(Übersetzung: iz). In einer Fatwa („Zum Angriff auf Moscheen und Mausoleen“) vom 28. August diesen Jahres hat sich die Liga der Libyschen ‘Ulama (islamischen Gelehrten) vehement gegen die Zerstörung von Moscheen und Mausoleen durch gewaltbereite Salafisten/Wahhabiten zur Wehr gesetzt. Im Folgenden dokumentieren wir den Wortlaut der Erklärung in ihrer deutschen Übersetzung:
„Gepriesen sei Allah, der Herr der Welten und Frieden und Segen auf dem Propheten Muhammad, seiner Familie und seinen Gefährten.
Die libysche Revolution, die am 17. Februar des letzten Jahres begann, wurde ursprünglich mit friedlichen Mitteln zur Erlangung rechtmäßiger Ziele betrieben. Trotz der Tatsache, dass die Regierung schamlos libysche Männer ermordete, während sie sexuelle Angriffe auf libysche Frauen durchführte, blieben viele junge Männer zu Haus. [Sie standen] unter dem Einfluss von Gelehrten, die behaupteten, dass die Regierung rechtmäßig sei, und daher sei der Aufstand ein Akt der Rebellion gewesen.
Nur, nachdem der Herr den Revolutionären Sieg gewährte, schlossen sich diese Jugendlichen der Auseinandersetzung an und versuchten, sich als ihre Führer in Szene zu setzen. Trotz der Tatsache, dass sie sich bis zu diesem Augenblick (und sogar danach) mit Saadi Gaddafi verbündeten, der die Gründung einer puritanischen Schule für sie in einer der Moscheen von Tripolis finanzierte.
Diese Gruppe hat wiederholt versucht, die Stabilität unseres Landes zu untergraben, um ihre feindlichen Ziele zu erreichen. Zu diesem Zweck zündete sie Bomben an den Gräbern von Heiligen, zerstörte Orte der Anbetung, brannte religiöse Schulen nieder, plünderte Bibliotheken voller seltener und unbezahlbarer Manuskripte, und entführte und folterte Dutzende jener, deren einziges Verbrechen es war, ihre Fehler zu widerlegen oder ihrer Zerstörung Einhalt zu gebieten, wie dies in Zliten geschah. Dabei handelten radikalere Elemente des Sicherheitsrates als ihre Komplizen.
Diese Verräter wurden von einer Schule inspiriert, die unseren verehrungswürdigen und einheimischen Traditionen gegenüber feindlich eingestellt ist. Eine Denkschule, die aus den fehlerhaftesten Positionen besteht, die im Gegensatz zur Lehre der überwältigenden Mehrheit der Gelehrten steht.
Der Übergriff auf ein Grab und die Exhumierung seiner Bewohner ist eine schwerwiegende Tat im Islam. Der klassische Jurist Malik überlieferte in seiner Muwatta, dass der Prophet, möge Allah ihm Frieden geben, jene verfluchte, die die Gräber anderer öffneten. Ebenso erklärte der Prophet, möge Allah ihm Frieden geben: ‘Das Zerbrechen der Knochen eines toten Muslims ist genauso schwerwiegend wie das Brechen seiner Knochen, wenn er am Leben wäre.’ Und bei der Beerdigung der Ehefrau des Propheten wies Ibn ‘Abbas die Leichenträger an: ‘Wenn ihr die Bahre anhebt, stellt sicher, dass sie nicht hin- und hergeschüttelt wird, sondern tragt sie mit der größten Vorsicht.’ Es sollte sich von selbst verstehen, dass das Öffnen des Grabes einer Person und seine Detonation umso vieles blasphemischer ist. Diese Abtrünnigen behaupten, dass der Besuch der Gräber von Heiligen gleichbedeutend mit Götzendienst sei. Der Prophet, möge Allah ihm Frieden gewähren, widersprach einer solchen Ansicht: ‘Obwohl ich euch früher verboten habe, die Gräber der Leute zu besuchen, so fühlt euch frei, dies nun zu tun. Denn ihr Besuch ist eine Erinnerung an die eigene Sterblichkeit.’ Ganz abgesehen davon, widerspricht dies [die obige Meinung] der allgemein anerkannten Praxis der muslimischen Gesellschaft seit ihrem frühesten Anfängen. Wenn einige Leute die Heiligen unter Ausschluss Gottes anbeten, dann liegt das an ihrer Unwissenheit und ist in keiner Weise eine Rechtfertigung für die Zerstörung solcher Orte oder die Ermordung ihrer Aufseher.
Der libysche Großmufti veröffentlichte jüngst eine Fatwa, welche die Zerstörung einer Moschee neben eines Grabes erlaubte. Diese Fatwa war gleich aus mehreren Gründen unpassend. Zuerst einmal sollte der Mufti genau wissen, dass alle Gräber in Libyen, die bei einer Moschee sind, ausnahmslos vom eigentlichen Gebetsraum getrennt sind. Zweitens baute der Mufti seine Fatwa auf der isolierten Meinung des mittelalterlichen Juristen Ibn Taimija auf, den er als „den großen Weisen das Islam (Schaikh Al-Islam)“ beschrieb. So, als hätte es nicht unzählige andere Gelehrte gegeben, denen dieser Ehrentitel verliehen worden wäre. Es ist Fakt, dass die sehr große Mehrheit der muslimischen Gelehrten kein Problem darin sah, wenn ein Grab neben einer Moschee liegt, wie es in unserer Gesellschaft der Fall ist.
Wie dem auch sei, die große Moschee von Medina enthält nicht nur das Grab unseres Propheten, Allahs Friede sei auf ihm, sondern auch die seiner engsten Gefährten Abu Bakr und ‘Umar. Und kein einziger Muslim aus der Generation des Propheten hat jemals gemeint, man müsste ihre Überreste aus dem Moscheebereich entfernen oder dass die Moschee verlegt werden sollte. Des Weiteren unterstreicht die Tatsache, dass die Prophetengefährten darüber diskutierten, ob sie den Körper des Propheten, Allahs Friede sei auf ihm, nicht unterhalb seines Minbars beerdigen sollten, die Annehmbarkeit dieser Handlung.
Und der Prophet selbst, Allahs Friede sei auf ihm, befahl, dass ‘ein Prophet dort bestattet werden muss, wo er seinen letzten Atemzug tut’. Und die Dame ‘Aischa, die sehr kenntnisreich im islamischen Recht war, verrichtete das Gebet neben seinem Grab. Drittens, der Mufti hat der [Rechts-]Meinung der dominanten Rechtsschule hier in Libyen – der malikitischen – widersprochen, selbst wenn er sich ihrer Regeln durch das Fatwa-Recht verschrieb, das er selbst entworfen hatte.
Darauf folgt: Diejenigen, die Zivilisten ermorden und unser Erbe zerstören, sind Abtrünnige, die Allahs Recht herausfordern. Der Islam fordert von uns, ihnen Einhalt zu gebieten und sie für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, denn unser Herr hat in der Schrift gesagt: ‘Der Lohn derjenigen, die Krieg führen gegen Allah und Seinen Gesandten und sich bemühen, auf der Erde Unheil zu stiften, ist indessen (der), dass sie allesamt getötet oder gekreuzigt werden, oder dass ihnen Hände und Füße wechselseitig abgehackt werden, oder dass sie aus dem Land verbannt werden. Das ist für sie eine Schande im Diesseits, und im Jenseits gibt es für sie gewaltige Strafe’ (Al-Maida, 33) und ‘wer ist ungerechter, als wer verhindert, dass an Allahs Gebetsstätten Sein Name genannt wird, und sich bemüht, sie zu zerstören? Jene sollen sie nur in Furcht betreten. Für sie gibt es im Diesseits Schande und im Jenseits gewaltige Strafe.’ (Al-Baqara, 114)
Schlussfolgerung: Es ist die Verantwortung der Nationalversammlung und der Übergangsregierung, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Abtrünnigen abzuschrecken und sie zur Rechenschaft zu ziehen; wieder aufzubauen, was diese zerstört haben und wieder zu erlangen, was von ihnen gestohlen wurde; aber auch jene im Sicherheitsapparat zur Verantwortung zu ziehen, die ihr Amt verrieten, als sie jenen Kriminellen halfen.
Gleichermaßen ruft die Liga der Libyschen Gelehrten die geehrte Nationalversammlung und die Übergangsregierung auf, Druck auf die Regierung von Saudi-Arabien auszuüben, ihre Kleriker im Zaum zu halten, welche sich auf folgende Weise in unsere Angelegenheit einmischen: Die Bereitstellung von Intensivkursen für libysche Jugendliche, bei denen diese einer Gehirnwäsche mit extremistischen Ideen unterzogen werden. Wo ihnen gelehrt wird, den saudischen Klerikern die Treue zu schwören, unter Ausschluss ihres Herrn. Die Verteilung von kostenlosen Büchern und Aufnahmen in Libyen, mit denen unsere, ausgeglichenen religiösen Traditionen angegriffen werden. Und die Bombardierung der einfachen Masse mit der Propaganda, dass libysche Gelehrte alle wertlos seien und dass ihnen kein Gehör geschenkt werden sollte. Dementsprechend sollte angesichts der augenfälligen Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten gegenüber der Arabischen Liga und der Organisation für die Islamische Zusammenarbeit eine formale Beschwerde eingereicht werden.
Die Verletzung der schwerwiegenden Pflicht zur Sicherheit und Stabilität unsere Landes ist eine Pflichtverletzung, wie der Prophet, möge Allah ihm Frieden geben, selbst sagte: ‘Diejenigen, die sich nicht aktiv um das Wohlergehen der muslimischen Gemeinschaft sorgen, sind kein Teil von ihr.’“