „außereuropäisch“ verorten.

Überraschend finde ich aber etwas Anderes. Im „Tagesspiegel“ wird berichtet, dass ­unser Präsident zum ersten Mal eine Moschee betreten hat. Zum ersten Mal? Heißt das, dass der Präsident – bevor er einmal eine der vielen hiesigen Moscheen betrat – schon wusste, dass der Islam kein Teil Deutschlands ist? Tatsächlich entspricht diese Begegnung dem Bild, dass die Eliten bisher kaum echte Be­rüh­rungspunkte mit den Muslimen ­hatten. Ganz selten sind diese – statt der medialen Inszenierung – inhaltlich geprägte auf intellektueller Augenhöhe. Häufig geht so ­größte Distanz mit dem härtesten Urteil einher. Was man über den Islam und die Muslime zu wissen meint, stammt zumeist aus Zweiter Hand. Offensichtlich hatte der Islam, bevor er zu der großen Sicherheitsfrage des 21. Jahrhunderts wurde, für unsere Eliten keine besondere positive Relevanz. Auch Gauck interpretiert den Islam vor allem als Phäno­men der modernen Poli­tik. Die ideologische Verformung des Islam muss für den ­Pfarrer aus Rostock ein Gräuel sein. Im „Salafisten“ erscheint ihm ein Ty­pus, der das auf Millio­nen Muslime Schat­ten werfende Gegenbild zur europäischen Aufklä­rung verkörpern soll; eine Aufklärung, der sich Gauck ausdrücklich verpflichtet sieht.

Für Gauck ist die Freiheit von Tyrannei und den Ideologien des 20. Jahrhunderts schlicht die Grundfrage seines Lebens. Wohl auch deswegen haben ihn der Angriff auf die Demokratie aus dem ökonomischen Feld und die Versäumnisse der Aufklärung diesbezüglich überrascht. Wegen der üblichen Re­duzierung des Islam auf seine politische Wirkung dürften ihm die fundamentalen, freiheitlichen Maximen islamischer Ökono­mie gänzlich unbekannt sein.

Wenn es je einen Austausch der Eliten über den Islam geben sollte, so wäre das ­aktuelle Verhältnis des Islam zum ökonomisch geprägten Totalitarismus unserer Zeit eine der spannendsten Fragen. Nach der öffentlichen Zertrümmerung der Reputation des Islam bedarf es hierzu der Mentalität eines Archä­ologen, der die Essenz des Islam freilegen muss.

Es gab Momente, als sich unsere Eliten dem Islam grundsätzlicher zuwandten: Goethe erforschte den Islam noch anders, unbeküm­merter, denn den Universaldenker regte der offensichtliche Unterschied der Glaubensinhalte von Christen und Muslimen an. Mehr noch, er konnte den Islam und seine Einheitslehre einfacher und ohne intellektuelle Widerstände denken.

IZ-Gespräch mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek über den Stand des organisierten Islam

(iz). Zustand und Organisationsgrad des organisierten Islam in Deutschland ist seit geraumer Zeit – auch in der IZ – ein Thema der innermuslimischen Debatte. Insbesondere Angehö­rige der jungen Generationen fühlen sich zusehends nicht durch die oft politisch, ethnisch und sprachlich eingrenzende Sicht muslimischer Verbände angesprochen. Ein Hinweis dafür sind die verstärkt entstehenden Initiativen jenseits der bisher bekann­ten Organisationsformen Verein und Dachverband.

Hierzu sprachen wir mit Aiman Mazyek, dem derzeitigen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime (ZMD). Seine Organisation schied jüngst – gemeinsam mit anderen Verbänden – aus „Sicherheitspartnerschaft“ mit dem Bundesinnenministerium aus. Der ZMD ist Mitglied im Koordinationsrat der Muslime.

Islamische Zeitung: Es gibt seit einiger Zeit in muslimischen Zirkeln eine Debatte über die Zukunft der Community. Wie würden Sie den augenblicklichen Zustand des Koordinationsrates als Beratungsgremium bewerten?

Aiman Mazyek: Ausbaufähig würde ich sagen. Wir haben sicherlich vor eini­gen Jahren einen wichtigen Schritt gemacht, als wir sagten, dass sich die spitzen Verbände austauschen und sich koordinieren sollten. Das gilt insbesondere für repräsentative Fragen einer Leitlinie, anhand derer man hier den ­Islam als gleichgestellte Religionsgemeinschaft neben anderen zu etablieren versucht. Dies war sicherlich ein wichtiger Schritt im Jahre 2007.

Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass es weitere Schritte gibt und auch Konkretisierungen – wie in Richtung zum Beispiel Länderstrukturen – erfol­gen. Aber man muss auf der anderen Seite konstatieren, dass die vier ­großen Verbände zwar im religiös-theologischen Sinne im Wesentlichen mit der gleichen Stimme sprechen. Was aber die ihre politische Kultur betrifft, so bestehen weiterhin Unterschiede. Das fängt damit an, dass die ­ethnische Herkunft unterschiedlich gewichtet wird. Zum Beispiel, was unseren Verband [den Zentralrat der Muslime] angeht, so ist er sehr multiethnisch und multikulturell ausgerichtet. Deswegen haben bei uns schon früh Türken mit Deutschen, Bosniern, Albanern, Arabern aber auch mit kleineren Gruppie­rungen – von Afrikanern, über Gehörlo­se bis zu Schiiten – kooperiert. Das ist relativ bunt, dezentral organisiert und deswegen war uns früh klar, dass die Hinwendung auf dieses Land im ­Sinne eines Islam in Deutschland für uns der einzig gangbare Weg war. Deutsche Mitglieder, die Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens sind und waren, machten diesen Schritt zudem dann sprachfähig.

Diese Unterschiede in der politischen Kultur, die gilt es noch als Herausforderung anzunehmen und zu überwinden. Da haben wir, so denke ich, noch eine Menge vor uns. Deswegen darf man sich damit nicht zufrieden geben; im Sinne von „das ist der Status quo und deshalb können wir nichts ändern“. Doch! Ich glaube, man kann noch ­vieles besser machen. Aber dazu müssten auch alle mit anpacken.

Islamische Zeitung: Es gibt unter jungen Muslimen und Aktivisten – vielleicht auch dank so genannter sozia­ler Medien – häufiger Kritik an dem, was der KRM erreicht hat? Können Sie diese Kritik nachvollziehen oder vor allem Geschimpfe auf „die da oben“?

Aiman Mazyek: Kein Geschimpfe, das sind durchaus berechtigte Sorgen. Und die müssen auch weiterhin adressiert werden – an die Verbände und an die Religionsgemeinschaften. Das ist aber nur ein Teil der Lösung. Ein ander­er ist – was wir auch erleben –, dass die guten Köpfe der muslimischen Commu­nity zwar zum Beispiel am Freitagsgebet teilnehmen, aber die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme gering ausgeprägt ist.

Das gute Personal wandert ohnehin in die Wirtschaft oder in andere Bereiche ab. Unter anderem auch, weil die Religionsgemeinschaften mit ihren Strukturen und ihren begrenzten ­Möglichkeiten kaum Aussichten auf Jobs geben ­können. Das ist die andere Seite der Medaille. Dies betrifft vor allem junge, gut ausgebildete und intellektuell fähige Muslime, von denen es Gott sei dank heute mehr gibt als noch in den 1970er oder 1980er Jahren. Sie werden sich auch fragen: Was man selbst dazu beitragen kann, damit sich die Lage verbessert. Ich erlebe selbst in meinem Umfeld gerade – sowohl familiär wie in der Gemeinde – eine starke Abwanderung von top ausgebildeten Leuten – Juristen, BWLer und anderen – in die Türkei, die Emirate oder nach Saudi-Arabien. Meistens arbeiten sie übrigens für deutsche Firmen, die sie dort mit Kusshand nehmen; wohlwissend, dass ihre Qualifikation und ihre kulturellen Fähigkeiten sie weiterbringen. Diese junge Generation parkt jetzt erstmal 10-20 Jahre ihres produktiven Lebens, kommt dann möglicherweise wieder zurück, vielleicht. Natürlich liegt das auch daran, dass die­ jungen Leute erkennen müssen, dass sie trotz einer besseren Qualifikation bei gleichen Noten und Abschlüssen in Deutschland das Nachsehen haben. Und woanders werden sie mit diesen Qualifikationen gerne genommen.

Islamische Zeitung: Unter Muslimen entstehen neue Organisationsformen. Oft sind diese mit dem Inter­net und dessen kommunikativen Beschränktheiten verbunden. Haben Sie das Gefühl, dass sich da ein Wandel vollzieht, der trotz Positivität der ­Community als ganzer Substanz entzieht und mittelfristig schädlich sein ­könnte?

Aiman Mazyek: Ich habe ja auch einige dieser Foren kennengelernt und dort deutlich gemacht – ob diese jetzt Zahnräder sind, Thinktanks oder andere Events –, dass wir dies als wichtige Ergänzung und als Kraftquelle brauchen, auch weil sich dort die jungen Köpfe ausprobieren und ergänzen können. Entscheidend ist, dass das islamische Leben, in dem ich meine fünf Säulen praktiziere, nicht im luftleeren Raum, sondern mit einer Gemeinschaft stattfindet. Wenn ich mein Freitagsgebet mache, dann nicht zuhause, sondern in der Moschee. Wenn ich meinen Kindern ein Stück muslimi­sches Leben geben will, dann tue ich das nicht in einem Teehaus, sondern in ­einer Moschee. Wenn ich gut gekleidet und parfümiert zum Festgebet gehe, dann freue ich mich auf das Fest – mit einer Gemeinschaft in der Moschee.

Oft kritisieren wir zu Recht, wenn die Vorstände nicht in die Puschen kommen, wenn sie sprachlich oder mentalitätsmäßig noch in den 1960er stecken geblieben sind. Aber bei aller Kritik müssen wir festhalten, dass das eigentliche muslimische Leben nun mal in den Gemeinden stattfindet, und dies sind ­unser anvertrautes Gut, unsere Amana. Und da sind wir alle verantwortlich, ob nun Imam oder Jugendgruppenchefin. Sobald wir das existentiell in Frage stellen, sägen wir an dem Ast, auf dem wir ­sitzen. Wenn wir erlauben, dass wir unsere isla­mischen Insignien vernachlässigen, wird am Ende kaum was übrig bleiben.

Geht die Wertschätzung der Gemeinschaft zurück, dann werden wir vielleicht irgendwann einmal Hülsen ohne Frucht sein, Einrichtungen von Thinktanks haben, aber ohne Spiritualität und Seele, vernunftbegabte Reden schwingen, aber mit wenig Iman. Das will ich eigentlich nicht.

Islamische Zeitung: Es gab vor Kurzem eine allgemein kritisierte Plakatkampange des Innenministeriums, die mittlerweile wieder ausgesetzt wurde. Die an der so genannten Sicherheitspartnerschaft beteiligten Verbände sind ja im Verlauf der Debatte aus der Sicherheitspartnerschaft ausgeschieden. Was ist ihre Sicht auf diesen ­Vorgang?

Aiman Mazyek: Die Sicherheitspartnerschaft stand von Anfang an unter keinem guten Stern, weil stets unserer Bedenken und Sorgen nicht ernst genommen worden sind. Die muslimischen Verbände versuchten von Beginn an, das Thema rechtsradikale Übergriffe auch zum Thema der Sicherheitspartnerschaft zu mache. Dem Bundesinnenministerium ging es um den so genannten Islamis­mus und folglich gab keine Zusammen­arbeit oder Partnerschaft auf ­Augenhöhe. Hier hätte spätestens von uns aus eine Evaluierung stattfinden müssen, ob und wie eine solche Partnerschaft weiter Bestand haben soll.

Die Plakataktion war nicht das erste Projekt dieser Art; exemplarisch zu nennen ist eine vergangene Flyer-Aktion (bei der die muslimische Gemeinde ermahnt wurde, nicht radikalen Gruppen Geld zu geben), welche erfolglos war und zeitnah eingestampft wurde. Die Plakataktion war stets ein Projekt in der Hand des Bundesinnenministeriums – die ­Muslime konnten lediglich im Rahmen von anderen, arbeitsintensiven Projekten zu Entwürfen ihre Meinung abgeben. Selbst­­kritisch sage ich heute, dass diese Kritik hätte deutlichere ausfallen müssen und auch ich habe die Tragweite des Gesche­hens und des Projekts dabei unterschätzt, weil wir durch andere Themen, die wesentlich mehr Zeit und Aufwand bereite­ten, auch abgelenkt waren.

Dennoch blieb der ganze Vorgang vorbehaltlich und eine offizielle Mitträgerschaft stand nicht zur Debatte. ­Spätestens nach der deutlichen Kritik der ­Muslime an der Kampagne, hätte die Aktion im Sinne einer auf gleicher Augenhöhe stattfindenden Partnerschaft geändert­ ­werden müssen. Leider blieb sie aus. Zukünftig müssen wir noch genauer bei hingucken, was das Agenda-Setting angeht und drauf pochen, das dieses wirklich partnerschaft­lich austariert wird.

Islamische Zeitung: Neben der Kritik als solcher: Sind Sie zufrieden mit der Art und Weise, wie innerhalb der Community solche Themen halböffentlich diskutiert werden?

Aiman Mazyek: Ich will es einmal psychologisch erklären. Über die Situation der Muslime sind wir allesamt nicht zufrieden und doch: alhamdulillah. Hier hat sich dann für einige ein Ventil ­ergeben, einen Sündenbock zu suchen. Die zu Recht angesprochenen Kritikpunkte an den islamischen Religionsgemeinschaften wird zum Anlass für eine Brachialkritik.

Man hat sich natürlich bei dieser ganzen Kritik nicht gefragt: Was ist die Alter­native? Oder: Was kann ich selbst zur Ver­besserung beitragen? Was ist meine Aufgabe bei dem Ganzen? Viele Kritiken waren hart aber fair. Manche ­davon rechthaberisch; bisweilen verächtlich und oft ging es auch um Machtansprüche und alte offene Rechnungen, die hier eigentlich nichts zu suchen haben.

Wir sollten hier nicht vergessen, dass wir hier nicht irgendwelche, Parteien oder Unternehmen vertreten. Sondern wir sind meist Ehrenamtliche und versu­chen unseren Job, so weit es geht, und so gut wie möglich zu tun innerhalb der beschriebenen Strukturen.

Islamische Zeitung: Fehlt es, um diesen Mangel zu beheben, an den richti­gen Werkzeugen?

Aiman Mazyek: Es fehlen natürlich auch die Mittel. Es fehlt auch der Rückzugsraum, in dem man solche strukturel­len und strategisch wichtigen Weichen stellen kann. Das ist nichts Neues, und es war vor acht oder neun Jahren noch schlimmer. 50 Prozent unserer Aktivität besteht aus Öffentlichkeitsarbeit, was einfach in keinem Verhältnis steht. Weil alle paar Monate eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird und weil die Welt, wie sie ist, einfach politisch instabil ist und Muslime ihren Kopf hinhalten und man sich diesem nicht einfach entziehen kann.

Aber wir können gleichzeitig selbigen nicht einfach nur in den Sand stecken – Das ist ein Dilemma. Die strukturelle Arbeit und das Reisen kosten viel Kraft. Diese Kraft und diese Energie müssten eigentlich beispielsweise darauf verwandt werden, die klügsten gläubigen Köpfe zusammenzubringen.

Ich glaube nicht, dass es in anderen Institutionen anders ist. Das ist kein gesondert islamisches Phänomen. Da muss man sich eben ­an­ders einbringen. Wenn aber jeder etwas anderes macht, dann haben wir genau die Situation, wie wir sie heute haben.

Islamische Zeitung: Lieber Aiman Mazyek, wir danken Ihnen für das ­Gespräch.

Grundlagen der Hadsch wurden schon vom Propheten Ibrahim festgelegt

(iz). Die Hadsch, die Pilgerfahrt zum Hause Allahs nach ­Mekka, findet an verschiedenen Stellen im Qur’an umfangreiche ­Erwähnung: „Und als Wir für Abraham die Stätte des Hauses bestimmten (sprachen Wir): ‘Setze Mir nichts zur Seite und halte Mein Haus rein für die (es) Umkreisenden, ­Betenden und Sich-Niederwerfenden. Und rufe die Menschen zur Pilgerfahrt auf.’ Sie werden zu Fuß und auf jedem mageren ­­Kamel aus allen fernen Gegenden zu dir kommen, auf dass sie allerlei Vorteile ­wahr­nehmen und während einer bestimmten Anzahl von Tagen des Namens Allahs für das gedenken mögen, was Er ­ihnen an Vieh gegeben hat. Darum esset davon und speist den Notleidenden, den ­Bedürftigen. Dann sollen sie ihre persönliche Reinigung vollziehen und ihre Gelübde erfüllen und um das Altehrwürdige Haus wandeln.“ (Al-Hadsch, 25-29)

Die Hadsch ist einzigartig. Es gibt nichts, das ihr vergleichbar wäre. Sie ist das einzig wahre global-soziale Verhaltensmuster der Menschheit. Von unserer notwendigerweise beschränkten, erdgebundenen Perspektive ist es nur zu leicht, den universalen Charakter dieser großartigen Institution aus den Augen zu verlieren und zu vergessen, was für eine wahrhaft herrliche Sache die Hadsch ist.

Ein weiterer Aspekt, den wir nur zu leicht vergessen, ist der alte Charakter der Hadsch. Dazu zählt die Tatsache, dass die Muslime durch ihre Teilnahme an der Pilgerfahrt eine Tradition fortsetzen, die es seit Anbruch der Menschheit gibt. Es ist mindestens 6.000 Jahre her, seit der Prophet Ibrahim die Riten der Hadsch begründet hatte. Wenn die Muslime sich auf diese schwere Reise machen, dann haben sie Anteil an einer Serie von Ritualen, die untrennbarer Bestandteil der menschlichen Existenz schon vor Beginn der aufgezeichneten Geschichte sind.

Die Hadsch ist der Beleg für die Wirklichkeit, wonach im Islam alle Wege zum Hause Allahs führen – an dem Nationalität, Rasse und die unterschiedlichen Lehrmeinungen hinfort gefegt werden. Wo immer die Reisenden herkommen, und was immer ihr sozialer Status sein mag, sie werden von einer einzigen Sache an einen einzigen Punkt angezogen – das Verlangen, Allah an Seinem Hause anzubeten und die Riten der Hadsch zu vollziehen. Der Pilgernde wird zu einem von vielen Elementen für den Schmelztiegel von Mekka, wo die große Vereinigung der muslimischen Gemeinschaft ihren Ort findet. Beinahe niemand kommt unverändert von der Hadsch zurück. Bei einigen heimkehrenden Pilgerreisenden war der Wechsel nur oberflächlich und sie sind – nach einer kurzen Zeit – die gleichen Menschen, die sie vorher waren. Andere jedoch kommen vollkommen verändert zurück. Ihr Leben erhält eine neue und bedeutungsvollere Qualität. Sie sind diejenigen, über welche der Prophet sagte, dass sie wie neugeboren seien. Für sie hat die Reise zum Hause Allahs wirklich die Funktion eines Neuanfangs in ihrem Leben. Es ist nicht ausreichend, nur passiv an den Ritualen der Hadsch Anteil zu haben und sich von der Masse wie ein Stück Treibholz mitreißen zu lassen. Wir müssen etwas von uns selbst mitbringen; und dieses „Etwas“ ist Taqwa, das furchtsame Bewusstsein von Allah. Die Rituale sind nicht magisch, das heißt, sie haben keinen automatischen Nutzen für den, der sie durchläuft. Der Nutzen, den die Pilger aus ihrer Hadsch ziehen, steht in direktem Verhältnis zur Menge ihrer Taqwa, die sie einbringen.

Wie jede unserer Handlungen der Anbetung haben die Akte der Hadsch eine korrespondierende innere Wirklichkeit, ohne die sie nicht als erfüllt gelten kann. Die notwendige innere Dimension der Handlung des Ihrams [der Beginn der Riten der Hadsch; auch das Anlegen der Pilgerkleidung am Miqat] nimmt die Form der Absicht ein, von der die Gültigkeit der Pilgerfahrt einer Person abhängig ist. Diese Absicht, um nur ein Beispiel zu nennen, muss auf alle Riten projiziert werden, sodass die Hadsch in Gänze von ihr inspiriert ist.

Es heißt, dass die Bittgebete, die am Hause Allahs gesprochen werden, beantwortet werden. Jeder, der die Masdschid Al-Haram besucht, sollte während seines Besuchs diese Gelegenheit nutzen, Allahs Hilfe und Segen zu erflehen; und nicht nur für sich selbst, sondern für alle, die zurückgelassen wurden.

Am Ende können alle Hinweise nur ein oder zwei Türen für ein tieferes Verständnis der Hadsch öffnen. Es ist nur die direkte Erfahrung der Rituale der Hadsch, welche die jeweils eigene Pilgerfahrt ausmachen. Die eigene Hadsch wird immer anders sein als die eines anderen, selbst wenn man mit einer Person die gesamte Zeit der Reise verbringt.

„O ihr, die ihr glaubt, verneigt euch und werft euch in Anbetung nieder und verehrt euren Herrn und tut das Gute, auf dass ihr Erfolg haben möget. Und eifert in Allahs Sache, wie dafür geeifert werden soll. Er hat euch erwählt und hat euch nichts auferlegt, was euch in der Religion bedrücken könnte, der Religion eures Vaters Abraham. Er (Allah) ist es, Der euch vordem schon Muslime nannte und (nun) in diesem (Buch), damit der Gesandte Zeuge über euch sei und damit ihr Zeugen über die Menschen sein möget. Also verrichtet das Gebet und entrichtet die Zakat und haltet an Allah fest. Er ist euer Beschützer, ein vortrefflicher Beschützer und ein vortrefflicher Helfer!“ (Al-Hadsch, 77-78)

Kommentar: Nur Jürgen Todenhöfer stellt unangenehme Fragen in Sachen Afghanistan. Von Khalil Breuer

(iz). Es ist der wohl der langwierigste und sogleich umstrittenste Einsatz der Bundeswehr seit dem 2. Weltkrieg: Afghanistan. Der Krieg am Hindukusch und seine geopolitischen Implikationen waren ein Mittwoch-Abend lang Thema bei der ARD. In einem schlichten „Kriegsfilm“ sollte zunächst das Dilemma der Soldaten, zwischen den humanistischen Zielen des Einsatzes und der üblichen Trübsal des militärischen Alltags, verdeutlicht werden.

Auch Muslime gab es in dem Film, in zwei groben Varianten, sie waren anwesend als blutrünstig-grausame Schar der Taliban oder als das ansehnlich integrierte Individuum, dem muslimischen Helden der Bundeswehr. Der Rest der Afghanen: Arme Rückständige, die endlich aus dem Mittelalter abgeholt werden müssen, modernisiert und durch uns schnell in einem Nationalstaat zusammengefasst werden wollen.

Die Moderatorin Anne Will stellte am Schluss des Themenabends der ARD die eigentliche Grundsatzfrage: „War es den Einsatz bisher wert?“ In erster Linie ging es ihr dabei „theoretisch“ um eine mehr oder wenige schonungslose Kriegsbilanz. Schlimm genug: Der Einsatz hat bereits einige Dutzenden Männer der Bundeswehr das Leben gekostet. Die Frage, welche Firmen von dem langjährigen Krieg unter Anderem ökonomisch profitieren, wurde bei der Bilanz mehr oder weniger ausgespart. Natürlich gab es auch so Grund genug für eine harte „moralische“ Auseinandersetzung zwischen den Männern zu Hause: Bürger, mit und ohne Uniform, Pfarrer, Moralisten, Politiker.

Vor allem in der Person des bedächtigen Verteidigungsminister, de Maiziere, und des streitbaren Experten Todenhöfer wäre bei Anne Will so die Anlage für ein ernstes, notwendiges Wortgefecht, gegeben gewesen; dachte man zumindest zu Beginn der Sendung. Allerdings – wie immer bei dieser Art Talkshow – die Runde wurde durch die Regie bewusst „entschärft“, im Grunde verwässert, – durch ein paar Gäste zuviel und einigem planlosen Gerede. Die wesentlichen Fragen wurden so geschickt an den Rand gedrängt.

Im Kern war die Runde sich dabei ohne Ausnahme einig, dass, der im Einspieler des Reformkatholiken Drewermann geäußerte polemische Vorwurf, die Soldaten seien „bezahlte Auftragsmörder“ falsch sei. Die eigentliche Verantwortung, so war man sich einig, tragen weniger die Soldaten vor Ort, die ihren Kopf hinhalten, als die über die Ideale des Krieges schwadronierenden Politiker an der Heimatfront. Ja auch dies wurde an dem Abend klar: Der Einsatz der Bundeswehr – fern von den Schreibtischen in Berlin – ist noch immer sehr ernst. Die anwesende Frau eines Soldaten schilderte durchaus eindrucksvoll die traumatischen Folgen des Einsatzes für viele Soldaten der deutschen Armee.

Aber, die Grundfrage an den Verteidigungsminister nach der wirklichen Bilanz des Krieges und – nebenbei erwähnt – des Sinns der Traumatisierung der afghanischen Zivilbevölkerung im Namen der Terrorbekämpfung – sei es durch jahrelanges Flächenbombardement oder des Einsatzes von, per Kopfdruck gesteuerter High Tech-Drohnen, die aber, menschlich gesehen, eher an eine mittelalterlich anmutenden brutalen Strategie erinnern – stellte schlussendlich und gewohnt hartnäckig nur Jürgen Jürgen Todenhöfer. Also kein aktiver Politiker.

Eindrücklich sprach er nicht nur den Parteisoldaten und Bündnispolitiker, sondern den Verantwortung tragenden Menschen de Maiziere an. Warum wurden praktisch alle Kriegsfolgen verfehlt? Warum geht und ging es wirklich? Wie kann ein führender Bundeswehrsoldat nach seinem Befehl, der trotz evidenter Fehler durchgeführt wurde und über 100 unschuldiger Afghanen das Leben gekostet hat, sogar durch den Minister befördert werden? Unangenehme Fragen, die den Minister weiter gehörig ins Schwitzen gebracht hätten, wäre da nicht Anne Will. Immerhin es blieb noch Zeit für eine kluge Nachfrage in Sachen „Beförderung“, die de Maiziere mit einer  „so ist das eben, Basta“-Position kühl abprallen lies. 

Die von Jürgen Todenhöfer geforderte Wahrheitskommission nahm die Runde kaum ernst. Warum auch die Wahrheit ergründen? Es muss einfach weitergehen! De Maziere relativierte bereits wortkarg in Nebensätzen die Abzugspläne für das Jahr 2014, denn – ohne dass dies ausdrücklich problematisiert wurde – die profanen geopolitischen Interessen des Westens in der Region sollen langfristig bestehen bleiben.

,

Eine deutsche Tradition: Muslime laden zum „Tag der offenen Moschee“. Von Christoph Schmidt

(KNA). Für Ali Kizilkaya geben sich unerfreuliche Themen derzeit die Klinke in die Hand. Die Beschneidungsdebatte, die Krawalle um ein provozierendes, antimuslimisches Video oder die Plakataktion des Bundesinnenministers gegen „Islamismus“ erzeugen täglich Schlagzeilen, die der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland (KRM) lieber nicht lesen würde.
„Der Islam wird immer noch von zu vielen Menschen als Problem wahrgenommen, nicht als Teil dieser Gesellschaft“, meint er. Wenigstens am „Tag der offenen Moschee“ (TOM) an diesem Mittwoch soll das anders sein. Mehr als 600 Moscheegemeinden der vier im KRM zusammengeschlossenen Verbände öffnen ihre Pforten, um mit nichtmuslimischen Nachbarn ins Gespräch zu kommen. „Wir wollen informieren und diskutieren“, sagt Kizilkaya.
Schon zum 16. Mal laden die Muslime in ihre Gebetshäuser ein – stets hochsymbolisch am Tag der deutschen Einheit. Darin stecken wohl zwei Botschaften: Wir identifizieren uns mit diesem Land, ist die eine. Wir fordern einen gleichberechtigten Platz in dieser Gesellschaft, die andere. Die Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft vergleichbar den Kirchen scheiterte bisher an formalen Kriterien des deutschen Religionsverfassungsrechts.
Mehr als 2.800 Moscheen stehen in Deutschland, oft kaum als solche erkennbar in Wohn- oder Lagerhäusern gelegen. Doch schon beinahe jede zehnte trägt ein klassisch-islamisches Antlitz, häufig in osmanischer Bauweise mit Kuppel und einem oder mehreren – in der Regel gestutzten – Minaretten. Seit die Bauwelle in den 1990er Jahren begann, erzeugen die repräsentativen Gotteshäuser wie die Religion, für die sie stehen, bei vielen Ängste und Widerstand. Daran konnte „TOM“ als „Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit“ offenbar nur wenig ändern. Umfragen zeigen: Über die Hälfte der Deutschen empfindet Vorbehalte oder gar Abneigung gegen den Islam. „Wir befinden uns in einem sehr langsamen Prozess hin zu einem echten Miteinander“, so Kizilkaya.
Moscheen als Brücken zwischen den Kulturen, der Koran als ewig gültiges Buch und Mohammed als barmherziger Prophet waren Mottos der vergangenen „TOMs“. In diesem Jahr geht es um „Islamische Kunst und Kultur“. Ihr Reichtum sei den wenigsten Nichtmuslimen bekannt, sagt der KRM-Sprecher. Vorträge über arabische Literatur und Wissenschaft, türkische und arabische Musikvorführungen und Ausstellungen zu islamischer Kalligraphie und Ornamentik stehen bundesweit auf dem Programm. Dabei geht es den Veranstaltern um mehr als unpolitische Folklore.
Die Fülle und Lebensbejahung islamischer Kultur soll das Klischee vom strengen, weltabgewandten Islam widerlegen. Gleichzeitig betonen die Veranstalter, dass der Koran und das Leben des Propheten Mohammed die Inspirationsquellen der islamischen Kunst und Wissenschaft sind. Wer nur „Tausendundeine Nacht“ sucht, wird also nicht viel verstehen, denn ohne ein bisschen theologisches Interesse bleibt einem die „Welt des Orient“ verschlossen. Diskussionen über die Freiheit der Kunst seien aber willkommen, verspricht Ali Kizilkaya.
Die Gemeinden erwarten auch in diesem Jahr wieder rund 100.000 Besucher. Bei Führungen erklären sie die Grundlagen des Islam und die Funktion der einzelnen Moscheeelemente. Das ehrfürchtige Flüstern, wie man es aus Kirchen kennt, wird die Akustik dabei nicht erschweren: Moscheen sind keine sakralen Dunkelkammern, sondern waren immer auch Treffpunkte des sozialen Lebens, von dem Gebet und Gottesdienst nur ein Teil sind. „Unsere Gäste sollten nur geziemende Kleidung tragen und die Betenden nicht stören“, bitte Kizilkaya. „Ansonsten brauchen sie nichts zu beachten.“

Das Internet kann einen verheerende Auswirkung auf die innermuslimische Kommunikation haben. Kommentar von Sulaiman Wilms

(iz). „Ein Wort ist“, so die alten Araber, „wie ein Pfeil. Einmal abgeschossen, kann es nicht mehr zurückgenommen werden“. Wohl auch aus diesem Grunde räumt das islamische Recht der Sprache den Stellenwert einer Handlung ein. Was im normalen, ­zwischenmenschlichen Alltag sich noch auf der Ebene des guten Umgangs bewegt, wird in vermeintlichen ­sozialen Medien – die oft einen asozialen Cha­rak­­ter haben – schnell zu einem ­notwen­digen Krite­rium für die Aufrechterhaltung einer nor­ma­len Kommunikation.

Ein prägnantes, und passendes Beispiel, ist der augenblickliche Marktführer auf dem Markt elektronischer Kommunikation: der bisherige Spitzenreiter Facebook. Während man im Gespräch – und sei es am ­Telefon – noch auf den bekannten Ablauf von Empfan­gen, Verarbeiten und Replik auf eine Informa­tion vertrauen kann, hebelt das ­vermeintliche soziale Medium bisherige Kommunikationsformen auf. Der Zwang zum sofor­tigen Versenden von – aus dem Kontext gerissenen oder subjektiven Meinun­gen – führt nicht selten zu Irrtümern und Verstimmungen. Bei einer direkten menschlichen Begegnung ist die Mimik des Gegenübers ein Indikator für den Zustand der Diskussion. Und selbst das ­unbesonnene Wort des Anderen wird rela­tiviert, weil man seinen Gemütszustand einschätzen kann.

Nirgendwo sonst – soweit es die ­inner­muslimische Debatte betrifft ­– lässt sich dies an der Diskus­sion um den Organisa­tionsgrad der Community ­ablesen. Bei Facebook wird – nicht selten unter dem Druck der vermeintlichen Kommunikation in „Echtzeit“ ­– mit Argumenten und Unterstellungen operiert, die sich mehr aus der Form des Mediums ergeben als aus den Absichten der Diskutan­ten. Hier greifen – ironischerweise auch auf muslimischer Seite – die gleichen Diskussionssche­mata, wie man sie im Internet von einer zumeist radikalen Islamkritik kennt.

Oft wird ohne Kenntnis über Beteilig­te, ­ihre Umstände und die Bedingtheiten ihrer Situ­a­­­­­tion debattiert – von platten Behauptungen über angeblich niederträchtige Absichten einmal ganz zu schweigen. Der ganzheitlichen Problematik des Islam in Deutschland aber kann Facebook – wenn überhaupt – nur bedingt gerecht werden. Weil aber das Wort im islamischen Recht eine Handlung ist, ist es wohl so, dass die meisten Muslime ihr Publizieren in sozialen ­­Medi­en schon als Ersatz für eine echte Tat ­­­betrach­ten, anstatt wirklich zu handeln.

Eine Fundamentalfrage erreicht die Gesellschaft. Von Abu Bakr Rieger

(iz). Wie die Zeiten sich ändern: Noch vor Jahren war die Is­lamische Zeitung mit der Frage nach der Legitimität einer „Geldschöpfung aus dem Nichts“ ein ziemlich einsamer Rufer in der deutschen Medi­enlandschaft. Seit Gründung gehörte für uns die islamische Lehre und ihre dezidierte Antwort auf unsere aktuellen ökonomischen Fragen, zu den s­pannendsten der möglichen Debatten rund um die Rolle der Muslime in dieser Zeit.

Erst langsam erinnern sich Muslime heute, dass sie – neben dem bekannten kategorischen Zinsverbot – auch über weitere Quellen und somit über eine eigenständige ökonomische Lehre verfügen. Heute ist die wirtschaftliche Funda­mentalfrage nach dem „Wesen des Geldes“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Viele besorgte Bürger fragen sich derzeit: Darf man einfach immer mehr ungedecktes Geld drucken und ist es nicht sehr naiv zu glauben, dies ­bliebe zudem völlig folgenlos?

Auch die Vertreter des muslimischen Bankwesens bleiben in dieser Frage auffällig stumm. Das ist kein Zufall: Ist doch das Islamic Banking, wie die Geldpolitik aller muslimischen Länder heute belegt, ein integrierter Teil des internationa­len Bankensystems. Inzwischen ist der Ruf nach einer Verankerung der Geldpo­litik in rationale Überlegungen aber nicht mehr zu überhören. Der ehemalige Volkswirt und Berater der Deutschen Bank Thomas Mayer stellte in der „Wirtschaftswoche“ trocken fest: „Geldsystem wird Krise mit 50 Prozent Prozent nicht überleben.“ Aber auch auf höchster Ebene, zum Beispiel in der Person des Bundesbankchefs Jens Weidmann, regen sich ernste Zweifel. Auf einem Kolloquium erinnerte Weidmann an die frühe Sicht Johann Wolfgang von Goethes im Faust II auf die „wundersame Geldvermehrung“.

Der Bundesbanker klärte das staunen­de Publikum in Frankfurt über den potenziell gefährlichen Zusammenhang von Papiergeldschöpfung, Staatsfinanzierung und Inflation auf. Das „Handelsblatt“ titelte auf diesen Vortrag hin: „Die ­Frage nach unserer künftigen Geldordnung ist daher ab heute offiziell gestellt.“

So schließt sich der Kreis. Immerhin, das Problem ist endlich mit den ­Mitteln der Vernunft erkannt. Aber, was ist die Lösung? Nach einem Bericht der „New York Sun“ soll sogar die Deutsche Bank in einem internen Bericht über die Wiedereinführung eines „Goldstandards“ spekulieren. Aus islamischer Sicht geht auch dies nicht weit genug: Für eine maßvolle Wirtschaft sind Leitwährungen nötig, die ihren Eigenwert vollständig selbst verkörpern. Seit Jahrhunderten ist dies unter normalen Umständen Gold.

Grundlegende Betrachtungen zur Bedeutung der Muslime für die Zukunft des Landes. Von Parvez Asad Shaikh

(iz). Während Bemühungen der UN – den Rahmen für eine Reaktion auf die Lage in Syrien zu finden – dem unendlichen Treppenhaus von M.C. Escher ähneln, hielt jüngst das ähnlich überholte Forum der Blockfreienbewegung seinen Gipfel in Teheran ab. Der Vertreter Ägyptens begann mit einer Kritik an der Gewalt, die von Assad in Syrien eingesetzt wird. Im Versuch Syrien auszublende, ersetzten die Dolmetscher „Syrien“ durch das verdaulichere „Bahrain“.

Ob dies eine Lektion in schneller Auffassungsgabe, eine komödiantische Darstellung rhetorischer Politik oder eine Beleidigung der Männer, Frauen und Kinder war, die von einem skrupellosen Regime getötet wurden: Es offenbarts, dass es hier zwei drastisch verschiedene Erzählungstränge über das Blutvergießen gibt. Was beide trennt, ist die Anerkennung des Lebens schutzloser Menschen, die zu Zehntausenden sterben. Die Ehre trennt Wahrheit von Realität.

Aktuelle Fragen
Trotz diplomatischer Versuche die Phantastereien mit der Realität zu versöhnen, gibt es kein Szenario, in dem das Assad-Regime diesen de facto Bürgerkrieg überleben kann. Es wird deutlich, dass jeder Versuch einer auswärtigen Intervention zum Zusammenbruch von schwer beanspruchten Allianzen führen würde.

Scheinbar haben die USA die Tatsachen anerkannt und betreiben – gemeinsam mit betroffenen muslimischen Ländern der Region –eine Politik der Förderung des zersplitterten Syrischen Nationalrates (SNC). Effektivität und materieller Wert der nötigen Unterstützung bleiben umstritten und sind Thema widersprüchlicher Berichte. Obwohl sich Hinweise auf eine, jetzt besser koordinierte und ausgerüstete Freie Syrische Armee (FSA) häufen, gibt es echten Bedarf für Waffen, die die Achillesferse der Luftwaffe treffen könnten.

Ausländische Milizen wurden von westlichen Mächten als Entschuldigung benutzt, die Oppositionskräfte militärisch voll zu unterstützen. Die Präsenz von Söldnern mag der scheinbare Grund für das Zögern sein, aber dies ist es, das die Präsenz ausländischer Gruppierungen ermöglicht. Insgesamt sind beide die Manifestation des Wunsches nach indirekter Kontrolle durch Dritte.

Libysche Söldner sowie wohlmeinende Kämpfer und Ausbilder werden von dem Konflikt angezogen. Gleichzeitig führt die wichtige Rolle iranischer Revolutionsgarden in der brutalen Unterdrückungspolitik durch die Regierung nicht zur gleichen Besorgnis über diese Söldner oder Freiwillige, die mit dem abgenutzten Etikett „Al Qaida“ versehen wurden. Die Präsenz ausländischer Elemente – auf Seiten der Opposition und auf der iranischen – ist ein Faktor, der realistisch bedacht werden muss.

In der komplexen Arena Syriens ist es wichtig, dass der Aberglauben der veralteten Terror-Dialektik abgelegt wird und dass ein klinischer Realismus die Ideologie ablöst. Während die internationalen Versuche für einen Kompromiss wie Kugeln eines Flipperautomaten umher prallen, hat die Hilfe ausländischer Mächte gezeigt, dass die Verschiebung in Richtung eines pragmatischeren Vorgehens der Notwendigkeit folgt, dass die strategischen Interessen nach Assad erhalten bleiben. Politisch gesehen ist das Scheitern des SNC, eine solide Legitimität und Kontrolle vor Ort ein echtes Hindernis dafür, dass politische Kräfte Garantien bekommen, um die Entstehung eines Konzepts zu ermöglichen, wie das Nachkriegssyrien aussehen soll. Zu den wichtigsten politischen Kräften gehören Mitglieder der syrischen Armee (Muslime und Minderheiten, die kein Teil des alawitisch dominierten Kommandos sind), muslimische Händlereliten und die Minderheiten insgesamt.

Diese Gruppen zögern, den eher unzuverlässigen Formationen ideologischer „Islamisten“ ihr Vertrauen auszusprechen. Daher müssen ausländische Unter­stützer der Opposition gewährleisten, dass ihre Aktivitäten mit einer ­kollektiven Anstrengung verbunden sind, die Führungselemente zu finden. Sie besitzen eine innere Legitimität, die notwendig sein wird, um eine aktive Rolle in der Lösung zu spielen.

Der Staat, der Assad ist
Nun sind wir bei der Hinterfragung dessen, was sich in Syrien in ein Meer der Gewalt ergießt. Was der Staat unter den Assads ist, erlaubt die Identifizierung der Schlüsselfaktoren. Im Kern zerbrechen – nun an den Rändern – der komplexe und personalisierte Staat und die Ideologie, die es einer Fraktion – selbst eine Minderheit – erlaubte, über die Mehrheit zu herrschen. Ein angeblich säkularer ismus – auf dem Mythos des arabischen Nationalismus basierend und in seinen Lehren sozialistisch – war der ideologische Diskurs von Minderheiten wie maronitischen Christen, Drusen und Alawiten, zur Rechtfertigung dieser Machtverschiebung. Dieser Arabismus-Diskus war ein Blickwechsel weg von muslimisch dominierten Dynamiken, wie sie vor – dem ersten Baath-Coup – 1963 dominierten und schützte die Interessen nichtmus­li­mi­scher Kader in Militär, Bürokratie und Universitäten. 2004 schrieb die International Crisis Group in einem Bericht über das Regime: „Die Baath-Partei rekrutierte alle, die sich außerhalb des Systems von Verbindungen, Patronage und Verwandtschaft befande, auf denen das alte Regime beruhte.“ Während es falsch wäre, Baath-Partei oder Militär auf eine Gruppe zu reduzieren, führte das Rekru­tierungssystem dazu, dass alawitische Parteimitglieder überproportional im oberen Offizierskorps vertreten waren.

Der Einfluss des Militärs bei der Übertragung der Baath- Ideologie wurde zuerst nach dem Putsch von 1963 spürbar. Es war die entscheidende Rolle der Mili­tärs bei der Ausschaltung von Rivalen der Partei, die zu einer Abhängigkeit von ihm führte. Die Machtkonzentration ­eines alawitisch dominierten Militärn erfuhr ihre erste Veränderung, als der neo-Baathistische Militärputsch 1966 unter Salah Jedid und Hafez al-Assad die Baathistischen Ideologen Michel Aflaq und Salah al-Din Bader von der Macht ­ver­trieb. 1970 drängte al-Assads „korrigierende Bewegung“ Jedid aus dem Amt. Damit war das letzte Stadium in der Definition des Baath-Staates erreicht. ­Dieser Coup brachte das Militär ins Zentrum der Macht, wobei Hafez al-Assad und sein Clan an der Spitze standen. Mit ­einem alawitisch dominierten Militär als wichtigstem Vermittler und Hafez al-Assad an der Spitze des Landes, das traditio­nell von einer muslimischen Mehrheit dominiert wurde, begann der Prozess der Machtkonsolidierung. Wegen dieser unnatürlichen Position der Alawiten war das Regime vom Militär und dem alles durchdringenden Sicherheitsapparat abhängig. Syrien befindet sich seit dem Baath-Coup 1963 im Ausnahmezustand. Dies gewährleistet, dass der Staatschef und der Sicherheitsapparat straflos und unter dem Schutz repressiver Gesetze agieren konnten.

Nach Angaben von Eyal Zisser „sind schätzungsweise 60 Prozent der ­Minister, Mitglieder der Volksversammlung und Deputierten zum Parteikongress Sunni­ten. Dies entspricht ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die informellen Herrschaftskader stehen – im Gegensatz – für die wirkliche Macht und Vorherrschaft der ‘Alawiten’: Rund 90 Prozent der Offiziere sind Alawiten. Das gleiche gilt für die Sicherheitsdienste.“

Gleichzeitig wurden Mitglieder ande­rer Minderheiten übernommen und eine Dialektik eingeführt: Man müsse sich vor der Masse von Muslimen schützen, die das Land bevölkern. Mitglieder der mächtigen Familien aus der traditionell muslimischen Oberschicht und die neue Klasse wohlhabender muslimischer Händ­­ler wurden in das System der Gönnerschaft eingeführt, das vom Assad-Clan kontrolliert wurde.

Die Ideologie wurde als Beruhigungsmittel benutzt, um die immanenten Herausforderungen für den Staat zurückzudrängen. Der arabische Nationalismus und die anti-israelische Rhetorik halfen bei der Schaffung eines Gefühls der ­nationalen Identität, die den Baathistischen Irak und andere arabische Staaten nachahmte. Der Islam diente zur Imageverbesserung der alawitischen Herrschaft in den Augen der Muslime. Sie wurden von den Ayatollahs Teherans in den Schoß der Schia aufgenommen und – in der politischen Atmosphäre des Nationalismus mit dem Versuch zur „Modernisierung“ des Islam – die Schia wurde – von ­einigen nur schwächlich – als gleichwertig anerkannt. „Alawiten stellen den inneren Kern des Regimes. Syrer aus anderen Gemeinschaften umgeben es. Arabisches Ressentiment und Identität verleihen ihm seine Seele, Zweck und Rechtmäßigkeit.“ (Zisser)

Das assadistische Regime basierte auf der Fähigkeit, Gewalt gegen jede wahrgenommene Drohung durch die muslimische Mehrheit einzusetzen. Die Unter­drückung der Bevölkerung durch den Staat führte dazu, dass Syrer – und Musli­me insbesondere –, die einen Wechsel anstrebten, nicht die Macht für Veränderungen hatten. Vor dem jetzigen Aufstand gipfelte die Bewegung der späten 1970er und frühen 1980er Jahre 1982 im Massaker von Hama. Es war der deutlichste Versuch der syrischen Mehrheit, eine Veränderung herbeizuführen. Die Taktik und das ultimative Scheitern der syrischen Muslimbruderschaft, ihre Mitkämpfer zu beschützen, führte zu tausen­den Toten und zu einer gespaltenen, demoralisierten Opposition.

Drang zum Zusammenbruch
Hafez al-Assad starb 2000. Während die Staatsmedien im Sinne Orwells deklarierten „Assad ist von uns gegangen. Lang lebe Assad!“, nahm der zweitgeborene Bashar al-Assad den Platz des Vaters ein. Nach Angaben seines früheren Beraters und Jugendfreundes von Ayman Abdelnour „verschwand Bashar aus dem Blickfeld. Wir sahen ihn erst 1996 wieder und er hatte sich verändert. Sogar seine Stimme war anders.“ Und trotz des Versuches, wonach der Erbe seinen ­Vater ersetzt, passt der Anzug – den Hafez so vorsichtig anlegte – seinem Sohn nicht gut genug. So beschrieb die ICG ­Bashars Herrschaft 2004: „Am Ende schien Bashar ein zögerlicher, aber trotzdem gewillter und aufstrebender Reformer, der erkennen musste, dass seine Langlebigkeit an die Stabilität des Baathistischen Regimes gekoppelt war. Dies aber ist an die Dauerhaftigkeit inländischer und regionaler Politiken gebunden.“

Perfide Reformversprechen, die von getäuschten westlichen Kommentatoren als „Damaszener Frühling“ etikettiert wurden, waren keime Wirklichkeit. Das Regime betrieb sein übliches Geschäft. Bashar glich den Mangel an Erfahrung dadurch aus, dass er noch autoritärer als der Vater auftrat. Nach Angaben von Roula Khalaf verschreckte er die Mitglieder der Alten Garde und „verkleinerte die inneren Kreise der Familie „ – zum Schaden der wichtigen muslimischen Unterstützung und seiner fabrizierten Rechtmäßigkeit.

Seine bemerkenswerteste Handlung war, ausschließlich auf den Iran zu setzen. Der schnelle Fall des Baath-Regimes in Bagdad 2003 (und die strategische Tiefe, die der Iran danach erlangte) erschütterte sichtlich das Vertrauen in die heilsame Wirkung Baathistischer Ideologie. Hafez, der die syrische Position als Kanal zur Hisbollah pflegte, spielte den Iran gegen andere Dynamiken wie die US-Interessen und israelische Versuche der Einflussnahme während der Oslo-Verträge aus. Die ungeschickte Neuausrichtung durch Bashar hatte zur Folge, dass Syrien an der iranischen Nabelschnur zu einer Radikalisierung anti-­israelischer und anti-westlicher Rhetorik – zum Schaden einer politischen ­Option.

Am 15. März 2011 wagten es muslimische Stämme der südlichen Provinz Dera’a, gegen die willkürliche Verhaftung von 15 Kindern zu protestieren. Bashars Cousin, und Kopf des Sicherheitsdirektoriums Atif Najif befahl, auf die schutzlose Menge zu schießen. Der vorsichtig geschneiderte Anzug des Vaters platzte dank der Unfähigkeit des Sohnes aus den Nähten und der syrische Aufstand begann. Wichtigkeit der Muslime im Syrien nach Assad

Wir haben die Natur des Assad-Regimes als unnatürliche und daher autoritäre Herrschaft einer Minderheit über eine muslimische Mehrheit definiert, auf der vierzig Jahre lang herumgetrampelt wurde. Die fundamentale Handlung, die die politischen Zurechnungsfähigkeit in Form einer Regierung ermöglichen kann, ist die Anerkennung der Muslime als die wichtigste Gruppe Syriens. Sie sind die natürliche Mehrheit und werden unaus­weichlich die größte Quelle für die Legiti­mität einer kommenden Führung ­stellen. Das verabscheuungswürdige Zögern des Auslands, das einer angeblichen, unmenschlichen Vergeltung durch ­Muslime gegen Minderheiten zugeschrieben wird, ist unbegründet.

Andere, nicht-alawitische Minderheiten haben den von Muslimen geführten Aufstand zögerlich im großen Stil und offen unterstützt. Selbst im Nebel des Bürgerkrieges werden die Kampflinien vorwiegend von der von Muslimen geführten Opposition und dem alawitisch geführten Regime gezogen. Nach Angaben des ICG-Berichts „Syria’s Mutating Conflict“ waren regierungsfreundliche Reports über Gewalt muslimischer Oppositionsmitgliedern Minderheiten stark übertrieben. Zur Opposition gehören tatsächlich Angehörige dieser Minderheiten und – in selteneren Fällen – sogar Alawiten. So wurde ein oppositioneller christlicher Priester in dem Bericht zitiert: „Einige Christen wurden vom Regime bewaffnet, was Teil des Problems ist. Aber dies bleibt eine keine Minderheit. Die meisten Christen haben Angst, halten still oder machen sich aus dem Staub.“ Regierungsgegner ­haben den Angriff auf Christen durch bewaffnete Gruppierungen abgestritten: „Die Christen sind aus Homs geflohen, weil ihre Nachbarschaften durch das Regime beschossen wurden, nicht weil sie von der Opposition vertrieben wurden.“

Ein integraler Teil der Anerkennung der natürlichen Bedeutung der Muslime für die Zukunft Syriens ist die Anerkennung der Kurden, die den Nordosten des Landes bewohnen. Ironischerweise wurde die Region sich selbst überlassen, nachdem das Regime seine Kräfte einsetzte, um die unruhigen Provinzen im Süden zu befrieden. Das jetzige Scheitern des SNC, sich von den überholten arabistischen Umständen (die zur Krise führten) zu befreien und grundlegenden Forderungen der Kurdischen zuzustimmen und die syrischen Kurden politisch anzuerkennen, ist ein ernstes Problem.

Ein anderer Faktor ist die Notwendigkeit der Auflösung repressiver Staats-strukturen und dass die bloße Auswechslung des Staatschefs nicht als Lösung für die akute politische Krise ­gelten darf. Hier wird nicht um die Kontrolle des Staates gekämpft. Der Staat ist im Wesentlichen zusammengebrochen.

Das Ausmaß dieser staatlichen Umgestaltung muss groß genug sein, um den Willen der Syrer zu reflektieren. Versuche für einen Kompromiss auf Grundlage der Machtteilung im Libanon, die dort nach dem Ende des Bürgerkrieges in Kraft trat, wird nichts erreichen. Die Teilung von parlamentarischer Gewalt entlang sektiererischer Grenzen hinterlässt einen zersplitterten Staat. Der Iran könnte einen solchen Deal als Garanten ansehen, Syrien auch weiterhin als Durchzugsgebiet zur Hisbollah anzusehen. Das würde Libanons Instabilität nur auf Syrien ausweiten. Im Kontrast zu momentanen Versuchen in Libyen, die Verfassung aus der Zeit Gaddafis umzuschreiben, ist das Assad-Regime in die rechtsstaatliche DNS des Landes eingebrannt. Dies macht fundamentale Änderungen des Staates nötig.

Eine Balance zwischen einer starken Zentralregierung und ein föderalem Modell könnte sich als der beste Weg erwei­sen, die unterschiedlichen Elemente auszugleichen. Nach Ansicht von Bill Park vom King’s College habe der türkische Außenminister bereits „angedeutet, dass Ankara der Entstehung einer autonomen kurdischen Region in einem föderalen Syrien nicht notwendigerweise widersprechen würde“.

Jeder Versuch, ein Ende der Gewalt voranzutreiben, muss sicherstellen, dass ein syrischer Führer eine Legitimität hat, die das Assad-Regime niemals hatte. Dies ist entscheidend, um die Freiheit der Menschen zu gewährleisten. Außerdem muss die Präsenz von Ausländern innerhalb Syriens – insbesondere der liby­schen Kräfte mit Bindungen zur Muslim­bruderschaft – vorsichtig gehandhabt werden. Sie müssten entwaffnet werden, sobald das Regime gefallen ist. Solche Kräfte – auch wenn sie nur eine geringe Größe haben – können eine ernsthaft destabilisierende Kraft darstellen.

Spiegel für unsere Zeit
Syrien liegt im Herzen des sich dramatisch wandelnden Nahen Ostens. Der Zusammenbruch verrosteter Staatsstrukturen, die mit der Hilfe alter Ideologien erhalten wurden, führte in der Region zu volkstümlichen Aufständen. Der endgültige Erfolg des jetzigen Trends, alte Diktatoren durch alte „Islamisten“ zu ersetzen, muss von jenen Leuten bewertet werden, welche als erste einen Wandel forderten. Was wir in Syrien – in sich ein regionaler Mikrokosmos–, beo­bachten, ist eine Rückkehr der regionalen Geopolitik auf die realen Widersprüche, die der arabische Nationalismus zu ignorieren versuchte und so verschlimmerte.

Die Geopolitik des Nahen Ostens basiert auf Gräben. Von Kurdistan, über die Halbinsel bis Palästina erstreckt sich die Arena des Wettbewerbs; ein Zerrüttungsstreifen, der die moderne nahöstliche Geschichte definiert hat. Dieser Wettbewerb kann nicht länger als Frage von Herkunft – Türke, Kurde, Perser und Araber – verstanden werden. Die regionale Stabilität muss unter der ­realistischen Anerkennung natürlicher Dynamiken vor sich gehen. Eine freie und ermächtigte Bevölkerung ist der Schlüssel, um das regionale Gleichgewicht zu gewährleisten.

Libyen: Bevölkerung wehrt sich mittlerweile gegen radikalen Extremismus

Der gewaltsame Aufstand gegen das Gaddafi-Regime hat zur Entstehung vieler, unkontrollierter Milizen geführt. Einige davon orientieren sich an ­radikalen Elementen der salafistischen Ideologie. Bevölkerung und Politik wollen derengewaltsamen Treiben nun nicht mehr tatenlosen zusehen.

(RT.com). Die libyschen Behörden haben am 23. September den bewaffneten Milizen des Landes, die nicht unter Kontrolle der Regierung stehen, 48 Stunden gegeben, die Hauptstadt Tripolis zu räumen. Ansons­ten würden sie gewaltsam entfernt. Die Entscheidung wurde getroffen, nachdem regierungsnahe Aktivisten das Hauptquartier einer radikal-salafistischen Gruppierung in Benghasi gestürmt hatten.

Die Armee wurde aufgefordert, ihre Autorität durchzusetzen. Reguläre Offi­zieren sollen ab sofort an der Spitze ­jener bewaffneten Freischärler stehen, die im letzten Jahr während des Aufstands ­gegen die Herrschaft von Muammar Gaddafi entstanden. „Armeechef Yussuf al-Mangoush und der Chef der Nationalversammlung Magarief ordneten an, alle unrechtmäßigen Milizen aus deren Gebäu­den zu entfernen und zur Übergabe ­ihrer Waffen an die Armee zu zwingen“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Die gewaltsame Erstürmung des Benghasi-Hauptquartiers der Ansar al-Sharia-Milizen durch die dortige Bevölkerung am 21. September forderte mindestens elf Leben und ca. 70 Verwundete. An der Operationen in der ostlibyschen Stadt nahmen Einheiten der Armee, der Polizei und Brigaden ehemaliger Rebellen teil. In Folge kündigten in zwei weiteren Milizen in einer anderen Stadt ihre Auflösung an. Die Abu Slim und Ansar al-Sharia Milizen in Derna, ebenfalls im Osten gelegen, kündigten ihre Auflösung an.

Stimmen aus der Zivilbevölkerung ­gehen davon aus, dass die Ankündigung dieser Milizen durch die vorangegangene Gewalt in Benghasi verursacht ­wurde. „Die Miliz in Derna beobachtete, was letzte Nacht geschah und entschied sich dafür, ihre Brüder nicht zu töten“, berichtete der 29-jährige Linguistikdozent Siraj Shennib. Er nahm an den Protesten gegen die Milizen teil. „Sie werden nach Hause gehen und die Sicherheit dem Innenministerium und der Armee übergeben.“

Nachdem gewalttätige Salafisten in den letzten Monaten spirituelle Zentren in Libyen angriffen, Moscheen ­zerstörten und diejenigen töteten, die ihren Wandalismus verhindern wollten, brachten die jüngsten gewaltsamen Proteste gegen ein Internetvideos das Fass zum Überlau­fen. Bei den Übergriffen starb unter anderem der US-amerikanische Botschaft in Libyen.

Seit dem Ende Gaddafis kämpft die Regierung um die Kontrolle der vielen, aber nicht immer verbündeten Milizen und anderer Gruppen, die am Sturz des Diktators 2011 beteiligt waren. Die ­große Anzahl an Waffen ist zu einem der größten Probleme in der ganzen Region geworden.

Die Türkei hat ein neues, interessantes ­Betätigungsfeld auf dem afrikanischen Kontinent gefunden. Von Mohammed Dockrat

(iz). Das Beispiel des türkischen Einflusses – der sich finanziell und politisch ausbreitet – zeigt sich in aller Welt. Ihr ­finanzieller Sektor verfügte in den letzten Jahren über stetig steigende Wachstumsraten. Jetzt unternimmt das Land einen weiteren, interessanten Schritt in Afrika.

Heute hat die Türkei mehr Millionäre als die meisten westeuropäischen Länder und die Türken helfen – dank ihres großartigen muslimischen Erbes – in verschiedenen Regionen in aller Welt. Südafrika ist eines dieser Länder, das einen Zufluss von Geschäftsleuten, Lehrern, Studenten und ‘Ulama erlebt. Der jüngste und bemerkenswerteste Beitrag ist ein Imaret (Külliye), das vom Geschäftsmann Ali Katircioglu im Herzen der Provinz Gauteng gebaut wurde.

Die Nizamiye Moschee wurde im Bezirk Midrand gebaut, der zwischen Johannesburg, dem wirtschaftlichen Zentrum Afrikas, und der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria liegt. Das Land hat eine relativ junge Geschichte. Erst im späten 19. Jahrhundert entwickelte es sich nach der Entdeckung von Gold und Diamanten im Landesinneren zu einem modernen Staat. Die türkischen Beziehungen zum Kap gehen auf die osmani­schen Zeiten zurück. Damals entsandte die Hohe Pforte religiöse Vertreter, welche die Interessen der muslimischen Kapmalaien gegenüber den britischen Kolonialherren wahrnahmen.

Der Islam erreichte die Küsten Südaf­rikas in zwei unterschiedlichen Wellen: Die erste bestand aus politischen Sträflingen, die von holländischen Kolonisatoren von Indonesien ans Kap vertrieben wurden und die zweite Gruppe waren – ein Jahrhundert später – Händler vom Indischen Subkontinent. Heute verfügt Südafrika über eine geschäftige türkische Gemeinde, die auf in den Gebieten des Handels, der gesellschaftlichen Entwick­lung und der akademischen Lehre aktiv ist. Dank des augenblicklichen Zustroms von Muslimen aus Nordafrika und Asien entwickelt sich in den Städten eine bunte Mischung.

Die wachsende Partnerschaft zwischen Südafrika und der Türkei ermöglichte das Entstehen einer starken türkischen Gemeinde vor Ort. Obwohl die Community noch sehr klein ist, gründeten Türken überall an der Südspitze Afrikas Schulen. Auch ihr wirtschaftlicher Einfluss wächst ständig. In den letzten zehn Jahren baute die Stiftung Fountain Education Trust Schulen in Port Elizabeth, Jo­hannesburg, Tshwane, Kapstadt und Kwazulu Natal. In Afrika wird diese Neuorientierung der türkischen Außenpolitik durchaus wahrgenommen. So schrieb die südafrikanische South African Foreign Police Initiative in einem Artikel dazu: „Im letzten Jahr überraschte der türkische Minis­terpräsident Recep Tayyip Erdogan mit seiner schnellen Reaktion auf den Hunger. (…) nach der Einschätzung der Hungerfolgen traf Erdogan Vereinbarun­gen mit der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), die zu einer Bereitstellung von 350 Millionen US-Dollar für Hilfsmaßnahmen in Somalia führten. (…) Somalier waren überwältigt vom türkischen Eingreifen und viele bete­ten für den Erfolg des Landes. Aber dies sollte nur der Beginn einer neuen Beziehung werden.“

Die türkische Außenpolitik gegenüber Afrika verfolgt nicht nur wirtschaftliche und kommerzielle Absichten, sondern beinhaltet auch einen flächendeckenden Ansatz, zu dem Entwicklungshilfe – auf den Bereichen der technischen und projektorientierten Hilfe – zählt. Hinzu kommen Erziehung, der Kampf gegen Krankheiten, landwirtschaftliche Entwicklung, Bewässerung, Energie und ein steter Strom an humanitärer Hilfe. Außerdem haben türkische Geschäftsleute und religiöse Organisationen ihrerseits ebenfalls mit dem Bau von Moscheen begonnen haben.

Ali Katircioglu lebt in einem Wohnwagen neben der Baustelle, um den Baufortschritt zu kontrollieren. Er war ins­pi­riert, ein Erbe zu hinterlassen: „Jeder möchte etwas Großes zurücklassen, bevor er stirbt. Schauen wir auf die ­reichsten Männer der Geschichte, dann geraten diese oft in Vergessenheit. Aber wenn man reich ist und etwas schafft, das ande­ren Leuten hilft, dann fühlt man ihre Gebete lange nach seinem Tod.“

Mit diesem Gedanken entwarf der Geschäftsmann die Nizamiye Moschee als Ort, der mehr ist, als nur ein Platz der Anbetung zu sein. Vielmehr wollte er eine soziale Struktur schaffen, die der Gemeinschaft in den kommenden Jahrzehnten dienen sollte – wie dies die Tradition von Moscheen in Istanbul und anderen Gebieten unter den Osmanen war. Dieser soziale Aspekt kann an den ­Seiten der großen Moschee beobachtet werden. Zur Recht befindet sich eine Schule, die 850 Studenten beherbergt, sowie Einrichtungen für Sport. Nach Angaben des Rektors Turan soll die Grundschule eine Bibliothek, einen Computerraum und ein Programm zum Erlernen des Qur’an bekommen. Zur Linken der Moschee befindet sich ein großer Bazar, welcher der traditionellen türkischen Architektur nachempfunden ist. Dort werden türki­sche Produkte gehandelt und es gibt eine Kantine mit türkischer Küche.

„Onkel Ali“, wie er bei den Südafrikanern genannt wird, hat jede Spende für den Bau der Moschee zurückgewiesen, aber zur Finanzierung für ihren Unterhalt und Stipendien für die Schüler eingeladen.