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UN-Chef warnt vor Kriegsfolgen für die ganze Welt

Ausgabe 323

Foto: aleksandarlittewolf, Freepik.com

Am 14. April stellte UN-Generalsekretär Antonio Guterres einen neuen Bericht über die globalen Auswirkungen des anhaltenden Krieges gegen die Ukraine vor. Von Antonio Guterres

(IPS). Seit dem Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine richtet sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das erschreckende Ausmaß von Tod, Zerstörung und Leid, das dieser Krieg mit sich bringt. Seit seinem Beginn haben sich die Vereinten Nationen aktiv an der humanitären Hilfe für die Menschen der Ukraine beteiligt – sowie für die Aufnahmeländer der am schnellsten eskalierenden Fluchtkrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Aber weniger Aufmerksamkeit wurde den globalen Folgen des Krieges in all seinen Dimensionen geschenkt in einer Welt, die bereits zuvor Armut, Hunger und soziale Unruhe beobachtete. Der Krieg lädt eine dreidimensionale Krise auf – Lebensmittel, Energie und Finanzen. Das bedrängt einige der am meisten gefährdeten Menschen, Länder und Volkswirtschaften der Welt.

All das geschieht in einer Zeit, als die Entwicklungsländer bereits zuvor mit einigen Herausforderungen zu kämpfen hatten, die sie nicht zu verantworten haben – die Covid-19-Pandemie, Klimawandel sowie einem fehlenden Zugang zu adäquaten Ressourcen zur Finanzierung der wirtschaftlichen Erholung im Kontext anhaltender Ungleichheiten. 

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Wir stehen jetzt vor einer größtmöglichen Gefahr, die Wirtschaft vieler Entwicklungsländer zu zerstören droht. Daher habe ich in den ersten Tagen die Globale Krisenreaktionsgruppe für Ernährung, Energie und Finanzen eingerichtet. Sie wird von einer Arbeitsgruppe im UN-Sekretariat unterstützt und untersteht einem Lenkungsausschuss, an dem alle UN-Organisationen und internationalen Finanzinstitutionen beteiligt sind.

Zwei seiner Punkte möchte ich hier gezielt hervorheben. Erstens, die Folgen des Krieges sind global und systematisch. Bis zu 1,7 Milliarden Menschen – ein Drittel aller, die bereits in Armut leben – stehen vor Unterbrechungen von Lebensmittel-, Energie- und Finanzsystemen. Das löst die Zunahme von Armut und Hunger aus.

36 Länder sind von der Ukraine und Russland für mehr als die Hälfte ihrer Weizenimporte abhängig. Dazu gehören die ärmsten und empfindlichsten Länder der Welt. Preise stiegen bereits zuvor. Aber der Krieg hat die Lage deutlich verschlimmert. Seit Anfang der Kämpfe stiegen die bereits jetzt volatilen Preise für Weizen und Mais und sind um 30 Prozent höher als zu Jahresanfang.

Gleichzeitig ist Russland ein wichtiger Energielieferant. Die Ölpreise sind im vergangenen Jahr um mehr als 60 Prozent gestiegen und haben damit vorherrschende Trends beschleunigt. Dasselbe gilt für Erdgaspreise, die in den letzten Monaten um 50 Prozent höher waren. Düngemittelpreise haben sich mehr als verdoppelt. Mit den steigenden Preisen nehmen auch Hunger und Unterernährung zu – vor allem bei kleinen Kindern.

Die Inflation steigt, die Kaufkraft schwindet, die Wachstumsaussichten schrumpfen, die Entwicklung gerät ins Stocken und in einigen Fällen gehen die Gewinne zurück. Viele Entwicklungsländer ertrinken in ihrer Verschuldung. Die Anleiherenditen sind seit September letzten Jahres gestiegen, was zu erhöhten Risikoprämien und Wechselkursdruck führt. Dadurch wird ein potenzieller Teufelskreis aus Inflation und Stagnation in Gang gesetzt – die so genannte Stagflation.

Der Bericht zeigt auch, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen einerseits steigenden Lebensmittelpreisen und andererseits sozialen und politischen Unsicherheiten. Unsere Welt kann sich das überhaupt nicht leisten. Wir müssen jetzt handeln.

Und das führt zu dem zweiten Punkt, der in diesem Bericht deutlich wird: Wir können etwas gegen diese dreidimensionale Krise tun. Wir haben die Möglichkeit, den Schlag abzufedern. Er bietet mehr als ein Dutzend Empfehlungen. Aber ich würde die Botschaften auf drei grundlegende Punkte reduzieren.

Erstens dürfen wir die Dinge nicht schlimmer machen. Das heißt, wir müssen über offene Märkte einen stetigen Fluss von Nahrung und Energie gewährleisten. Daraus folgt die Aufhebung aller unnötigen Exportbeschränkungen. Jetzt ist kein Moment für Protektionismus und wirtschaftliche Barrieren. Es bedeutet, Überschüsse und Reserven an Bedürftige weiterzugeben. Und es bedeutet, die Lebensmittelpreise im Zaum zu halten und die Volatilität auf den Lebensmittelmärkten zu beruhigen.

Zweitens können wir diesen Augenblick nutzen, um die dringend benötigten Transformationen hervorzubringen. Wir müssen nicht weiter als auf die Energiekrise blicken. Kurzfristig müssen Staaten der Versuchung des Hortens widerstehen und strategische Vorräte sowie zusätzliche Reserven freigeben. Jetzt ist aber auch die Zeit, diese Krise in eine Gelegenheit zu verwandeln. Wir müssen auf einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohle und anderen fossilen Brennstoffen hinarbeiten und den Einsatz von erneuerbaren Energien und einen gerechten Übergang beschleunigen.

Drittens müssen wir die Entwicklungsländer vom finanziellen Abgrund zurückholen. Das internationale Finanzsystem hat tiefe Taschen. Ich habe mich nachdrücklich für seine Reform eingesetzt. Aber die Entwicklungsländer brauchen jetzt Hilfe, und die Mittel sind da. Wir müssen sie den Volkswirtschaften zur Verfügung stellen, die sie am dringendsten benötigen, damit die Regierungen Zahlungsausfälle vermeiden, soziale Sicherheitsnetze für die Ärmsten und Schwächsten bereitstellen und weiterhin wichtige Investitionen in die nachhaltige Entwicklung tätigen können. Diese Krise lässt sich nicht stückweise oder je Land, lösen. Diese Notlage erfordert globale und systemische Lösungen.