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Der KRM scheint vor der Auflösung – ist das Teil eines Problems, oder eher die Lösung?

(iz). Vor jeder Reflexion oder Kritik am organisierten Islam in Deutschland, muss natürlich für alle beitragenden Akteure zunächst die Selbstkritik stehen. Salopp gesagt, „nobody is perfect“ und es ist für den neutralen Beobachter immer leichter zu kritisieren, als selbst aktiver Teil einer positiven Lösung zu sein. Natürlich ist es aber auch für uns Muslime legitim, sich an den inhaltlichen Debatten zu beteiligen und auch öffentlich auf diverse Widersprüche hinzuweisen. Kein Verband darf sich heute noch ernsthaft über dieses Phänomen beklagen, gerade auch, weil sich viele Verbandsvertreter selbst inzwischen gerne in den Medien positionieren. Eine ganz andere Frage ist es, ob eine echte innerislamische Debatte – im Vergleich zum kühlen Austausch von Pressemitteilungen – immer noch der bessere Weg wäre, um gemeinsam auf dem Teppich zu bleiben.

Wer sollte aber so einen konstruktiven Austausch organisieren? Beinahe ironisch klingt es heute, wenn man hier zunächst an einen „Koordinationsrat der Muslime“ denken sollte. Mit diesem Anspruch, eine Vertretung der Muslime zu sein – und großen Hoffnungen – ist der KRM 2007 an den Start gegangen. Der erste KRM-Sprecher, Ayyub Axel Köhler, erklärte damals selbstbewusst der „Mitteldeutschen Zeitung“: „Wir vertreten viel mehr Leute, als bei uns Mitglied sind.“ Der damalige Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, pries ausdrücklich die „Handlungsfähigkeit“, welche die Muslime mit der Gründung des KRM bewiesen hätten. Das war gestern. Die Macher zeichnen sich in diesen Tagen eher durch Wortkargheit gegenüber ihrer eigenen Basis aus und klären kaum öffentlich auf, was die Lage des Rates wirklich ist.

Heute, einige Jahre nach der vollmundigen Ankündigung einer neuen Einheit der Muslime, scheint der KRM nach internen Querelen jedenfalls kaum noch handlungsfähig. Vielleicht wird er künftig nur noch den jährlichen Ramadankalender und eine Pressemitteilung zum Eid-Fest veröffentlichen. Will man verstehen, warum das so ist, muss man sich zunächst über die Konstruktionsfehler des Über-Verbandes klar werden. Tatsächlich ist das Scheitern des zentralen Koordinierungsgremiums der Muslime auf Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht wirklich überraschend. Dies hat weniger mit den involvierten Persönlichkeiten zu tun, sondern eher mit den oft unreflektierten Techniken der Macht, an die uns der politische Islam über die Jahre gewöhnt hat.

Es wäre tatsächlich ein Feld für sich, über Phänomene wie „islamischer“ Staat und „islamischer“ Verein und den aus diesen Formen entstehenden Habitus grundsätzlich nachzudenken. Hierher gehört auch die Historie der beteiligten Verbände; oft von Immigranten gegründet, die im deutschen Vereinsrecht zunächst die einzige mögliche Organisationsform für ihre muslimischen Anliegen vorfanden. Es ist keine Nebensächlichkeit, dass das eigentlich zentrale Anliegen politischer Formation im Islam, die lokale und unmittelbare Verteilung der Zakat, in dieser Rechtsform gerade nicht nach altem Vorbild umgesetzt wurde. Über Jahrhunderte war die Erhebung und gerechte Verteilung der Zakat die Legitimationsbasis politischer Führung überhaupt. Den organisierten Islam interessierte die korrekte, dezentrale Umsetzung dieser Säule des Dins weniger. Er strebte durch Mitgliedsbeiträge, Zakat-Zahlungen ins Ausland und durch die Mehrung der Vereinsmitglieder in erster Linie nach dem profanen Machtzuwachs, der mittels Vereinsrecht erreichbar schien. Das unterschwellige Machtkalkül der Verbände stellte aber auch die Idee einer echten Einheit der Muslime von Beginn an in Frage.

Da muslimische Vereine sich gerade ihrer inneren Struktur nach und nur über die eigene Machtsteigerung definieren, war die Idee einer politischen Einheit der Verbände von jeher fragil. Bisher war es für jede Organisationen unausgesprochen klar, dass eine Zeitung, die Schule oder die Moschee die „eigene“ sein müsse.

Die Idee einer offenen Infrastruktur dagegen – zum Beispiel Stiftungen, die den Muslimen an sich gewidmet ist und außerhalb der eigenen Machtstruktur verortet wird – blieb diesem Denken naturgemäß fremd. Im Organisationsmuster wurde die Lehre dem politischen Willen der Verbände untergeordnet und die „ökonomischen Akteure“ – zum Beispiel die erfolgreichen muslimischen Geschäftsleute – organisatorisch ausgegrenzt.

Es gab aber noch andere Probleme, die der Koordinationsrat von Beginn an nicht überwinden konnte. Die unterschiedlichen Mitgliederzahlen der Beteiligten hätten jeden demokratischen Prozess in dieser politischen Einheit ad absurdum geführt. Die Folge war ein lähmendes Vetorecht des größten beteiligten Verbandes, der DITIB. Eine starke, gar den Verbänden übergeordnete Führungsebene des Koordinationsrates war aber auf dieser Grundlage des Politischen von vornherein undenkbar; hätte sie doch von einer übergeordneten Ebene aus agieren können. Unter diesen Umständen durfte der KRM weder finanziell, noch personell wirklich erstarken.

Vielleicht wäre es immer noch möglich, etwas guten Willen vorausgesetzt, diese Konstruktionsprobleme durch eine kleinere, aber effektive Agenda zu überwinden. Natürlich könnte zum Beispiel eine würdige Repräsentanz der Muslime in Berlin wünschenswert sein. Nach wie vor gibt es einigen Koordinationsbedarf und nach wie vor gilt das Argument, dass ein Untergang des KRM letztlich auch die gesellschaftlichen Ansprüche der Muslime schwächen würde. Es ist schon jetzt absehbar, das kleinere Verbände leichter gegeneinander ausgespielt werden können. Tatsächlich scheint diese pragmatische Möglichkeit einer pro forma Einheit nun auch durch persönliche Konflikte erschwert.

Der Streit um den agilen, an sich aber relativ kleinen „Zentralrat“ der Muslime (ZMD) unter Führung seines Vorsitzenden, Aiman Mazyek, zeigt hier das aktuelle Dilemma. Seine Stärke sind weniger die großen Mitgliedszahlen, als das „symbolische Kapital“, das sich der Vorsitzende Mazyek über jahrelange Medienarbeit hart erarbeitet hat. Während die türkischen Verbände nur langsam und mühsam eine Sprache für den Diskurs fanden, hat Mazyek längst schon viele unterschiedliche Themenfelder auf öffentlicher Bühne besetzt.

Nicht immer ist der Entscheidungsprozess dabei transparent und oft wirkt es für Außenstehende, als würde hier sogar im Namen aller Muslime gesprochen. In der letzten Pressekonferenz des ZMD – aufgeschreckt durch Angriffe der Partnerverbände, die den Vorwurf lanciert hatten, der ZMD würde sich auf Kosten aller Muslime profilieren – stellte Mazyek dann klar, dass man keinen Anspruch auf Vertretungsmacht aller Muslime stelle und sich zunächst eben alleine entwickeln wolle. Und – etwas gönnerhaft – fügte die Vizechefin des ZMD Soykan hinzu, es könnten ja auch die anderen Verbände die öffentliche Bühne suchen.

So tritt Mazyek weiter auf, hält Festreden auf der Dresdner Opernbühne, diskutiert mit dem DFB, bekommt das „Seniorensiegel“ verliehen und ist so beinahe täglich in den Medien präsent. Spätestens seit seinem Ausflug mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, einem Duzfreund Mazyeks, in die Golfregion, begegnet dem umtriebigen ZMD-Chef dabei auch des Öfteren Neid und Missgunst. Sachlicher wirkt die Kritik, dass er – übrigens ähnlich wie SPD-Chef Gabriel – recht sprunghaft Positionen und Themen wechselt. So war bei seinem heftig kritisierten Vorstoß für ein Islamgesetz nach österreichischem Vorbild schnell nicht mehr klar, ob er denn ursprünglich dafür oder dagegen war. Allerdings wirkte sein Seitenhieb gegen die Fremdfinanzierung türkischer Imame dann schon wie das bewusste Durchtrennen der Freundschaftsbande mit den türkischen Partnern.

Es ist keine Frage, dass Aiman Mazyek immer wieder die muslimische Sache wortgewaltig vertritt. Sein Gespür für die Situation, zum Beispiel bei der Organisation der Berliner Mahnwache gegen den Terrorismus, die er mit Unterstützung großer Parteien perfekt inszenierte, rechtfertigt noch keine Ablehnung. Er hat auch Recht, wenn er postuliert, dass Muslime in Deutschland endlich ankommen müssen. Es wäre sogar logisch und für alle Muslime naheliegend, dass er mit seinen Talenten auch dem Koordinationsrat etwas mehr Leben verleiht. Nur, auch hier holt ihn eben die Logik der Machtansprüche wieder ein.

Die türkischen Verbände fürchten, dass ein agiler KRM-Sprecher oder selbstbewusster Generalsekretär inhaltliche Fakten schaffen könnte. Gleichzeitig hört man aus den Reihen der DITIB, dass man an einem zentralen Verband sowieso wenig Interesse habe; man befürchte eine Art kirchliche Struktur, die dem pluralen Charakter des Islam eben nicht entspreche. So sagt man wohl in diplomatischen Worten Adieu zu den Bemühungen, übergeordnete Koordination weiter gedanklich zuzulassen.

Im Ergebnis wird wohl jeder wieder für sich bleiben und ZMD-Boss Mazyek wird so künftig – wie bereits angekündigt – in erster Linie den Ausbau des Zentralrats vorantreiben. Im schlimmsten Fall wird er dabei als geschickter ­Stratege, und mit entsprechender Medienunterstützung, das Markenzeichen „liberal“ für seinen Verband beanspruchen und die antiquierte Dialektik „Konservative gegen Liberale“ für sich und seine Organisation nutzen. Die so überfällige wie mühsame Einebnung der des­truktiven Logik von „Liberalen gegen Konservative“ wäre damit „politisch“ wieder aufgehoben.

Was also tun? Vielleicht ist es de facto einfach ehrlicher, die plurale Struktur unserer Gemeinschaften zu akzeptieren. Zumindest das Ausloten gemeinsamer Interessen sollte dies natürlich nicht ausschließen. Es droht damit die weitere Verödung der innerislamischen Diskussionen, schon jetzt drehen sich die Verbände viel zu sehr um sich selbst. Andererseits, ist es vielleicht auch einfach an der Zeit, die gewohnte Bevormundung durch politische Vereine und den facettenreichen politischen Islam an sich in Frage zu stellen. Es erinnern sich viele schließlich an die zeitlose islamische Weisheit: „Wer die Macht für sich will, ist dafür am Wenigsten geeignet.“

Für nicht wenige Muslime sind es bereits heute die anderen, unverzichtbaren Elemente islamischen Zusammenlebens – wie Stiftungen, NGOs und unabhängigen Gemeinden –, die Querverbindungen zwischen den Muslimen herstellen, sich bewusst dem Machtspiel entziehen und wichtiger geworden sind, als der ewige Tanz um die Macht.

Eine anderer Trend kündigt sich ­ebenso an. Viele junge Muslime an der Basis können mit dem Zentralismus der 1980er Jahre wenig anfangen. Sie sind in Deutschland zu Hause und leben auch nicht mehr mit der Logik ethnischer Trennlinien. Sie wollen etwas vor Ort tun, keine Bürokratie aufbauen und nicht nur Befehlsempfänger sein. Als Organisationsmodell der Basis, die den höchsten gemeinsamen Nenner sucht, wie die Zakat, bietet sich von jeher das Umfeld lokaler Moscheegemeinden an. Den jungen Leuten geht es dort weniger um Repräsentation, als um die alltäglich gelebte und immer mögliche Erfahrung der Einheit im Rahmen überzeugender Wissensvermittlung. Wenn sie Parteiatmosphäre erleben wollen, dann gehen sie eben gleich in die Politik. Eine starke, „verjüngte“ Basis wird auch ohne Mühe die Verhältnisse umkehren; also von unten nach oben ermächtigen, statt von oben nach unten dominiert zu werden.

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Ersin Özcan: „Ich halte die Diskussionen für sehr unglücklich“

(iz). Die Debatten rund um das Islamgesetz in Österreich haben in den letzten Wochen auch Muslime und Politik in Deutschland beschäftigt. Forderungen nach einem ähnlichen Gesetz wurden auch hier laut. […]

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Am Freitag setzten hunderte Moscheen ein deutliches Zeichen

„Natürlich wird es von muslimischer Seite nicht genügen, sich medial als ‘die Guten’ zu inszenieren. Auch innermuslimisch gilt es, die Debatte über die unheimliche Hochzeit von Muslimen mit den Abgründen moderner Ideologie weiter fortzuführen.

Berlin (iz). Die Arbeit der muslimischen Verbände in Deutschland wird immer wieder kritisiert. „Sie seien zu phlegmatisch, je nach Sicht zu konservativ oder zu liberal und noch immer an ethnischen Trennlinien orientiert“, heißt es dann. Am Freitag erleben wir nun auch eine andere Seite.

Unter Regie des Koordinationsrates der Muslime (KRM) und nicht zuletzt Dank des Einsatzes des sehr präsenten Zentralratsvorsitzenden, Aiman Mazyek, wollen hunderte Moscheen in Deutschland ein deutliches Zeichen gegen den IS-Terror setzen. Ohne einen bestimmten Grat von Organisation geht so etwas nicht. Auch die Teilnahme prominenter Politiker zeigt, dass auch das politische Leben der Bundesrepublik den Impuls aufnimmt und parteiübergreifend keine Ausgrenzung von Muslimen oder gar eine feindliche Stimmung gegen sie will.

Natürlich hat das Projekt auch eine heikle Seite. Ob die De-Assoziierung tatsächlich gelingt oder im schlimmsten Fall die Assoziierung der Muslime mit Gewalt und Terror gerade zementiert wird, kann noch niemand genau vorhersagen. Wer mit jungen, hier in Deutschland geborenen Muslimen spricht, erfährt schnell, dass der Druck der Bilder auf sie täglich zunimmt. Erwartet werden von Ihnen Aussagen der Distanzierung von einem Phänomen, mit dem 99,9 Prozent der hier gebürtigen Muslime de facto wenig zu tun haben. Die Macht der Bilder verbindet die Gewalt mit Symbolen des Islam. Viele junge Leute fühlen sich ohnmächtig, manchmal auch überfordert, sich für Taten rechtfertigen zu müssen, die jenseits ihres Horizonts liegen.

//2//Gewiss ist diese Lage auch ein Fest der Assoziationstechniker. Mit Gegnern wie den „IS-Kämpfern“ oder „Scharia-Polizisten“ hat das Feuilleton einen idealen Feind gefunden. Die Tendenz der Argumentation läuft oft genug nach dem beliebten Motto „wir sind so gut, weil sie so böse sind“. Diese Logik, auch in der Form der Überheblichkeit, erleben wir Muslime übrigens auch im alltäglichen Gespräch.

Wir müssen beinahe selbstverständlich kollektive Verantwortung übernehmen, während das Individuum, dass uns stellt, diese genauso selbstverständlich nur für sich selbst übernimmt. Die Machenschaften von Banken, Rüstungs- und Ölfirmen sind von echter Verantwortungsübernahme ojnehin längst ausgeschlossen. Hinzu kommt eine verbreitete Geschichtslosigkeit. Wer erinnert sich beispielsweise noch – in der Atmosphäre von „Breaking News“ – an den Tod zehntausender Kinder zu Zeiten des UN-Embargos, das über den Irak verhängt wurde?

Natürlich wird es von muslimischer Seite nicht genügen, sich medial als „die Guten“ zu inszenieren. Auch innermuslimisch gilt es, die Debatte über die unheimliche Hochzeit von Muslimen mit den Abgründen moderner Ideologie weiter fortzuführen. Im Fall der Abgrenzung zur maskierten Grausamkeit der IS ist dies eher eine leichte Übung, schwieriger wird es schon, den Muslimen die Distanzierung von der Ideologie der Hamas – von ihrem Vernichtungswillen bis zu ihrer totalen Opferbereitschaft – gerade in Krisenzeiten abzuverlangen. Die völlige Ächtung von Selbstmordattentaten und selbstmörderischer Kriegsführung an jedem Ort gehört auf jeden Fall ebenso hierher. Diese Frage ist besonders akut, weil die Sorge der Sicherheitsbehörden vor heimkehrenden, verrohten Radikalen vollkommen berechtigt ist.

Wenn der „perfekte Muslim“ kein isoliertes, rechtloses Individuum ist, sondern ein sozialer und solidarischer Mensch, dann werden die Muslime immer den gemeinsamen Weg bevorzugen und auch gemeinsam den Extremen die Stirn bieten. Nötig für diesen Zusammenhalt ist eine so aktive wie auch überzeugende Lehre, die auch intellektuell die spezifischen Anforderungen unserer Zeit erfüllt. Einerseits heißt dies, die Geschichte der politische Begriffe, die wir heute anwenden, zu verstehen und andererseits die Substanz unsere Rechtslehre, zum Beispiel die Definition, wann legitimer Widerstand zum zynischen Terror wird, zu verbreiten. Hier fehlt es bei dem aktuellen KRM-Programm noch an eindeutigen Positionierungen.

Klar ist: Die Gesellschaft wird auf Dauer nicht nur wissen wollen, gegen wen wir sind, oder was der Islam nicht ist; sondern auch wissen wollen, für was wir stehen. Ohne diese Ergänzung bleibt unsere Realität von Extremisten bestimmt. Eine Lehre, die sich substantiell vom Terror abwendet, wird sich auch genauso engagiert und glaubwürdig für ihre positive Substanz einsetzen müssen. Gerade hier, wenn wir die Ganzheitlichkeit des Islam betonen und damit gerade seine völlige Politisierung der letzten Jahrzehnte ablehnen (man denke nur an das Islamische Wirtschafts- oder Stiftungsrecht), ergibt sich auch eine andere Aktualität. Nur dann bleibt für uns Muslime auf Dauer nicht nur die reaktive Rolle.

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Kommentar zu den Chancen, die muslimische Selbstorganisation der politischen Bevormundung zu entziehen

(iz). Die Präsenz des Islam in Deutschland hat in den letzten Jahren auch zu neuen Organisationsformen geführt. Aus dem politischen Islam sind die Verbände hervorgegangen, die sich heute als Interessenvertretung […]

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Lassen sich aus den Brandanschlägen Bedeutungen für die muslimische Gemeinschaft ableiten?

(iz). Nach einer Brandstiftung durch Unbekannte auf eine Bielefelder Moscheegemeinde am 11. August kam es am Morgen vom 18. August zu einem weiteren Anschlagversuch auf eine andere Lokalität. Laut Berichten […]

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Was zeigt uns das Werk von Ibn ­Khaldun? Von Abu Bakr Rieger

(iz). Seit nunmehr einem Jahrzehnt versuchen wir als EMU die verschiedenen Facetten des Islam in Europa zu beleuchten. Zweifellos ist es gerade auch die Präsenz der europäischen Muslime, die deutlich macht, dass der Islam keinesfalls ein Phänomen der Fremde darstellt. Über Jahrhunderte hat der Islam tiefe Spuren in der Geschichte Europas hinterlassen. Hierzu gehört natürlich insbesondere das historische Erbe der Muslime Südost- und Osteuropas, Siziliens und Andalusiens. Man kann wohl mit Recht sagen, dass ohne das Studium der jahrhundertelangen Präsenz in Andalusien das Bild des Islam in Europa zutiefst unverstanden bleiben muss. Oh­ne klare Kenntnisse der Geschichte des Islam, wird es uns auch schwer fallen, den destruktiven Einfluss muslimischer Ideologen und Fanatiker auf das Erscheinungsbild der Muslime zurückzudrängen.

Genauso gilt es für ein tieferes Verstehen der islamischen Lebenspraxis, die großen Denker und Philosophen aus Ost und West und ihr Verhältnis zum Islam in Europa in Erinnerung zu rufen. Viele europäische Philosophen sahen im Phänomen der Einheit, für die der Islam ja steht, eine faszinierende Möglichkeit, das Denken und die Religion zu versöhnen. Im Februar 2013, um nur ein Beispiel zu nennen, hat unser NGO in Weimar, in einem Seminar über das Werk Johann Wolfgang von Goethes, diese facettenreiche Beziehung näher beleuchtet. Von Goethe selbst stammt ja auch der berühmte Satz: „Wenn Islam Gottergebenheit heißt, leben und sterben wir alle im Islam“.

Nachdem wir vor zwei Jahren über das Werk Rainer Maria Rilkes in Ronda nachgedacht haben, haben wir uns im Juni diesen Jahres vorgenommen, das Werk Ibn Khalduns in einen europäischen Kontext zu setzen. Der Historiker Arnold Toynbee sieht in ihm einen der „brillantesten und scharfsinnigsten Geister und einen der größten Historiker den die Menschheit je hervorbracht hat“.

Ibn Khaldun ist aber nicht nur Historiker, sondern auch ein bedeutender Rechtsgelehrter und überzeugter Verteidiger des Sufismus. Wie alle großen Persönlichkeiten und Denker der Vergangenheit, besticht das Werk Ibn Khalduns durch seine bemerkenswerte Aktualität. Ich möchte in aller Kürze versuchen, einige Leitgedanken Ibn Khalduns für die Deutung der Lage Europas, aber auch für die Situation der Muslime in Europa, hervor zu heben. Natürlich verführt die berühmte These Khalduns, die vom unaufhaltsamen Auf- und Abstieg aller Zivilisationen handelt, zunächst zu der Frage, wie es diesbezüglich um Europa steht. Wo steht also Europa heute?

Pessimisten sprechen bereits vom Untergang der europäischen Kultur zugunsten einer entleerten Weltkultur. Sie befürchten Überfremdung und immer neue unlösbare Probleme der Immigration. Es ist von der Krise des Christentums die Rede oder gar von einem bevorstehenden Kampf „heimischer“ und „fremder“ Kulturen innerhalb der Grenzen Europas. Verstärkt wird der neue Pessimismus durch die prekäre ökonomische Lage, in der wir uns in den Jahren der Finanzkrise befinden. Gerade die europaweit praktizierte Inflationskultur, die beinahe zwanghaft immer größere Geldmengen in Umlauf bringt, gibt dem Denkenden tatsächlich Anlass für wachsende Sorgen. Tatsächlich sind, gerade aus der Sicht Ibn Khalduns, Luxus, Konsum und Schulden – wie wir in seinen Werken lernen – sichere Zeichen einer zerfallenden Zivilisation. Auch die rettende Idee ewigen Wachstums, die in Europa nach wie vor bestimmend ist, kann vor seiner ökonomischen Vernunft sicher nicht bestehen.

Ein bedenkliche Folge dieser geistigen Krise und der Zunahme des neuen Pessimismus in Europa kann man – ich erinnere nur an den Ausgang der Europawahlen 2014 – in dem Erstarken rechter und nationalistischer Parteiungen sehen, die mit dem Vorschlag antreten, den kulturellen Zerfall und den Identitätsverlust Europas mit einer Wiederbelebung nationaler Ideen aufzuhalten. Das Beispiel der faschistoiden „Front National” in Frankreich zeigt den Trend, den alten Antisemitismus durch eine neue Islamfeindlichkeit zu ersetzen und die Muslime gar als Fremde ohne eigene Bürgerrechte einzustufen.

Das Motto der neuen Nationalisten ist eher simpel: „Wir sind Europäer, weil sie es nicht sind!“. Der neuen „rechten“ oder „nationalen“ Bewegung fällt es deutlich leichter, den Feind, den Gegner zu definieren, als etwa den positiven Inhalt einer neuen europäischen Kultur. Sie haben keine erneuerte Kultur anzubieten. Infam ist auch der Versuch, sogar in Europa geborene Muslime nicht als Europäer und als natürliche Träger allgemeiner Bürgerrechte zu sehen. Auch ökonomisch hat der neue rechte Populismus, nebenbei erwähnt, kein Konzept, wie eine neue „Nationalökonomie“ unter den globalen Bedingungen der Finanzmärkte bestehen kann.

Diese Bewegung nutzt auch – ob wir Muslime wollen oder nicht – immer öfter der wachsenden negativen Haltung vieler Europäer gegenüber dem Islam. In Deutschland sind, nach einer Untersuchung der Universität Leipzig, inzwischen 56% der Bevölkerung gegen eine weitere Zuwanderung aus der islamischen Welt. Zwar geht die Plage des Antisemitismus auch in Deutschland zurück, allerdings auf Kosten neuer Feindbilder, insbesondere einer wachsenden Ablehnung gegenüber dem Islam. Wir als Muslime müssen uns dabei Sorgen machen, dass islamfeindliche Positionen auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Wulff, der nach 598 Tagen von seinem Amt zurücktreten musste, hat gerade in seinen Erinnerungen berichtet, wie sehr sein Bekenntnis „der Islam sei Teil Deutschlands” ihm Feindschaft und Gegnerschaft eingebracht hat.

Wir Muslime müssen also jetzt mit dafür Sorge tragen, dass sich in Europa ein neuer Optimismus durchsetzt. Wenden wir uns also nun der Anderen, der optimistischen Sichtweise zu.

Tatsächlich ist die Frage, wie Europa mit dem Islam umgeht, für den Charakter des künftigen Europa von entscheidender Bedeutung. Natürlich sind gerade wir, die europäischen Muslime, in unserer Heimat gefragt, an dieser Debatte aktiv teilzunehmen. Als Muslime, von Natur aus den Mittelweg suchend, wenden wir uns gleichermaßen gegen Modelle des provinziellen Nationalismus oder eines weltstaatlichen Zentralismus. Enorm wichtig ist für uns dagegen der soziale Zusammenhalt der gesamten Bevölkerung auf lokaler Ebene. Auch hier finden wir bei Ibn Khaldun einen weiteren Schlüsselgedanken: Assabiyya.

Der Begriff entzieht sich zunächst – wie so oft, wenn wir die eigenständige Terminologie des Islam benutzen – einer eindeutigen Übersetzung in eine europäische Sprache. Es handelt sich hier um die Benennung des sozialen Bindegliedes, den gemeinsamen Nenner zwischen den Menschen, der ihrer aktuellen politischen Natur und ihrem Status entspricht. Dieses setzt dabei immer eine freie Entscheidung voraus, welche ökonomischen, politischen, sozialen oder kulturellen Elementen gemeinsames Handeln ermöglichen soll. Ibn Khaldun wendet sich mit diesem Begriff gegen einen reinen Individualismus, der nach seiner Auffassung nicht der politischen und sozialen Natur des Menschen entspricht.

Nach Ibn Khaldun ist die höchste Form von Asabiyya die „religiös“ motivierte. Sie geht über das provinzielle Stammesdenken hinaus. Aus islamischer Sicht hat diese höchste Form der Assabiyya nichts mit Nationalismus oder der Dominanz einer bestimmten Kultur zu tun. Natürlich kann ich Spanier, Engländer oder Deutscher und gleichzeitig Muslim sein. Bedauerlicherweise entsteht heute in Europa ein falscher Eindruck, da sie noch immer viele antiquierte Organisationen auf Grundlage ethnischer Abgrenzung und Ghettoisierung konstituieren.

Wir definieren dagegen europäische Muslime, die als Europäer die europäischen Sprachen sprechen und ihren sozialen, ökonomischen und kulturellen Beitrag leisten wollen. Ein wichtiges Bindeglied für unsere Gemeinschaften ist dabei die korrekte Erhebung der Zakat und nicht etwa die Herkunft oder ethnische Kategorien.

Klar ist, nur wenn wir die Beiträge des Islam für das soziale und ökonomische Leben öffentlich machen, können wir in Europa eine positive und selbstbestimmte Rolle spielen. Noch immer sehen viele Europäer nicht den zivilisatorischen Beitrag des Islam, der sich aber in der Forderung nach dem freien Markt, dem globalen fairen Handel, dem Wirtschaftsrecht oder den Stiftungen zeigt. Und – dies zeigt sich auch in dem Denken Ibn Khalduns – das islamische Denken setzt die europäische Suche nach der Einheit des Daseins und dem Verstehen der Lebensvorgänge fort. Hier, bei der Bestimmung der eigentlichen konstruktiven Thematik des Islam, hat die European Muslim Union eine zweifellos wichtige Rolle. In Sevilla wurde dabei deutlich, was der Begriff „Assabiyya” für uns europäische Muslime heute positiv ausmacht.

Debatte: Ramadan erinnert auch an unsere Gemeinsamkeiten

(iz). Kurz vor Ramadanbeginn hören wir Muslime immer wieder präsidial klingende Aufrufe nach mehr Geschwisterlichkeit; wir sollen das Konkurrenzdenken überwinden und unseren Idealen folgen. Natürlich sind diese Deklarationen gut gemeinte Denkanstöße, vor allem wenn, wir uns dabei an das berühmte Bild der Offenbarung erinnern: Die Welt ist ein Spiegel.

Unsere eigenen Organisationsformen sind es, die wir zunächst prüfen müssen. „Geht es uns nur egozentrisch um Machtsteigerung oder um den Dienst an der Gemeinschaft, die Förderung echter Geschwisterlichkeit?“, heißt zunächst die allgemeine Prüfformel an uns selbst.

Neben der allgemeinen Rhetorik ergeben sich in erster Linie aus dem Islam wichtige Kriterien. Sie sind übrigens durchaus nachprüfbar. So überwindet der Islam die dauerhafte Ausrichtung an bestimmten Ethnien und propagiert dagegen eine offene, geschwisterliche Gemeinschaft, die für jeden, der Dienst an der Gemeinschaft leisten will, gleich zugänglich ist. Der Islam bevorzugt eindeutig das Modell von Stiftungen; auch weil sie der politischen Kontrolle und ­Dominanz einer Elite entzogen sind und sich so selbstlos wie zuverlässig über Generationen hinweg anerkannten Zwecken und Zielen ­widmet.

Nicht zuletzt ist es die Zakat, die uns auf besondere Weise geschwisterliche Solidarität auferlegt. Sie wird lokal erhoben, verteilt und schafft so sozialen Zusammenhalt. Echte Transparenz ergibt sich dabei aus den dezentralen Verteilungsmechanismen, die vor unseren Augen ablaufen.

Brüderlichkeit heißt also auch, dass wir bei berechtigter Kritik nicht weinerlich sind, sondern uns den nachvollziehbaren Argumenten der Anderen stellen. Zur Koordination der unterschiedlichen Beiträge sind heute Initiativen einer muslimischen Zivilgesellschaft willkommen, die – gewissermaßen zum Ausgleich der „von oben nach unten“-Hierarchie – wirklich basisdemokratisch „von unten nach oben“ agieren und von keinem bestimmten Verband dominiert werden.

Dass wir Muslime „parteiübergreifend“ zu gemeinsamen Handeln durchaus fähig sind, zeigen unsere Hilfsaktionen – wie unlängst bei der Flutkatastrophe in Bosnien. Im Ramadan sollten wir uns also Zeit nehmen – neben dem konstruktiven Streit um die Sache –, die eigenen Grundlagen, aber auch Gemeinsamkeiten unserer Rechtsschulen, wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. (Von Abu Bakr Rieger)

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In der bleiernen Zeit der Alternativlosigkeit ­findet politische Bildung auch auf dem Bildschirm statt

„Unsere Politiker stecken unter einer Decke mit den Lobbyisten, die Banken schmeißen den Laden. Das ist die Struktur des Systems, in dem wir operieren.“ (Evgeny Morozov) (iz). Kramen wir in […]

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Kommentar: Muslime laden auch Politiker zum Fastenbrechen ein. Ist der Ramadan dafür der richtige Zeitpunkt?

(iz). Ist das Fastenbrechen eine gute Gelegenheit, gute Nachbarschaft zu pflegen und zum Iftar einzuladen? Natürlich! Jedes Jahr laden beispielsweise Hamburger Studenten völlig uneigennützig Muslime und Nichtmuslime ein.

Eine andere Frage ist es, ob solche Veranstaltungen zu einem politischen Schaulauf genutzt werden sollten. Hierzu passt ein denkwürdiger Eintrag eines Gelehrten in diesen Tagen auf Facebook: „Wenn man die Vielzahl an politisch motivierten Iftar-Einladungen derzeit ansieht, muss man befürchten, dass auf allen Seiten Angeln ausgeworfen werden und wir uns für ein Stück Brot fangen lassen.“ Hat er Recht?

Ein Beispiel in Köln. Der Zentralrat der Muslime (ZDM) hat zu seinem festlichen Abend gleich eine ganze Reihe bekannte Politiker geladen (hier der Artikel auf islam.de). Sogar die Bundesjustizministerin gibt sich die Ehre und setzt so ein bundesweit wahrgenommenes Zeichen. „Ja, die Muslime und ihre Riten gehören zu Deutschland“, will sie mit ihrem Kommen sagen. Sie fordert ganz nebenbei die bei vielen Muslimen populäre doppelte Staatsbürgerschaft. Ist das jetzt Wahlkampf einer FDP-Politikerin – im Ramadan – oder eben doch und in erster Linie eine überparteiliche, durchaus mutige Geste einer Ministerin?

Der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek sieht in diesen Iftar-Veranstaltungen mit Beteiligung der Politik eine wichtige Komponente der Anerkennung – wohl auch der eigenen Einrichtung – in Deutschland. Seit Jahren versucht er, eine positivere Öffentlichkeit für die Muslime in Deutschland zu schaffen und wird dafür übrigens – bei allem unermüdlichen Einsatz – ziemlich selten von Muslimen gelobt. Zweifellos hat Mazyek Verdienste. Zum Beispiel ist es ihm gelungen – wie wohl niemandem vor ihm –, die Sache der Muslime auch in wichtigen Medien unterzubringen.

Das Dilemma dabei ist offensichtlich: Denn „Öffentlichkeit“ hat in Deutschland ihren Preis. Wie kaum sonst auf der Welt wird politische Korrektheit im Detail kontrolliert und überwacht. Auf der ZDM-Veranstaltung betonte Mazyek dann gleich mehrfach, dass die „Muslime auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Die ausdrückliche Betonung erklärt im Grunde schon den Status der Muslime. Sie kommt „politisch“ gut. Nur, wer im Lande hat es noch nötig, derartige Binsenweisheiten – auch noch im Namen aller Muslime – extra zu erklären, so als müsse man dies in voreiligem Gehorsam der Politik gegenüber bekennen?

In diesen Tagen geht auch eine andere Pressemeldung des Zentralrats zum Thema ein (mehr dazu hier). US-Außenminister Kerry hat den ZDM-Vorsitzenden in die USA zum Fastenbrechen eingeladen. Auf seinem Twitter-Account kündigte Mazyek beinahe staatsmännisch an, in Washington „die Grüße der deutschen Community“ zu vermitteln. Die „Community“ ist natürlich deutlich größer als der relativ überschaubare Zentralrat der Muslime. Gefragt, ob sie das überhaupt so will, hat diese so große, wie leider unübersichtliche Bevölkerungsgruppe wohl auch keiner. Nicht nur das Selbstbewusstsein des ZDM löste in der folgenden Internetdebatte um die Reise auch einige Kritik aus. Zu Recht?

„Zweifellos gibt es bei Muslimen auch einigen groben Anti-Amerikanismus. Insoweit setzt Mazeyk ein durchaus positives, wichtiges Zeichen der Weltoffenheit deutscher Muslime“, sagen die Einen. „Das ist nur die Sucht nach Anerkennung“, die anderen. Mazyek selbst sieht den politischen Nutzen seiner Reise über den Atlantik eher nüchtern. Er will mit seiner Zusage natürlich nicht sagen, dass Amerika immer eine tolle Außenpolitik macht. Er hofft vielmehr, dass dieses amerikanische Beispiel der „Umarmung“ von Muslimen bald auch in Deutschland Schule machen könnte.

Es ist tatsächlich eine gute Pointe, dass ausgerechnet der US-Außenminister deutsche Muslime – manche „Verbandskritiker“ sprechen ja immer wieder boshaft von „Islamisten“ – freundlich empfängt. Immerhin eine Idee, die der Amtskollege in Berlin bisher jedenfalls nicht hatte. Nutzt da der Symbolgehalt der Reise nicht doch irgendwie allen Muslimen oder brauchen wir diese Art der Zeichensetzung – zudem in unserem Namen – gar nicht?

Letztendlich bewegt sich diese Debatte wieder um die alte Frage nach der Vertretungsberechtigung der muslimischen Dachverbände in Deutschland. Viele Muslime – auch die, die selber kaum aktiv sind – bemängeln die Arbeit der Organisationen, ohne gleichzeitig gute Alternativen hervorzubringen. Die Vorwürfe kann man auswendig aufzählen: Sie würden die Muslime kaum „überparteilich“ zusammenbringen, es gehe ihnen nur um die eigene Macht, sie seien zu träge, zu religiös oder zu wenig religiös. „Who knows“, sage ich da immer. Insbesondere, wenn es um die Beurteilung der inneren Motivation der beteiligten Muslime geht.

Aber zurück zum Kern der Geschichte. Das Kriterium einer guten, authentischen – nicht nur effekthaschenden – islamischen Öffentlichkeitsarbeit prüfe ich persönlich immer mit einer Kontrollfrage: Spricht derjenige oder diejenige auch über ernste und anspruchsvolle Themen wie die Zakat oder das Zinsverbot? Ja! Dann ist doch alles gut.

Der Verfassungsschutz auf „islamistischen“ Abwegen. Wenn Behörden Muslime stigmatisieren

(Deutschlandradio). Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll seine Arbeits­weisen überdenken. So will es der neue Präsident Hans-Georg Maaßen. Die deutschen Muslime hören diese Ankündigung wohl, aber nehmen sie mit Skepsis auf. Denn sie haben die Erfahrung machen müssen, dass Verfassungsschützer nicht etwa aufklären, sondern das muslimische Leben in Deutschland beeinflussen – einseitig und überhaupt nicht positiv.

Erst recht ist das Vertrauen in die Sicher­heitsbehörden enttäuscht, seit bekannt wurde, dass eine Serie von Fahndungspannen verhindert hat, die Morde der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) frühzeitig zu stoppen. Stattdessen verdächtigte die Polizei viele Jahre lang die Opfer und ihre Familien, Mittäter in einem kriminellen Milieu zu sein. Während der Verfassungsschutz im Bund wie in den Ländern geheimniskrämerisch die Strafverfolgung hintertrieb.

Und kürzlich berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ von einem lange schwe­lenden Konflikt im Bundesamt, der sich an islamfeindlichen und rassistischen Äußerungen entzündet habe. Sie werden ausgerechnet Mitarbeitern angelastet, welche die islamische Gemeinschaft zu beobachten haben.

Verfassungsschutzberichte markieren Muslime und deren Gemeinden nicht selten als „islamistisch“. Der Begriff ist so verbreitet wie unbestimmt. Über ­seine Deutung bestimmen Behörden und Islam­kritiker, nicht die Muslime selbst. Er stellt sie unter einen Generalverdacht, der weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und viele andere etwa leiden seit langen Jahren unter dieser „Herrschaft des Verdachts“.

Als „islamistisch“ könnten streng gläubige Muslime angesehen werden. Ihre Koranauslegung, ihre Lebensweise und ihr Wertekanon mögen nicht in die Moderne, in die westliche Gesellschaft passen. Aber heißt dies, dass sie deswegen gleich unfriedlich und gefährlich sind, vielleicht gar Extremisten, die Gewalt predigen und anwenden, außerdem Recht und Demokratie ablehnen? Das könnte so sein. Aber dann müsste ­ihnen dies auch konkret vorgehalten und nachgewiesen werden.

Muslime gehen gesellschaftlich einen ebenso weiten Weg, wie es vor ihnen evangelische und katholische Christen in Deutschland taten. Auch sie lebten und leben noch immer mit doppelten Standards, mit den religiösen in ­Familie und Gemeinde, mit den öffentlichen in der Politik. Gerade aus diesen Erfahrun­gen heraus sollte Muslimen, die um ihre Identität ringen, geholfen werden, sich in das demokratische Gemeinwesen allmählich hineinzufinden, anstatt ihnen Steine aus Vorurteilen in den Weg zu ­legen.

Das amtliche Verdikt, „islamistisch“ zu sein, wirkt verheerend in der Öffentlichkeit und grenzt aus. Journalisten beispielsweise übernehmen es gern, ohne eigene Recherchen anzustellen. Und auch viele Muslime lassen sich infizieren und distanzieren sich von so bezeichneten Moschee-Vereinen und Verbänden.

Das provoziert Gegenwehr. Dadurch haben Gruppen und Personen etwa aus dem salafistischen Milieu, die in der Tat extremistisches Gedankengut transportieren, einfaches Spiel – besonders ­unter jungen Muslimen. Noch weniger hat es mit einem säkularen Staatsverständnis zu tun, wenn Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter in der politischen Bildung unterwegs sind, als Islamismus-Experten vor pädagogischen Lehrkräften auftreten und über die „Grundlagen des Islams und muslimischen Lebens in Deutschland“ referieren. Es wäre wohl besser, sie überließen dies anderen.

Von Beamten und Behörden wird dagegen erwartet, dass sie differenzieren, die Mehrheit der Muslime davor schützen, mit einer problematischen Minderheit verwechselt zu werden. Wird etwa den Kirchen angelastet, wie viele Christen im kriminellen Milieu zu Hause sind? Denn so, wie der Begriff „islamistisch“, gebraucht wird, bezeichnet er nicht isla­misches oder religiöses, sondern kriminelles Verhalten.

Der Artikel wurde zuerst am 16.04.2013 als Audiobeitrag für das Deutschlandradio ­verfasst.