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Chancen und Herausforderungen der islamischen Religionsgemeinschaften

gebet gemeinschaft Religionsgemeinschaft

Zum Verhältnis von Religionsgemeinschaften und dem Staat. Ein Gastbeitrag von DİTİB-Generalsekretär Eyüp Kalyon.

(iz). Auf die neue Bundesregierung schauen auch die Muslime in Deutschland und ihre Vertreterstrukturen sehr genau und hören bei den Statements aufmerksam zu; so zum Beispiel bei ihrer Positionierung in globalen Konflikten wie in der Ukraine oder in Gaza. Ein Großteil der Muslime sind in Deutschland geboren, leisten ihren Beitrag für die Gesellschaft, übernehmen immer mehr Führungspositionen, deren Bedeutung als Wählergruppe stetig steigt. Von Eyüp Kalyon

Islamische Religionsgemeinschaften wie die DİTİB, der Islamrat in Deutschland, der Zentralrat der Muslime (ZMD), bosnische (IGBD)-, albanische (UIAZD)-, marokkanische Organisationen (ZRMD) sind Sprachrohe der muslimischen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und treten gegenüber Bundes-, Landes und Kommunalpolitik als Vertreter für die Mehrheit der Muslime in Deutschland auf.

Religionsgemeinschaften: Regierung sollte Gelegenheit erkennen

Die neue Bundesregierung sollte daher in den Beziehungen zu und in der Zusammenarbeit mit den Islamischen Religionsgemeinschaften eine wichtige Gelegenheit erkennen, die Partizipation und die Zugehörigkeit von Muslimen in Deutschland zu stärken. Dieser Prozess birgt große Chancen wie auch Herausforderungen.

Den Auftakt für dieses Spannungsfeld zwischen islamischen Religionsgemeinschaften und der neuen Bundesregierung stellt der Koalitionsvertrag dar, zu dem sich die Islamischen Religionsgemeinschaften kritisch äußerten.

Nicht ohne Grund: Denn darin werden Muslime fast nur mit Themen wie „Islamismus“, Auslandsbeziehungen oder Präventionsarbeit in Verbindung gebracht. Somit reduziert sich der Blick auf Muslime auf eine sicherheitspolitische Perspektive.

Genau das Gegenteil müsste der Fall sein: Langjährige Projekte und Kooperationen müssen vertieft werden, um die Verwurzelung des Islams und der Muslime in Deutschland auf unterschiedlichen Ebenen voranzutreiben.

Eine größere Akzeptanz ihrer positiven Beiträge und des Respekts gegenüber ihren Leistungen in unserer Gesellschaft wird zwangsläufig zur Stärkung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland führen. Genau das entzieht dem religiös begründeten Extremismus den Nährboden.

Warum Muslime negativ kontextualisieren?

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Christoph de Vries (CDU), bezeichnete in einem Interview die Erwartung der Islamischen Religionsgemeinschaften, nicht mehr in einem negativen Kontext erwähnt werden zu wollen, als „Wortklauberei“. Ist es falsch zu erwarten, dass der Name der eigenen Religion nicht ständig im negativen Kontext genannt wird? Ist es nicht leichtfertig, eine ganze Religionsgemeinschaft wegen einiger Fanatiker und Krimineller ausschließlich im negativen Kontext zu erwähnen?

Eine Notwendigkeit, Muslime im Koalitionsvertrag zu erwähnen, gibt es natürlich nicht. Aber wenn Sie erwähnt werden sollen, dann bitte sowohl Potentiale als auch Herausforderungen gleichermaßen aufführen. Denn das gehört zum gegenseitigen Respekt dazu.

Er geht einen Schritt weiter. Es wird erklärt, dass die neue Bundesregierung sich die Gesprächspartner sehr gut anschauen wird. Sie werde aussuchen, mit wem sie das Gespräch und die Zusammenarbeit fortführen wird. Das ist eine Nichtbeachtung und ein falsches Verständnis unserer Verfassung. Denn wer Religionsgemeinschaft ist und die Voraussetzungen für diesen Status erfüllt, bestimmt die Verfassung und nicht die Politik (§140 GG, 137 WRV).

Bei strafrechtlich auffälligen Religionsgemeinschaften schreiten die Sicherheitsbehörden ein. Dieser Prozess darf nicht in einem Generalverdacht münden. Hier hat die neue Bundesregierung die Möglichkeit, Muslimen auf Augenhöhe zu begegnen, leider verpasst.

Zur Rolle und Folge des Nahostkonflikts

Ein weiterer Diskurs zwischen Politik und den Islamischen Religionsgemeinschaften ist der Konflikt im Nahen Osten. Muslime wurden nach dem 7. Oktober in der Öffentlichkeit häufig pauschal unter Generalverdacht gestellt und mit Antisemitismus beschuldigt, weil sie sich angeblich nicht ausreichend von der Hamas distanziert hätten.

Die Islamischen Religionsgemeinschaften haben dieses Leid genau wie den unsäglichen Angriff der Hamas vom 07. Oktober angesprochen und sich in aller Deutlichkeit positioniert. Diese Brandmarkung war jedoch das Signal für einige Autoren und vermeintliche Experten, sich stärker auf dieses verzerrte Bild zu stürzen.

Diese Stimmungsmache hat zu einem starken Anstieg antimuslimischer Straftaten und Moscheeübergriffe geführt (seit dem 07. Oktober hat die DİTİB-Antidiskriminierungsstelle fast 400 Straftaten festgestellt, die Dunkelziffer dürfte weit darüber hinaus liegen). Die Kooperationen und Dialogformate wurden entweder komplett aufgegeben oder auf das Minimale reduziert.

Erst in den letzten Wochen hat sich der Fokus etwas verschoben, nachdem der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten und weiteren Regierungsmitgliedern ausgesprochen hat und die UN-Sonderberichterstatterin Anzeichen für Völkermord attestierte.

Die israelische Regierung hat seit Mitte April keine Nahrungs- und Hilfsmitteltransporte in den Gazastreifen zugelassen und öffnete erst vor einigen Tagen die Grenzen für zunächst sporadische Hilfslieferungen.

Nicht nur Muslime erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich viel deutlicher für eine politische und diplomatische Lösung einsetzt, sondern auch wegen der historischen Verantwortung Deutschlands und der Tatsache, dass Deutschland ein wichtiges Mitglied dieser internationalen Organisationen, wie der Vereinten Nationen und des internationalen Gerichtshof, ist. 

Pressemitteilungen oder ähnliche Verlautbarungen werden das Leid in Gaza nicht lösen. Wir befinden uns derzeit in der größten humanitären Katastrophe der jüngeren Geschichte, zu der man sich klar positionieren muss. Genau wie jüdische Bürger dieses Landes, Verwandte und Freunde in diesem Konflikt verloren haben, so haben auch muslimische Bürger Angehörige verloren.

Diese Entwicklung darf nicht dazu beitragen, dass vor allem junge Muslime sich in Deutschland von der Politik alleingelassen und mit ihren Sorgen ausgegrenzt fühlen. Dass unsere Nachbarländer eine viel deutlichere Wortwahl und Haltung zum Gazakonflikt eingenommen haben, ist kein Geheimnis.

Die Bundesregierung wäre gut beraten, die Sorgen und Erwartungen aller Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen wahrzunehmen, sich viel intensiver für einen Frieden in Gaza und für die Einhaltung internationalen Rechts einzusetzen.

Muslimfeindlichkeit Islamkonferenz debatte

DIK 2022. Ministerin Faeser im Gespräch mit einer Teilnehmerin. (Pressefoto: © Henning Schacht / Bundesinnenministerium)

Aufbruchstimmung im Rahmen der Islamkonferenz

In den Jahren 2006 und 2007 gab es im Kontext der Deutschen Islamkonferenz (DIK) und dem Koordinationsrat der Muslime eine Art Aufbruchsstimmung. Ziel war es, dass sich der Staat und die Vertreter der Muslime auf Augenhöhe begegnen. Der Staat hatte ein großes Interesse an der Verwurzelung des Islams in Deutschland.

Bisher hatte die DIK fünf Phasen, in dem unterschiedliche Themenschwerpunkte gesetzt wurden. Bereiche wie Islamischer Religionsunterricht (IRU) in Schulen, Islamische Seelsorge in z.B. Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten oder im Militär oder das Studienfach Islamische Theologie an Universitäten wurden behandelt und bis zu einem bestimmten Grad auch weiterentwickelt.

Die Resultate sind, dass junge Muslime ihre Religion in der Schule und an der Universität reflektiert und fachpädagogisch erlernen können und dass es in drei Bundesländern Staatsverträge (Stichwort: Res Mixta) zwischen Landesregierungen und Islamischen Religionsgemeinschaften gibt. Ziel war es zudem, dass insbesondere die Bedarfe und Sensibilitäten auf beiden Seiten in einem von der Politik bestimmten Rahmen fortlaufend wahrgenommen werden können.

Das war und ist nach wie vor von großer Bedeutung. Seit der letzten Legislaturperiode dominierte die DIK unter Innenministerin Nancy Faeser (SPD) der Themenschwerpunkt der Imam-Ausbildung – ein Hoheitsgebiet der Religionsgemeinschaften nach Artikel 4, Abs 2 GG. Doch wie wird unsere neue Bundesregierung die DIK ausgestalten?

Foto: IMO | photothek.net

Der Austausch ist notwendig

Trotz allen Diskussionspunkten, die von vielen Akteuren geäußert werden, ist dieser Austausch notwendig; auch wenn er mit Höhen und Tiefen verbunden ist. Denn am Beispiel der Beziehungen zwischen Staat und Kirche sehen wir, dass es für einen Konsens und eine nachhaltige Arbeit, eines langen Atems bedarf. Diese Begegnung tut beiden Seiten gut und sie schafft Räume und Möglichkeiten für Muslime, dass sie die Gesellschaft mitgestalten können.

Deswegen sollten auch die islamischen Religionsgemeinschaften ein Interesse daran zeigen, sich so zu organisieren und ihre Strukturen so anzupassen, dass die Nachhaltigkeit garantiert wird und die Effizienz der Arbeiten sichtbarer zunimmt.

Der KRM müsste hierbei mehr in den Fokus rücken, weil sich dort die Belange und Erwartungen der Islamischen Religionsgemeinschaften größtenteils überschneiden. Langfristig kann und sollte der KRM sich als Sprachrohr der Mehrheit der Muslime, insbesondere im gesellschaftspolitischen Kontext, weiter etablieren und entfalten. Dafür braucht es mehr Reformen und nachhaltige Strukturen.

Es gab in der Vergangenheit viele wichtige und gemeinsame Projekte und Zusammenarbeit, die von öffentlichen Fördermitteln finanziert wurden und einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft geleistet haben. Darunter zählt das Projekt PRODialog, ein Projekt zwischen DİTİB und dem BAMF, in dem hunderte Ehrenamtler zu Multiplikatoren ausgebildet wurden. 

Auch mit der Strukturförderung für das IKW (Islamisches Kompetenzzentrum für Wohlfahrtswesen e.V.) wurden wichtige Schritte für die Zukunft eingeläutet. Islamische Religionsgemeinschaften sind im Prozess ihre eigenen Wohlfahrtsstrukturen aufzubauen, um die Bedarfe der Muslime auch im Sozialwesen zu decken und gegenüber dem Sozialstaat mit robusten und nachhaltigen Organisationen aufzutreten.

Signale in beide Richtungen

Dies sind wichtige Signale in beide Richtungen. Davon brauchen wir mehr. Sowohl die Islamischen Religionsgemeinschaften als auch der Sozialstaat müssen näher zusammenrücken und Gemeinsamkeiten finden, um in Partnerschaft besondere Impulse zu setzen.

Der Islam legt den Muslimen hierbei eine wichtige Verantwortung auf. So heißt es in einem Prophetenausspruch, Frieden und Segen auf ihm, folgendermaßen: „Achtet auf die Armen und sorgt für sie. Zweifelt nicht daran, dass ihr durch die Schwachen unter euch Hilfe von Allah erlangt und mit Versorgung gesegnet werdet.“ (Abu Dawud, 2588)

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Beziehungen zwischen Islamischen Religionsgemeinschaften und der Bundesregierung entwickeln werden. Die Personalentscheidungen in den Führungspositionen in den einzelnen Ministerien stehen vor großen Chancen und Herausforderungen.

Diese Möglichkeiten sollten nicht unbeachtet bleiben, denn dass eine starke Bindung zueinander nur Positives für unsere Gesellschaft bewirken kann, steht außer Frage. Auch die Islamischen Religionsgemeinschaften müssen reflektieren, was in den letzten Jahren in den Gesprächen gut und schlecht lief, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Der Autor ist Generalsekretär des Moscheeverbands DİTİB.

Die IZ-Blogger: Ein Kommentar des österreichischen Islamgesetzes

„Zusammenfassend gesagt schafft es die Grundlagen für eine vom Ausland isolierte, von der Regierung (eigentlich fast ausschließlich vom Bundeskanzler) zutiefst abhängige und beaufsichtigte islamische Staatskirche. Der Eindruck drängt sich auf, dass die IGGiÖ zu einem Kontrollinstrument über Muslime und ihr Oberhaupt zu einem postkolonialen Statthalter des Bundeskanzlers degradiert wird.“

(iz). 2015 wiederholt sich zum 200. Mal der Jahrestag des Wiener Kongresses und auch dieses Mal steht ein junger ambitionierter Politiker, der amtierende österreichische Außenminister Sebastian Kurz, für einen innenpolitischen Wandel und tiefe Eingriffe in Grundrechte. Das neue österreichische Islamgesetz stellt vieles dar, aber vor allem Law & Order gegenüber und Kontrolle von Muslimen. Kritik an diesem (teilweise dieselbe wie von Rechtsexperten) wird, so sie von Muslimen kommt, aus Regierungskreisen gerne als „Hetze“, „Propaganda“ oder „gezielte Fehlinformation“ abgetan.

Dabei stellt es einen historischen Bruch im Verhältnis der Muslime zu Österreich dar und wirft ihre grundrechtliche Position in gewisser Hinsicht nicht um 103 Jahre zurück (das alte und erste Islamgesetz wurde 1912 verabschiedet), sondern weit hinter die Standards von 1867 – jenes Jahr, in dem Österreich seinen bis heute gültigen Grundrechtskatalog, der die Autonomie von anerkannten Religionsgesellschaften normierte, bekam – und schafft damit eine für Muslime noch nicht da gewesene, gesetzlich verankerte Diskriminierung.

Betrachtete man die bisherige Debatte in der österreichischen Öffentlichkeit und auch der internationalen Presse rund um das neue Islamgesetz, schien es um Aspekte wie ein Verbot der Auslandsfinanzierung von Imamen oder um die verpflichtende Darlegung der Glaubenslehre anhand einer offiziellen deutschen Qur’anübersetzung zu gehen. Der Aspekt, dass mit dem Gesetz ein eigenes segregiertes Religionsrecht (inkl. Anerkennungs- und Auflösungsbestimmungen für neue und bestehende islamische Religionsgesellschaften) nur für Muslime geschaffen wird, wurde hingegen selten thematisiert. Ebenso wurden die gravierendsten Eingriffe so selten erwähnt, dass man glauben könnte, die geradezu obsessive Beschäftigung der österreichischen Öffentlichkeit mit dem leicht umgehbaren Verbot der Auslandsfinanzierung diene nur der Ablenkung von den schwerwiegendsten Mängeln.

Aus meiner Sicht ist dies wohl primär die am 01.03.2016 vorgesehene Auflösung all jener Vereine, die den Vereinszweck der Verbreitung der Lehre der IGGiÖ verfolgen (§ 31 Abs 3). Um die Ausmaße und Konsequenzen dieses verfassungsrechtlich (im Hinblick zuallererst auf die Religions- und Vereinsfreiheit) bedenklichen Eingriffes zu verstehen, muss man wissen, dass sich die kollektive islamische Praxis in Österreich trotz Bestehens einer anerkannten islamischen Religionsgesellschaft, der IGGiÖ, vorwiegend auf der Vereinsebene abspielt. Muslimische Vereine, meist in Verbänden organisiert, betreiben Moscheen und Gebetsstätten, islamische Zentren, Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen (von ca. 500 Vereinen ist teilweise die Rede).

Rechtlich besteht ihre Beziehung zur IGGiÖ nur darin, dass sie sich in ihren Statuten zur Verfassung der IGGiÖ bekennen, an sie gebunden fühlen und dadurch aus Sicht der IGGiÖ unter anderem ihre religionsgesellschaftliche Aufgabe der Verkündung der Lehre des Islam erfüllen. Gerade damit aber erfüllen sie die Merkmale der genannten Bestimmung des neuen Islamgesetzes. Die Vereine stehen vor der Wahl zwischen Auflösung – deren Aufgaben sollen Untereinheiten der IGGiÖ genannt „Kultusgemeinden“, die erst gegründet werden müssen, übernehmen – oder „Tarnung“ als nicht explizit islamische Vereine durch Änderung ihrer Vereinszwecke in den Statuten.

Die Last dieser Wahl, die zudem eine schwere soziopolitische Dimension aufweist, zeigt sich aber vor allem, wenn man betrachtet, was sich in der Beziehung zwischen IGGiÖ (inklusive ihren Kultusgemeinden) und der Republik Österreich nun ändert. Abgesehen davon, dass das neue Islamgesetz der Bundesregierung insbesondere dem Bundeskanzler die Möglichkeit gibt, die IGGiÖ und/oder ihre Kultusgemeinden aufgrund einer Vielzahl von teils unbestimmten und daher der Willkür Tür und Tor öffnenden Gründen aufzulösen (§ 5 Abs 2), ermächtigt es den Bundeskanzler zu einer Vielzahl von Kontrollbefugnissen gegenüber der IGGiÖ, welche diese mehr oder weniger zu einer Institution von Regierungsgnaden macht. Dazu zählt die Möglichkeit einer Wahlaufsichtsbeschwerde über IGGiÖ-Wahlergebnisse beim Bundeskanzler (§ 28 Abs 2), die Möglichkeit für diesen, unter Umständen einen Kurator für die IGGiÖ bei Gericht zu beantragen (§ 29), interne Beschlüsse der IGGiÖ aufzuheben, Geldbußen zu verhängen (§ 30) und – nicht unwesentlich – jeder neuen Verfassung der IGGiÖ und diversen anderen Rechtsakten die Zustimmung und damit Gültigkeit zu verwehren (§ 23 Abs 1). Bedenkt man, dass die Darstellung der islamischen Lehre mittels deutscher Qur’anübersetzung ein Teil der Verfassung sein muss, wird klar, dass der Bundeskanzler damit auch ein Veto bezüglich der offiziellen Lehre der IGGiÖ bekommt.

Viel lässt sich über das neue Islamgesetz sagen, über diskriminierende Bestimmungen in der Seelsorge, über eine Vielzahl scheinbar neuer, in Wirklichkeit längst vorhandener, Rechte (Schutz der Amtsverschwiegenheit von Imamen, Versammlungs- und Lärmschutz an Feiertagen, Rechtsgrundlage fürs Schächten, u.a.) oder auch über das neu eingerichtete, völlig in staatlichen Händen liegende, theologische Studium an der Uni-Wien, an das die IGGiÖ aber in gewisser Hinsicht gebunden ist. Zusammenfassend gesagt schafft es die Grundlagen für eine vom Ausland isolierte, von der Regierung (eigentlich fast ausschließlich vom Bundeskanzler) zutiefst abhängige und beaufsichtigte islamische Staatskirche. Der Eindruck drängt sich auf, dass die IGGiÖ zu einem Kontrollinstrument über Muslime und ihr Oberhaupt zu einem postkolonialen Statthalter des Bundeskanzlers degradiert wird.

Dass es so weit überhaupt kommen konnte, ist nicht zuletzt dem Umstand zu „verdanken“, dass die Führung der IGGiÖ jahrelang hinter verschlossenen Türen, an ihren Organen und internen Prozeduren vorbei und bei offenkundiger Intransparenz gegenüber der muslimischen Öffentlichkeit, mit dem Staat über das Gesetz verhandelt hat. Sehr früh gab es Warnungen (insbesondere von Engin Karahan aus Deutschland), die schon vorausahnen ließen, in welche Richtung das vorbereitete Gesetz gehen würde. Dass sich trotz aller Intransparenz seit der Veröffentlichung des Gesetzesentwurfes im Oktober 2014 dennoch eine derart intensive und kritische Debatte in Österreich (mit einem unüberhörbaren Echo im Ausland) und innerhalb der IGGiÖ über Grund- und Bürgerrechte, Partizipation und Transparenz entfalten konnte, lag nicht nur, aber primär, an einer selbstbewussten, deutschsprachigen, politisch wachsamen und manchmal auch provokanten muslimischen Jugend- und Studentenszene, fernab der großen, konservativen Verbände, mit denen sie nicht selten in offenkundigem Konflikt hinsichtlich des Auftretens gegenüber der Regierung stand.

Zwei diametral verschiedene Selbstbilder stießen aufeinander: Auf der einen Seite partizipierende und fordernde Bürger, die nicht bereit zu Kompromissen über ihre Grundrechte sind. Auf der anderen eine traditionelle Verbandselite, die sich ihrem Verhalten nach zu urteilen immer noch als Gast sah, der demütig, höflich und dankbar zu sein hat. Inmitten des Beginns absehbarer Umbrüche und damit verbundenen Sorgen der Muslime in Österreich, scheint sich daher auch ein Wandel im Selbstverständnis der muslimischen Zivilgesellschaft und eine Gelegenheit abzuzeichnen, sich nicht mehr bloß als Muslime oder gar als „Gäste“zu verstehen, sondern als mündige und selbstbewusste Bürger, die nicht um ihre Rechte bitten, sondern sie einfordern.

Gesetzesvorhaben des NRW-Landtages dürfte es muslimische Religionsgemeinschaften schwerer machen

(iz). Ein Gesetzesvorhaben in Nordrheinwestfalen (NRW) hat Muslime aufhorchen lassen. Die Landesregierung und alle im Landtag vertretenen Fraktionen planen, die Anerkennung von Religionsgemeinschaften zukünftig gesetzlich zu regeln. Neben dem Bekenntnis zur Verfassung sollen weitere zentrale Voraussetzungen detailliert geregelt werden.

Eine wichtig Voraussetzung wird etwa die Mitgliederzahl sein. Ein muslimischer Verband, der die Anerkennung als Religionsgemeinschaft erlangen will, muss demnach 17.500 Mitglieder vorweisen (mind. 1 Promille der NRW-Bevölkerung). Zudem muss die Gemeinschaft bereits seit mindestens 30 Jahren bestehen.

Auch bei einer Erfüllung dieser Voraussetzungen soll die Anerkennung keinesfalls garantiert sein. Denn der Landtag soll immer noch das Recht haben, eine Anerkennung als Körperschaft ausdrücklich „von seiner Zustimmung abhängig machen“, berichtete die Katholische Nachrichtenagentur (KNA).

Dieses Gesetzesvorhaben in dem Bundesland, in dem die meisten deutschen Muslime leben, ist ein Schlag ins Gesicht der im Koordinationsrat der Muslims (KRM) organisierten muslimischen Verbände. Denn schon seit Längerem liefen Verhandlungen zwischen den muslimischen Verbänden und der Landesregierung über eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Mit diesem Gesetzesvorhaben drohen diese Verhandlungen obsolet zu werden, denn keiner der großen Verbände dürfte ohne Weiteres die Voraussetzungen in diesem Gesetzesvorhaben erfüllen.

Es stellt sich natürlich auch die Frage, inwiefern die langjährigen Verhandlungen um die politische Anerkennung zu etwas Greifbarem geführt haben. Die Etablierung der Islamischen Theologie und der Islamische Religionsunterricht an allgemeinbildenden Schulen wurden ja eben auch forciert, um diese politische Anerkennung voranzutreiben. Jetzt steht der organisierte Islam wieder vor einer Sackgasse.

Auffällig wurde in der letzten Zeit, dass insbesondere die DITIB – als größter Mitgliedsverband im KRM – systematisch eine einheitliche Linie torpediert, aber parallel dazu ihre Landesstrukturen entsprechend den gesetzlichen und politischen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft anpasst. Damit könnte sie in nicht allzulanger Zeit als erste und vielleicht sogar einzige muslimische Religionsgemeinschaft „anerkannt“ werden.

Im Grunde stellt sich für den Koordinationsrat die Sinnfrage. Genügt es wirklich nur, auf „Anerkennung“ zu setzen, aber gleichzeitig das eigentliche Projekt, die Muslime zu ihrem Wohl miteinander zu vernetzen, konsequent zu vernachlässigen? Am Ende könnte man so vor dem Staat und vor den Muslimen verlieren.

Universität Münster weist Kritik am Islam-Zentrum zurück

Münster (KNA). Die Universität Münster hat die Kritik der muslimischen Verbände an ihrem Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) zurückgewiesen. Es würden keine Fakten ohne Mitsprache des Koordinationsrates der Muslime (KRM) geschaffen, sagte Rektorin Ursula Nelles am Montag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Münster. Bislang seien keine mitwirkungsbedürftigen Entscheidungen gefällt worden, etwa die Ernennung eines Professors oder die Verabschiedung von Lehrinhalten.

Da die muslimischen Verbände im Gegensatz zu den Kirchen nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt sind, soll ein Beirat aus acht Personen über Curriculum und Personal entscheiden. Vier Personen ernennt die Universität im Einvernehmen mit dem Koordinationsrat; weitere vier schlägt der KRM selbst vor. Das Gremium hat bislang noch nicht seine Arbeit aufgenommen, obwohl der Lehrbetrieb seit 2012 läuft. Laut Nelles gab es gegen einen vom KRM vorgeschlagenen Kandidaten mit Nähe zum Islamrat Vorbehalte wegen der Verfassungstreue. „Deshalb konnte ich ihn nicht für den Beirat berufen.“ Andernfalls riskiere die Uni, dass der Bund seine Zuschüsse fürs Zentrum streicht.

Nach den Worten der Rektorin hat die Universität bislang keine einzige endgültig bindende Entscheidung getroffen. Die beiden Lehrstuhlvertreter, die neben dem ZIT-Leiter Mouhanad Khorchide am Zentrum lehren und forschen, hätten nur auf ein Semester befristete Verträge. Zudem seien Lehrpläne nur semesterweise fortgeschrieben worden. Dabei habe die Hochschule eine vorläufige Genehmigung des nordrhein-westfälischen Schulministeriums eingeholt, das sich nach Einführung des islamischen Religionsunterrichtes in NRW auf einen eigenen Beirat stützen könne.

Die vier im KRM zusammengeschlossenen Verbände hatten kritisiert, dass sie entgegen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht an der Auswahl von Dozenten und Lehrinhalten beteiligt seien. Zudem übten sie heftige Kritik an ZIT-Leiter Khorchide und kündigten ein Gutachten über seine Theologie an. Dazu betonte Nelles, die Verbände hätten der Berufung Khorchides selbst zugestimmt. Wenn sie nun inhaltliche Einwände gegen ihn hätten, mische sich die Universitätsleitung „grundsätzlich nicht ein“. Wie bei der christlichen Theologie sei die Universität auch bei der islamischen dazu verpflichtet, die Glaubensfreiheit der Religionsgemeinschaften zu respektieren. Wenn der Beirat sich konstituiert habe, könne er Khorchide abberufen.

Laut Nelles haben sich im laufenden Wintersemester 1.000 Bewerber für 260 Plätze am ZIT beworben, das Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbildet. Ende des Monats besucht Bundespräsident Joachim Gauck die Universität.

Thesen: Ein Gastbeitrag von Dr. Ali Özgür Özdil, Hamburg

Als am 16.09.09 Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats und Mitglied des Koordinierungsrates der Muslime (KRM) zum Iftar-Programm der Islamischen Hochschulgemeinde nach Hamburg eingeladen wurde und zum Thema „Sind wir […]

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