Mit „Nordstadtzauber“ legt Denise Kaban ein inspirierendes Buch vor, das die Geschichte ihres Mannes Umut Kaban erzählt.
(Iz).Sein Name bedeutet auf Türkisch „Hoffnung“. Und von Hoffnung handelt dieses Buch. Aufgewachsen in der Kasseler Nordstadt, die von außen oft als sozialer Brennpunkt gilt, zeigt es in kurzen, lebendigen Kapiteln, wie er zwischen Enge, Vorurteilen und Zusammenhalt seinen Weg findet: vom Kind der Nordstadt zum Quartiersmanager, der heute Verantwortung für eben diesen Stadtteil trägt.
Denise Kaban – Leben, das Hoffnung verkörpert
Die Episoden des Buches zeigen Umuts Kindheit und Jugend: kleine Wohnungen, große Familien, Schulhöfe voller Härte, aber auch voller Freundschaft, Fußballplätze, die zu Freiräumen werden, Sommerreisen, die Sehnsucht und Identität miteinander verbinden. Es sind Schlaglichter eines Lebens, das stellvertretend für viele Biografien in deutschen Brennpunkten gelesen werden kann und doch ist es einzigartig.
„Ich hatte mich in meiner Schullaufbahn von der Hauptschule bis zum Abitur hochgekämpft. Sogar studiert. Und fiel anschließend, nach hunderten erfolglosen Bewerbungen, wieder in ein tiefes Loch. Ich bin Stadt- und Regionalplaner. Zumindest sagt das mein Abschlusszeugnis der Uni. Ein guter Abschluss. Trotzdem konnte ich in dem Beruf nie richtig Fuß fassen.“
Was Umut fehlt, erkennt seine Frau. „Erzähl mir noch einmal von diesem Zauber, der dich damals in der Nordstadt so glücklich gemacht hat.“ Und sie ermutigt ihn, trotz der erfolgreich zurückgelegten Strecke, dem Ruf des Zaubers zu folgen: „Du sollst nicht kündigen, sondern dich umorientieren. Du hast so viele Talente. Nutze sie. Was sind deine Träume? Verwirkliche sie!“
Aus dem Jungen, der mit Fäusten um Respekt kämpft, wird ein Mann, der heute als Quartiersmanager in seiner Heimat, der Nordstadt Kassels, Verantwortung trägt. Er kennt die Sorgen, weil er sie selbst durchlebt hat. Er kennt die Verlockungen des Scheiterns, weil sie ihm selbst begegnet sind.
Und er weiß, dass Hoffnung nicht durch Belehrungen von außen wächst, sondern durch Menschen, die zeigen, dass Aufstieg und Wandel möglich sind. Aufstieg ist möglich durch Menschen, die an einen glauben, wenn man selbst nicht die Kraft hat, an sich zu glauben.

Foto: imago | Ina Peek
Muster für andere Viertel
Genau darin liegt die große Bedeutung dieses Buches: Umut Kaban ist nicht nur eine Stimme für die Kasseler Nordstadt, er ist ein Muster für Menschen in vergleichbaren Vierteln in ganz Deutschland. Brennpunkte gibt es in vielen Städten, und überall brauchen sie solche Vorbilder.
Dass jemand, der selbst dort aufgewachsen ist, zurückkehrt, um für Kinder und Jugendliche Perspektiven zu schaffen, ist von unermesslichem Wert. Externe Fachkräfte können helfen, aber nur Menschen wie Umut, die ihre eigene Geschichte mitbringen, können glaubwürdig vermitteln: „Ich war an eurer Stelle und es gibt einen Weg.“
Wie er im Gespräch mit Journalisten betont, war sein eigener Weg keineswegs geradlinig. Es brauchte Krisen, Rückschläge und einen entscheidenden „Klick-Moment“, bevor er den Weg von der Hauptschule über das Gymnasium hin zum Studium fand. Diese Ehrlichkeit macht ihn authentisch. Wer ihn kennenlernt, spürt: Hier spricht keiner von oben herab, sondern einer aus der Mitte des Viertels:
„Ich hatte es geschafft. Meine Gebete wurden erhört. Ich liebte meine Arbeit und freute mich jeden Tag darauf. Ich führte das Fernsehteam durch die Straßen. Zu besonderen Plätzen. Zur Realität. Entlang an Erinnerungen. Hin zu Träumen und Zukunftsplänen. Die Anwohner grüßten mich. Ihre Türen standen mir immer offen. Weil ich einer von ihnen war. Weil sie mir vertrauten. ‚Bitte! Rette meinen Sohn!’, erinnerte ich mich an die Worte einer Mutter, die einst verzweifelt in meinem Büro saß. Fehlende Vorbilder. Depressionen. Zukunfts- und Versagensängste. Suizidgefährdet.“
Vorbilder sind eine Quelle des Mutes, wenn die Lage aussichtslos erscheint. Der Blick hinauf zu Vorbildern spielte auch auf Umuts Weg zum Quartiersmanager eine große Rolle: „Muhammed Ali war schon immer mein größtes Idol. Nicht nur wegen seiner sportlichen Erfolge, sondern auch vor allem wegen seines Gerechtigkeitssinnes.“
Die Form des Buches – authentische Miniaturen
Die Stärke von „Nordstadtzauber“ liegt in seiner Form. In kurzen, klar umrissenen Kapiteln entfaltet sich ein Mosaik von Szenen: Zuhause, Fäuste und Freundschaft, Chancen, Schule, Nordstadtzauber. Jedes Kapitel steht für sich, doch gemeinsam ergeben sie ein Bild vom Aufwachsen in einem Brennpunkt, das so nah und lebendig ist, wie es nur persönliche Erinnerung sein kann.
Das Leben in der Nordstadt verläuft nicht linear, sondern in Brüchen und Neubeginnen, in Momenten der Gefahr und Momenten der Wärme. Gerade in dieser Form spiegelt das Buch die Authentizität des Erzählten. Die Kapitel sind kurz und wirken wie Scheinwerfer auf eine Episode in Umuts Leben. Wir werden Teil von der Szene, in der Umut fast von der Schule geflogen wäre. Doch das Versprechen seines Vaters besiegte die Zweifel:
„‚Bitte! Ich gebe Ihnen mein Wort, dass er sich ändern wird, sobald wir dieses Büro verlassen haben. Er wird hier keine Schwierigkeiten machen’, flehte mein Vater regelrecht, damit ich nicht ohne Schule endete. Der Schulleiter blickte mich an. ‚Du hast deinen Vater gehört. Er hat mir sein Wort gegeben. Also vertraue ich darauf. Brich es nicht! Ich werde ein Auge auf dich haben. Ich will sehen, dass du deine Chance nutzt!’“

Foto: Anke van Wyk, Adobe Stock
Hoffnung als Auftrag
Nordstadtzauber ist mehr als eine Liebeserklärung an eine Ehe und an ein Viertel. Es ist ein Plädoyer für Hoffnung als gelebte Praxis. Umut Kaban zeigt, dass es nicht genügt, über Brennpunkte zu reden oder sie von außen zu analysieren. Es braucht Menschen, die aus diesen Vierteln stammen und die Verantwortung übernehmen – nicht trotz ihrer Herkunft, sondern gerade wegen ihr:
„Integration wurde in der Nordstadt inzwischen großgeschrieben. Egal, wer du bist. Egal, woher du kommst. Egal, welche Sprache du sprichst. Du bist nicht allein. Ob jung oder alt. Du gehörst zu uns.“
Seine Geschichte ist ein Beweis dafür, dass Bildungsaufstieg möglich ist, dass soziale Herkunft kein endgültiges Schicksal darstellt und dass das Hessische Bildungssystem, wie er selbst betont, durchlässig sein kann, wenn Menschen darin begleitet werden.
Er selbst ist das lebendige Beispiel dafür. Umut kehrte nach seinem Aufstieg der Nordstadt nicht den Rücken. Er kehrte zurück. Er lauschte dem Ruf, den seine Frau in seinen Augen sah:
„Ich habe so oft und so lange dafür gebetet, dass du eine Arbeit findest, die dich glücklich macht. Dass du einen Beruf ausüben kannst, der dir und deiner Seele guttut. Der die Freude zurück in deine Augen bringt, wenn du davon berichtest. Dieser Zauber. Das Strahlen. All das ist wieder da.“
Der Zauber ist der Ruf; der Ruf seine Fähigkeiten zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen und die Hand denen zu reichen, die noch an sich zweifeln:
„Wenn es Tee gibt, gibt es Hoffnung. Wenn du Träume hast, kannst du sie verwirklichen. Du bist ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Nutze Rückschläge, um Anlauf zu nehmen. Glaube. Vertraue. Mache. Du kannst alles schaffen.“
Fazit
„Nordstadtzauber“ ist ein warmherziges, eindringliches und gesellschaftlich wichtiges Buch. Es erzählt von einem Leben, das aus einem Brennpunkt stammt, kurzweilig ging und dann dorthin zurückgekehrt ist: nicht aus Resignation, sondern aus Verantwortung.
Der Protagonist steht in diesem Buch als Musterfigur: für Jugendliche, die heute in ähnlichen Verhältnissen aufwachsen und für eine Gesellschaft, die Vorbilder braucht, die nicht abstrakt, sondern nahbar sind. Seine Geschichte zeigt, dass wahre Veränderung von innen heraus geschieht.
Denise Kaban hat ihrem Mann und der Nordstadt mit diesem Buch eine Stimme gegeben. Es ist ein Werk, das Mut macht – nicht nur den Menschen in Kassel, sondern allen, die in schwierigen Vierteln leben. Und es ist eine Erinnerung für uns alle: Hoffnung ist kein leeres Wort. Sie hat einen Namen. Sie hat ein Gesicht. Und sie lebt mitten unter uns.