
IZ-Reiseblog: Im sehnsuchtsvollen Taormina nahe des Ätna zieht unser Autor die erste Bilanz seiner Sizialienreise.
(iz). Taormina – wohl kaum ein anderer Ort auf Sizilien zieht so viele Menschen an. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert wurde die Stadt zum Sehnsuchtsziel der Grand Tour – ein Ort, der Reisende und Schriftsteller mit seiner Mischung aus antiker Schönheit, mediterraner Sinnlichkeit und kultureller Tiefe magisch anzog. Von hier aus bieten sich einmalige Blicke auf den Ätna – und entsprechend überfüllt ist die Hauptstraße.
Taormina – Sehnsuchtsziel auf Sizilien
Wir flüchten am Ende der Straße in den Garten eines luxuriösen Hotels, eine Oase der Ruhe im Trubel. Auf einem Plateau mit atemberaubender Aussicht befindet sich ein kleines Café – eigentlich nur für Hotelgäste. Um unangenehme Fragen nach unserer Aufenthaltsberechtigung zu vermeiden, verwickeln wir die Bedienung in ein Gespräch mit philosophischem Unterton.
„Ist es wahr“, frage ich, „dass ein echter Cappuccino nicht mit Kakao bestäubt wird? Der ältere Mann nickt begeistert. „In einem guten Haus ist das nicht üblich.“ „Dann sind wir hier genau richtig.“ Unsere Bestellung wird ohne weitere Rückfragen aufgenommen. Wir genießen die Stille und die Atmosphäre des Gartens – ein Zwischenraum zwischen Welt und Rückzug.
Natürlich wollen wir den Blick sehen, der so viele Touristen anzieht. Wir gehen zum antiken Theater, das einzigartig gelegen ist. Goethe beschreibt diesen Anblick in seiner „Italienischen Reise“:
„Nun sieht man an dem ganzen langen Gebirgsrücken des Ätna hin, links das Meerufer bis Catania, ja Syrakus, dann schließt der ungeheure, dampfende Feuerberg das weite, breite Bild, aber nicht schrecklich, denn die mildernde Atmosphäre zeigt ihn entfernter und sanfter, als er ist.“
Der Vulkan als Wirklichkeit und Symbol
Goethe hatte zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis zu Vulkanen. Der aufkommenden vulkanistischen Idee, nach der die Erde wesentlich durch Feuer und Explosionen geformt wurde, stand er skeptisch gegenüber.
Stattdessen favorisierte er die neptunistische Theorie, wonach sich Gesteinsschichten aus dem Wasser abgelagert hätten – Ausdruck einer organisch-harmonischen Weltentwicklung. Gewaltige Katastrophen, explosive Umwälzungen – das passte nicht zu seinem Naturverständnis, das von Entfaltung, Wachstum und innerem Gleichgewicht geprägt war.
Und doch: Der Krater faszinierte ihn als Symbol. Ein Ausdruck innerer, verborgener Kräfte – vergleichbar mit menschlichen Leidenschaften oder umwälzenden Bewegungen. So erscheinen Vulkane bei ihm nicht nur schöpferisch, sondern auch zerstörerisch. Vielleicht hatte der Dichter recht mit dem Gedanken, dass – bei aller Notwendigkeit von Veränderung – evolutionäre Prozesse den revolutionären vorzuziehen seien.
Foto: Abu Bakr Rieger
Unser Tagesprogramm wird von ganz realen Umständen bestimmt. Das obligatorische Foto mit Blick auf den Ätna kann mit den idealisierten Bildern in den sozialen Netzwerken nicht mithalten. Die freie Ansicht ist verstellt – durch die Bühne eines Konzerts von Plácido Domingo.
Wir machen uns auf die Suche nach dem Sentiero Goethe, einem malerischen Pfad, der vom Zentrum bis zum antiken Theater führt. Doch aus unerklärlichen Gründen ist er – wie wir enttäuscht feststellen – geschlossen.
Auch der Zugang zum Grand Hotel Timeo, direkt neben dem Schauspielhaus gelegen, bleibt uns wegen der Veranstaltung verwehrt. Schade, denn das historische Haus hat eine beeindruckende kulturelle Tradition. Seit 1873 zieht es Künstler, Schriftsteller und Prominente aus aller Welt an. Auch Thomas Mann logierte hier, im Jahr 1920.
Foto: Abu Bakr Rieger
Sizilien – eine Bilanz
Zurück auf unserem Campingplatz nahe der Stadt ziehen wir Bilanz. Im Frühling ist die Insel ein blühendes Naturwunder, und die Präsenz der Antike – wie Goethe ausführlich beschreibt – unübersehbar. Wir fragen uns, ob auch das islamische Erbe auf seiner Reise spürbar war. Vielleicht ja – und vielleicht auch nicht. In Sichtweite unserer Unterkunft thront eine Burg, von arabischen Muslimen gegründet und später mehrfach umgebaut. Alles hier scheint Teil einer unaufhörlichen Metamorphose.
Vielleicht lebt das Erbe, das wir suchten, nicht in Steinen – sondern in Menschen. In einem Menschenschlag, der sich über Jahrhunderte aus vielen Quellen gespeist hat.
Ein letztes Mal fahren wir mit dem Rad zum Strand. Kurz vor dem Ziel entdecken wir hinter einer Steinmauer ein altes Schloss. Zu unserer Überraschung: An einem der Türme sind arabische Schriftzeichen zu erkennen – ein Lobpreis des Schöpfers.
Das Castello di San Marco ist heute ein Hotel. Wir klingeln am schmiedeeisernen Tor. Das Personal heißt uns freundlich willkommen und überreicht eine kleine Broschüre mit der Geschichte des Hauses.
Ein Mosaik aus Persönlichkeiten prägte diesen Ort seit dem 17. Jahrhundert. Der verstorbene Vater des heutigen Eigentümers – ein bekannter Geschäftsmann, wie man uns erzählt – war begeistert von der islamischen Kultur Siziliens. Seine Leidenschaft spiegelt sich in vielen Details der Architektur und Gartengestaltung.
Im zauberhaften Garten des Anwesens sitzen wir still und beobachten die Gäste, die ein und aus gehen. Und fragen uns: Wer von ihnen hebt den Blick – und entdeckt die Schrift über sich?