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Herausforderungen Finanzen und Personal: Juanita Villamor über den Rat der Berliner Imame

Ausgabe 332

Ramadan Berlin Imame Rat Leitfaden
Foto: Muslimische DiaLogen

Als Erweiterung bestehender Dialog- und Fortbildungsbemühungen von und für muslimische Gemeinschaften etablierte sich vor einiger Zeit der Rat Berliner Imame.

(iz). Das von der Neuköllner Begegnungsstätte e.V. getragene Projekt bringt 23 Imame aus Moscheegemeinschaften für Austausch, Vernetzung und Fortbildung zusammen. Koordiniert wird das Projekt von Juanita Villamor. Mit ihr sprachen wir über seinen Ansatz, die Rolle theologischer Standorte, die Herausforderungen des Berufs und den Alltag von Imamen und Moscheegemeinschaften.

Juanita Villamor studierte u.a. Religionswissenschaften und Islamische Studien an der Frankfurter Goethe Universität. Die Kolumbianerin leitet das Projekt „Muslimische Dia_Logen“, welches den Rat Berliner Imame beherbergt und durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert wird. Seit 7 Jahren ist die Mutter zweier Kinder die Pressesprecherin der Neuköllner Begegnungsstätte e.V./ Dar Assalam Moschee in Berlin Neukölln.

Imame kommen zusammen

Islamische Zeitung: In den letzten Monaten wurde der Rat der Berliner Imame gelegentlich in Medien erwähnt. Um was handelt es sich bei dem Projekt?

Juanita Villamore: Es handelt sich eigentlich um eine Gruppe von Einzelpersonen, die als Imame in verschiedenen Institutionen wie Gemeinden, der Seelsorge oder anderweitig tätig sind. Sie sind schon im Rahmen des Runden Tisches Berliner Imame zusammengekommen.

Es geht darum, Menschen zusammenzubringen, die vor ähnliche Herausforderungen gestellt werden. Und um sich gegenseitig zu unterstützen und zu schauen, wo sind die Probleme und Schwierigkeiten sind, die im Rahmen dieser Arbeit entstehen.

Islamische Zeitung: Es gibt seit einigen Jahren theologische Fakultäten in Deutschland, von deren AbsolventInnen nur die wenigsten als Imame arbeiten. Bestehen mittlerweile Erfahrungen, die in der Gemeindearbeit tätig sind und aus der theologischen  Ausbildung kommen?

Juanita Villamore: (Überlegt…) Nicht wirklich. Es gibt ein paar, die in Gemeinden meistens Jugendarbeit machen. Viele haben tatsächlich eher Islamwissenschaften studiert, gingen dann mal ins Ausland und kamen dann wieder in die Gemeinden. Das ist eher der Werdegang junger Imame, die jetzt in den Moscheen mit ihrer Tätigkeit anfangen und Aufgaben übernehmen. Manchmal kommt es schon vor.

Das Problem ist häufig, dass sich auch von der Gemeinde angenommen werden und in ihr aufgehen müssen, um ihre Tätigkeit ausüben zu können; ganz unabhängig davon, was sie vorher gemacht haben. So etwas dauert und was braucht vertrauensbildende Maßnahmen, Zeit und Arbeit. Das gilt insbesondere für Moscheegemeinschaften, bei denen es keine Führung von oben nach unten gibt.

Arbeitsbedingungen in Moscheen und Vereinen

Islamische Zeitung: Es soll in Berlin über 90 Moscheegemeinschaften und Gebetsräume geben. Sie sind nach unterschiedlichen Prinzipien organisiert – von großen, straff geführten Mitgliedern der großen Dachverbände bis zu kleinen unabhängigen Gemeinschaften. Letztere sind auch nicht so finanz- und organisationsstark wie beispielsweise ihre türkischen Geschwister. Wie sind die Bedingungen für Imame in Berlin?

Juanita Villamore: Die Bedingungen sind nicht die besten. Das ist ein Fakt. Die wenigsten Gemeinden haben die Finanzmittel, um tatsächlich jemanden einzustellen. Es sei denn, es sind tatsächlich Einrichtungen, die von außen oder großen Institutionen finanziert werden. Aber die „eher freien Moscheen“, die sich nur durch Spendengelder finanzieren, können in den seltensten Fällen jemanden einstellen. Das bedeutet natürlich, dass die Imame selbst anderweitig angestellt sind – ob als Akustiker, Elektriker oder Lehrer. Zusätzlich haben sie dann in den Moscheen oft nur in einem Minijob oder arbeiten ehrenamtlich als Imam erledigen. Diese Funktion fordert teilweise mehr Zeit und Engagement als ein Brotberuf.

Imamausbildung bleibt offen

Islamische Zeitung: Bedeutet das nicht auch, dass das aktuelle Projekt der Imamausbildung in Deutschland und ihre zukünftige Einstellung in solchen Gemeinschaften – wenn hier ausgebildete Akademiker gewisse Einstiegsgehälter erwarten – auf die Berliner Situation eher weniger anwendbar ist?

Juanita Villamore: Unter den gegebenen Umständen ist das sehr unwahrscheinlich, weil die Kosten in irgendeiner Form gedeckt werden müssen. Und das ist einfach nicht gegeben.

In den ganzen Jahren, die ich mit und in der Community arbeite, komme ich immer wieder zu diesen zwei Punkten: Wir haben finanzielle und personelle Probleme. Das eine bedingt das andere. Und ist ein Dreh- und Angelpunkt – egal in was für eine Diskussion wir uns befinden. Viele Gemeinschaften haben Schwierigkeiten bei der Finanzierung, und wir werden viele Dinge nicht weiterführen können. So können die Anfragen sowohl der Community wie auch von außen nicht erledigt werden.

Dass es die neuen Institute für Islamische Theologie gibt, ist wundervoll. Ich habe da selbst studiert. Das ist großartig und die Ausbildung ist hervorragend. Der Punkt ist: Gibt es keine enge Verknüpfung von Instituten und Moscheegemeinschaften, werden wir es nie schaffen, die jungen AbsolventInnen in sie zu bringen. Natürlich sind auch die jetzigen Bedingungen nicht attraktiv. Wie sollten sie das? Kaum eine Moschee kann sich die Finanzierung einer festen Vollzeitstelle leisten und wenn doch, schrecken mangelnde Gestaltungsfreiräume AbsolventInnen ab.

Islamische Zeitung: Nach zwei Jahren Pandemie und seit Beginn der Inflation sowie exorbitanten Preissteigerungen bei Energie und Heizung. Ich gehe davon aus, dass das gerade für kleinere Moscheegemeinschaften belastend ist?

Juanita Villamore: Natürlich. Zumal eine Moschee nicht aus vielen kleinen Zimmern besteht, die einzeln zu beheizen sind, sondern aus riesengroßen Räumen, die anders geheizt werden. Die hatten schon vorher andere Betriebskosten als Privathaushalte. Und die Menschen sollen ja auch nicht in einer Moschee sitzen, die ausgekühlt ist. Da muss auch warm sein, den die Leute gehen ohne Schuhe rein. Das sind Punkte, die gerade die Arbeit erschweren. Und natürlich auch die Möglichkeit, Menschen einzustellen und neue MitarbeiterInnen reinzuholen.

Islamische Zeitung: Berlin ist in gewissen Aspekten anders als Flächenstaaten wie Niedersachsen und NRW oder der Stadtstaat Hamburg. Hier gibt es noch keinen Verbund auf Landesebene, der die Mehrheit der muslimischen Gemeinden wie in Hamburg gegenüber der Politik vertritt. Hat der Rat der Imam Berlin auch eine Funktion, da eine stärkere innermuslimische Kommunikation herzustellen?

Juanita Villamore: Jein. Der Rat Berliner Imam ist sicherlich eine sehr gute Ergänzung zum vorhanden Islamforum. Dort soll vor allem auf Verbands- und Vereinsebene ein Dialog zwischen Gesellschaft, Politik und stattfinden; insbesondere mit VertreterInnen von Politik und Senat. Dort findet das in einer repräsentativen Form statt, was im Rat Berliner Imame nicht haben.

Da haben wir Imame, die ihrer Tätigkeit nachgehen und viel schneller einwirken auf die Community einwirken können als ein Verband oder Verein. Das bedeutet, sie können so die Arbeit des Islamforums gut ergänzen, weil sie direkt an die Menschen Dinge dann reintragen können – oder auch umgekehrt. Aber es ist nur eine Ergänzung.

Nichtsdestotrotz ist das repräsentative Prinzip auch in Berlin in vielerlei Hinsicht noch eine große Herausforderung. Muslimische Vielfalt ist fast überall sehr stark. Aber hier in Berlin ist sie tatsächlich aktuell herausfordernder. Wie können wir es schaffen, dass wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen? Hier ist der Wunsch sehr deutlich, Vielfalt zu achten und zu bewahren. Wir müssen sehen, auf welchen Wegen kommen wir dort hinkommen, sodass am Ende nicht nur kleine oder einzelne Gruppen und Richtungen dominant sind. Da tun wir uns in Berlin noch etwas schwer.

Austausch und Forbildung

Islamische Zeitung: In Gesprächen mit deutschen Imamen ist in den letzten Monaten deutlich geworden, dass sie sich unter anderem untereinander mehr Austausch und auch Fortbildung wünschen. Hat der Rat auch eine Funktion, Imamen solche Möglichkeiten zu bieten? Gibt es da einen Bedarf?

Juanita Villamore: Ja, sehr sogar. Mit dem Start des Runden Tisches Berliner Imame sind wir stark auf diesen Wunsch eingegangen. Dadurch, dass Imame zusammensitzen, können sie gemeinsam Herausforderungen überhaupt erst erkennen und sagen, wo die Bedarfe sind. Und die meisten Bedarfe finden sich in der Notwendigkeit, weiter Wissen noch zu erwerben: Wie gehe ich mit Öffentlichkeit um oder mit meiner Gemeinde? Was sind die Herausforderungen, die explizit Berlin oder überhaupt das Leben hier ausmachen? Warum ist der Berliner Alltag für ein Imam anders als vielleicht in einer anderen Stadt oder einem anderen Land? Wie können wir unseren Beitrag für ein friedlicheres Zusammenleben aller leisten?

Herausforderungen für Berliner Imame

Islamische Zeitung: Was sind derzeit die größten Herausforderungen für Berliner Imame?

Juanita Villamore: Die schiere Menge an Anfragen, Aufgaben und Anforderungen. Sie erledigen eine Unmenge an Arbeit in ihren Gemeinden und müssen darüber hinaus auf die Anfragen von außen antworten. Immer wieder stehen ihre Gemeinden, Moscheen und sie selbst im Fokus der Öffentlichkeit und müssen irgendwie darauf reagieren. Selten werden sie direkt gefragt oder als Gesprächspartner wahrgenommen.

Nehmen wir zum Beispiel Ramadan. Jedes Jahr haben werden öffentlich die gleichen Diskussionen geführt. Sollen Kinder fasten oder nicht? Führt das zu Problemen in der Schule? Wie gehen LehrerInnen und Fachkräfte damit um? Was machen die Moschen und was predigen sie dazu? Die Imame und Moscheen kommen hierbei jedoch selten zu Wort. Zwischen ihnen und den Schulen besteht zumeist kein Dialog. Auch das stellt Imame vor große Herausforderungen.Häufig stehen sie in den Augen der Öffentlichkeit als diejenigen dar, die etwas Negatives predigen würden, während sie in ihren Gemeinden an manchen Stellen kräftezerrende Aufklärungsarbeit leisten.

Im letzten Jahr haben wir dementsprechend vorgearbeitet und uns gesagt: Wir brauchen eine Gesprächsgrundlage. So wurde die Broschüre „Ramadan und Grundschule“ herausgegeben, wo alle beteiligten Imame sich wirklich auf bestimmte Punkte einigen konnten. Außerdem können wir damit Lehrkräften, SchülerInnen und auch Eltern Tipps an die Hand geben.

Wir müssen bedenken, häufig sind Imame diejenigen, die alles erledigen müssen: Seelsorge, Koranunterricht organisieren, hier repräsentieren, da predigen, Spenden akquirieren, Mediationen leiten, Integrationsarbeit leisten. Wie lässt sich da voneinander lernen? Manche Moscheen sind in einigen Bereichen sehr stark. Die sind beispielsweise in der Öffentlichkeitsarbeit technisch gut versiert. Andere verfügen über eine hervorragende Organisation von Eheschließungen. Einige sind in der Jugendarbeit sehr fit und können religiöse Bildung viel besser vermitteln als andere. Es ist wichtig, diesen Austausch zu haben. Es ist wichtig, zu wissen: Ich bin nicht allein. Viele Aufgaben sind bei den Imamen. Sich darüber auszutauschen ist eine große Bereicherung.

Islamische Zeitung: Radikalisierung und Extremismus sind seit fast 20 Jahren „Dauerbrenner“, wenn es um Imame in ganz Deutschland geht. Wie relevant ist das Thema in Berlin?

Juanita Villamore: Es ist eine der vielen Herausforderungen darüber zu sprechen, wie wir mit solchen Entwicklungen umgehen. Gleichzeitig geht es auch um den Blick von außen. Da stellen sich gleich mehrere Fragen: Wie können wir innerhalb der Gemeinden agieren? Was können wir entwickeln, um vor allem auch der Jugend zu helfen? Sind da vielleicht Gruppierungen, die sich vor einer Moschee regelmäßig am Freitag hinstellen und versuchen, vor allen Dingen junge Frauen anzusprechen? Wie gehen wir damit um?

Mit dem Internet und sozialen Medien? Können wir auch unsere Jugendarbeit so weit stärken, dass sie wieder einen Mehrwert hat und die Jugendlichen sich nicht halbgares Wissen und vereinfachte Antworten aus dem Internet holen, sondern sich wirklich ausgiebig mit solchen Themen beschäftigen? Das ist ein Dauerbrenner in diesem Jahr; ganz besonders, da wir uns vorgenommen haben, dass ganz bewusst im Rahmen des Projektes zu thematisieren.

Islamische Zeitung: Abschließend gefragt – wie sieht die Reaktion von Politik und Öffentlichkeit auf den Rat aus?

Juanita Villamore: Gemischt. Ich würde sagen, die Mehrheit der politischen VertreterInnen hat den Mehrwert gesehen und erkannt, was für wirklich hilfreiche und großartige Dinge entstehen kann – durch so eine Zusammenarbeit entstehen können. Für die BerlinerInnen – die muslimischen wie die nichtmuslimischen – hat diese Form von Zusammenarbeit viele Impulse innerhalb der letzten zwei Jahre gebracht hat; auch in die Community hinein. Das wurde anerkannt und wertschätzend wahrgenommen.

Gleichzeitig gibt es immer wieder Einzelpersönlichkeiten und Gruppierungen, die eben diese Zusammenarbeit verhindern wollen.

Sie versuchen beispielsweise, Verwaltungen mit wiederholten Anfragen zu irritieren, obwohl diese zuvor klar beantwortet wurden. Es wird versucht, medial und politisch gegen die Förderung vorzugehen, was schmerzt und Kapazitäten frisst. Einerseits wissen wir, wie wichtig es ist, diese Arbeit zu machen. Andererseits müssen wir auch schauen, dass wir nicht zu viel Zeit damit verbringen, gegen Kräfte anzugehen, die versuchen, die Arbeit zu zerstören.

Islamische Zeitung: Liebe Juanita Villamore, vielen lieben Dank für das Interview.